Gute Arbeit

Musikfilme auf der Berlinale Von Punk und Rap bis zu Leonard Cohen

Das Visuelle sei eine nicht mehr weg zu denkende Komponente der Wahrnehmung von Musik, bemerkt Julien Temple, Regisseur der Dokumentation Glastonbury. Das Programm trug dieser Erkenntnis Rechnung, indem es mehrheitlich Musikfilme von in der Videoclipindustrie erfahrenen Regisseuren präsentierte.

Eine Ausnahme bildeten im Panorama Keith Fulton und Louis Pepe, Regisseure des englischen Films Brothers of the Head, die vor diesem Debütspielfilm hauptsächlich die Dreharbeiten eines anderen Regisseurs, Terry Gilliam, filmisch festgehalten haben. Mit Brothers of the Head erfüllte sich das Duo den lang gehegten Wunsch, in seinem Werk die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation aufzuheben. Fulton und Pepe erzählen mit Dokumentarfilm-Elementen von den Howe-Brüdern, siamesischen Zwillingen, die vom Vater regelrecht an Manager veräußert, ins Punkmusikmilieu der Siebziger in England katapultiert werden. Zerrieben von Drogen und Alkohol, Groupies und der Ausbeutung durch das Musikgeschäft, das in den beiden nichts als Geld bringende Freaks sieht, wird die Musik der Brüder immer zorniger und lauter. Durch Nichtintervention und bloße Beobachtung der Geschehnisse seitens der Regisseure gewinnt der auf einem Roman von Sciencefiction-Autor Brian Aldiss basierende Film einen zusätzlichen satirischen Charakter.

Mit Bossen der großen Plattenfirmen wird auch Denzel konfrontiert, der junge Held des Dokumentarfilms Rampage des vornehmlich in Krisengebieten arbeitenden australischen Fotografen und Filmemachers Goerge Gittoes. Rampage ist der zweite Teil einer Trilogie, deren erste Teil Soundtrack to War 2005 im Irak gedreht worden war. Gittoes stellte seinerzeit dort fest, dass bei den afroamerikanischen Soldaten die Kunst des Dichtens der Raptexte mitten im Krieg sich neu formt. Ergriffen von den Versen eines 22-jährigen Jungen begleitet er diesen nach Miami, um einerseits dessen Leben in seinem eigenen Umfeld zu dokumentieren, andererseits um dessen Brüder kennen zu lernen, die sich in ihren Rap-Texten mit dem Ghetto-Dasein, Armut und Gewalt auseinandersetzen. Gebeutelt von ihrem alltäglichen Krieg in der Nachbarschaft legen die Jugendlichen eine Indifferenz gegenüber dem Irak-Krieg an den Tag, die noch während des Drehens der Dokumentation auf eine unglückliche Weise ihre Berechtigung findet: Der mittlere Bruder gerät in die Schießerei der Straßengangs und kommt um. Gittoes verfolgt dann mit seiner Kamera aus nächster Nähe die Odyssee des durch den Tod des Bruders immer schöpferischer textenden Denzel, dem jüngsten Talent der Familie, durch die New Yorker Büros der Plattenmogule.

Partystimmung dagegen sah man in der Dokumentation Block Party des französischen Regisseurs Michel Gondry. Die anfängliche Idee vom Standup Comediant Dave Chappell, im Central Park in New York ein Gratiskonzert mit Hiphop-Künstlern auf die Beine zu stellen, wich auf Anregung des mit dem Dokumentieren dieses Ereignisses beauftragten Gondry einer "Nachbarschaftsfete" in Brooklyn. 5.000 Zuschauer bejubeln die Fugees, die seit 1997 zum ersten Mal wieder zusammen auftraten, Kanye West, Jill Scott, Common, Erykah Badu und Mos Def. Allesamt Angehörige der US-HipHop-Szene, die eine politische Botschaft haben. Dennoch blieb das Fest im Vergleich zu der Inspirationsquelle "Wattstax"-Konzert 1972 in Los Angeles, das auf ähnliche Weise organisiert worden war, unpolitisch.

Leonard Cohen: I´m Your Man von der australischen Regisseurin Lian Lunson, ebenfalls eine Spezialistin für Videoclips von prominenten Musikern, hob sich hinsichtlich des Tons von den anderen Musikfilmen des Panorama ab. Die klassisch gedrehte Dokumentation war ein "ruhiger Fluss" verglichen mit der schrillen Machart der anderen Beiträge. Lunson zeigt ein Konzert in Sydney, dessen Protagonisten Verehrer des Sängers und Poets Leonard Cohen sind. Eingestreut sind Interviews mit dem 72-jährigen Künstler, der sich von der Regisseurin mühsam aus der 12 Jahre dauernden Zurückgezogenheit locken ließ. I´m Your Man wirkt wie der Künstler und seine Musik selbst: fein, ruhig und cool. Eine Augen- und Ohrenweide ist der Auftritt von Rufus Wainwright, durch dessen Chelsea Hotel-Interpretation sich Cohen im Film zu den Worten hinreißen lässt: "He did a great job."


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