Gute Rente, schlechte Rente

Angriff unter der Stützstrumpflinie Die Linkspartei streitet um ihr Konzept für die Alterssicherung

Wenn der von den Medien befeuerte innerparteiliche Streit der Linken um die Person Oskar Lafontaines mal wieder Überhand nimmt, wird von den Genossen gern darauf verwiesen, dass es eigentlich viel wichtiger sei, "inhaltliche Auseinandersetzungen" zu führen. Das ist keineswegs nur eine Floskel, die von der Kritik am Saarländer ablenken soll. In ihrer Debatte über ein Programm ist die neue Linke bisher noch kaum vorangekommen, noch gelten "Eckpunkte", eine Art Übergangskatalog, der auch eine ganze Reihe von offenen Fragen dokumentiert.

Das Wort Rente ist in dieser "Nachbemerkung" zwar nicht zu finden, und doch dreht sich darum derzeit ein heftiger Streit. Das ist keine Nebensache, denn der Parteivorstand hat beschlossen, die Rente zum "zentralen Thema in den anstehenden Wahlen in Bund und Ländern" zu machen, auch die Mittel für eine Kampagne wurden bereits abgesegnet. Für "mehr als nur einen Schönheitsfehler" hält es indes die Vizevorsitzende Katja Kipping, dass dem kein Beschluss über ein Rentenkonzept vorausgegangen sei. Zwar hätten sich die Bundestagsabgeordneten auf Eckpunkte verständigt, die Partei und ihr Vorstand seien jedoch "kein Appendix der Fraktion". Es geht bei alledem freilich um mehr als die Frage, wer das politische Zentrum der Linken ist. Kipping hält die rentenpolitischen Überlegungen der Fraktion schlicht für "zu kurz gedacht".

Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist das Prinzip der Lebensstandardsicherung bei der Rente. Mit den rot-grünen Reformen wurde dieser Pfeiler der Alterssicherungs-Philosophie angegriffen. Die Linksfraktion im Bundestag hat es - die Handschrift der Gewerkschafter ist hier erkennbar - zum obersten Ziel erklärt, dass "wieder das Prinzip der Lebensstandardsicherung gesetzlich festgeschrieben wird". Entscheidend sind dabei die Anzahl der monatlichen Beiträge und deren Höhe in Bezug zum jeweiligen Durchschnittsverdienst.

Für Kipping ist diese Lösung zwar für Menschen mit gutem Einkommen "eine feine Sache", für Bezieher von Mini-Löhnen oder Transferleistungen bedeute es jedoch nur eines: "die Zementierung von Armut und Elend". Pro Jahr Bezug von Arbeitslosengeld II erwirbt ein Langzeiterwerbsloser lediglich eine Rentenleistung von etwas mehr als zwei Euro. Ein Durchschnittsverdiener kommt jährlich auf einen Anspruch von über 26 Euro (West) bzw. knapp 23 Euro (Ost). Kipping fordert daher eine Debatte über eine armutsfeste Grundrente von mindestens 800 Euro.

Die Diskussion hat die 30-Jährige bekommen, der Beifall ihrer Parteifreunde aus dem Gewerkschaftslager blieb jedoch aus. In einer geharnischten Entgegnung auf ihren Vorstoß nannten Klaus Ernst und Michael Schlecht die Überlegungen einen "Todesstoß für die gesetzliche Rente" und verschleierten den Vorwurf, Kipping betreibe "neoliberale Politik" nur dürftig mit einem Fragezeichen. Die Lebensstandardsicherung sei "ein Konzept für alle", wer anderes behaupte, habe die solidarische und gesetzliche Rente nicht verstanden.

Genossen von Kipping sprachen von Angriffen unter der Gürtellinie und auch der Jenenser Soziologie-Professor Stefan Lessenich eilte ihr zur Seite. Ernst und Schlecht hätte es doch nicht verborgen bleiben können, dass es sich bei der Lebensstandardsicherung um "nichts anderes als die Reproduktion ungleicher sozialer Lagen" handele. Ein Sozialstaat für alle könne dagegen nur einer sein, der Ansprüche unabhängig von Erwerbseinkommen, ungeachtet der ökonomischen Verwertbarkeit des Einzelnen und seines gesellschaftlichen Wohlverhaltens garantiere. Kipping, so Lessenich, sei mit ihrem Vorschlag offenbar "in den Sperrbezirk vorgestoßen, den die Linke gegen Anwandlungen sozialpolitischer Kreativität zu errichten trachtet".

So ist die Renten-Debatte auch als Fortsetzung eines älteren Streits zu sehen: Kipping befürwortet seit langem ein bedingungsloses Grundeinkommen, hat für ihre Idee in Bundestagsfraktion und Vorstand jedoch keine Mehrheit gefunden. Ein Antrag im Sinne des Grundrenten-Vorschlages von Kipping liegt nun dem Parteitag in Cottbus vor. Ob dafür die Chancen besser sind, bleibt abzuwarten.

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