Mit ihrem Glauben an Wachstum, Effizienz und andauerndem Wandel bilden die Unternehmensberater spätestens seit den achtziger Jahren eine Art Priesterkaste unserer Gesellschaft. Sie predigen von Gewinnkurven und Synergieeffekten, statt mit der Bibel treten sie Ungläubigen mit bunten Powerpoint-Folien entgegen und an Stelle von himmlischem Seelenheil versprechen sie profane Profite und globale Visionen. Tagessätze bis zu 10.000 Euro waren bis vor kurzem bei den Marktführern wie McKinsey, Roland Berger oder Boston Consulting Group nichts außergewöhnliches.
Guter Rat ist teuer, das sagt schon der Volksmund. Allein im Jahr 2002 wurden in Deutschland fast acht Milliarden Euro für Beratungsleistungen in Unternehmen bezahlt. Dazu kamen noch, dank Microsoft und globaler Vernetzung, 13,5 Milliarden Euro für die IT-Beratung dazu. Deutschland hat nach den USA weltweit die meisten Berater: 15.000 sind es offiziell. Allein der Branchenführer McKinsey ist in 45 der 100 größten Unternehmen Deutschlands vertreten.
Diese Zahlen täuschen über eine Tatsache hinweg: Die fetten Jahre der Berater sind (vorerst) vorbei. Die unverändert angespannte Wirtschaftslage und eine Vielzahl konkurrierender Consulter zwingt die einst boomende Branche - die zu ihren besten Zeiten jährlich zweistellige Steigerungsraten zu verzeichnen hatte - in die Knie. Eine Tatsache, die den Verdacht nährt, dass sie ihre goldenen Regeln im eigenen Fall wohl nicht richtig angewandt hat. Aber: Ein Berater kann sich eben nicht selbst beraten. Und manchmal tut er sich auch bei anderen schwer. Einige beratene Unternehmen sind trotz oder gerade durch Beratungstätigkeit schlicht und ergreifend pleite gegangen: Herlitz, Holzmann, Babcock, Swissair oder Enron sind nur einige davon. Aufträge für McKinsey oder Roland Berger können aber auch persönliche Opfer kosten, wie der Ex-Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, erfahren musste.
Beratung ist eine uralte Form der Tätigkeit, die aus den Problemen des Regierens entstand. Schon die ägyptischen und antiken Reiche kannten den königlichen Ratgeber der bei schwierigen Entscheidungen herangezogen wurde. Der Zweifel der Regierten (und manchmal auch des Regierenden) an der Weitsicht von Herrschaft ließ den Traum vom Berater entstehen, der alles weiß und dem nichts entgeht. Die Gestalt des Sehers ist eine Projektion dieses Wunsches. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Beraterposition in der Intrigensphäre der höfischen Kultur. Der Einflüsterer trat an Stelle des Sehers. Manche Soziologen sind der Meinung, dass unsere heutige Politik immer noch den Entscheidungsstrukturen des Hofrituals ähnelt.
Ein allgemeiner Topos der Beratungsgesellschaft entstand erst, als Psychologie und Pädagogik in den klassischen Wirtschaftsunternehmen Fuß zu fassen begannen. Zuvor hatte sich die Betriebswirtschaft kaum mit außerökonomischen Parametern beschäftigt, aber in den siebziger Jahren wurde in der Industrie die Rede vom Management-Training inflationär. Nun mussten Manager aufgrund komplexer werdender Führungsaufgaben psychologisch beraten und geschult werden. Der "menschliche Faktor" in Unternehmen wurde zunehmend wichtiger. Zeitgleich entstanden Fachbereiche wie Wirtschafts- oder Betriebspädagogik an den Universitäten. Die Ökonomie begann sich ernsthaft mit Mitarbeitern und Organisationsstrukturen auseinander zu setzen. Der Beratungsbegriff, ursprünglich in der Politik und im psychosozialen Kontext angesiedelt, erreichte - mit zeitlicher Verzögerung - die Welt des Profits.
Nachdem die erste Euphorie mit Psychologen und Pädagogen aufgrund mangelnder Erfolge zurückgegangen war, übernahm die Betriebswirtschaft selbst die Führungsrolle in der Beratungsbranche. Nun sollte es nach einer Phase "ganzheitlicher Beratung" wieder um Essentielles gehen: steigende Gewinne. Die von der 68er Bewegung inspirierte Beratung im Schmusegewand wich, ganz im Sinne der neoliberalen Wende der späten achtziger Jahre, einem reinen Effizienzdenken. Beratung war dann gut, wenn sie Kosten einsparte. Die Gewissheit, dass meistens Arbeitsplätze verschwanden, wenn die jungen Herren von McKinsey mit den dunkelblauen Anzügen erschienen, bestätigte sich nur allzuoft. Nicht umsonst bekam die Branche bei den Betroffenen den Spitznamen "Beerdigungsunternehmen". "Wir sanieren euch zu Tode", das war eine klare Formel.
Die wachsende Zunahme an externen Beratern ist zunächst einmal dem Übergang der klassischen industriellen Gesellschaft in die Anforderungen einer Informationsgesellschaft geschuldet. Darin spiegelt sich aber auch ein neues Verhältnis zur Macht. Während der frühere Unternehmer, als Wirtschaftskapitän und Patriarch keine Berater brauchte oder wollte, weil sie ein Stück weit immer auch seine Autorität unterminierten, sind die heutigen Wirtschaftsführer allzu schnell bereit, den Beratern ein gutes Stück Einfluss zuzugestehen.
Heute ist es die Abgabe von Verantwortung, die Delegierung von unliebsamen Entscheidungen (Entlassungen, Rationalisierungsmassnahmen) an Dritte, die das neue Verhältnis von Macht und Führung kennzeichnen. Macht wird heute nicht mehr über sichtbare Autoritäten als vielmehr über reines Management, Defizitanalysen und Moderationstechniken ausgeübt. Die alten Autoritäten sind durch modernere Figuren abgelöst worden. In den früheren Unternehmenshierarchien, der patriarchalen Familie vergleichbar, hatte der Chef die unumschränkte Macht, übernahm aber auch die Verantwortung für die Folgen seines Handelns. Die neuen (Beratungs)-Techniken versuchen, sichtbare Autorität zu vermeiden und die Verantwortung für Fehlentwicklungen an altes Management, Organisationsdefizite, Arbeitnehmer, Gewerkschaften oder anonyme Mächte (Globalisierung) zu delegieren.
Vielleicht zeichnet gerade die Angst Verantwortung zu übernehmen den neuen Unternehmertypus aus, der förmlich nach Beratung schreit. Diesem Hilferuf kommen die Beratungsunternehmen gerne entgegen, indem sie wie moderne Kassandras mit Horrorszenarien in Unternehmen auftauchen und überall Defizite zu baldigen Katastrophen erklären. So wie in den USA Rechtsanwälte auf der Suche nach potenziellen Opfern sind, die irgendwelche Klagen einreichen können, sind auch Berater insbesondere in wirtschaftlichen Notzeiten auf der Suche nach Klienten, die (noch) nicht wissen, wie schlecht es ihnen geht. Als eine parasitäre Form der Ökonomie sucht Consulting nach einem Wirt, der bereit ist, die Zeche zu bezahlen.
Diese Einschätzung mag etwas ungerecht sein, denn natürlich ist der steigende Beratungsbedarf auch dem Komplexitätszuwachs der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft geschuldet. Eine Professionalisierung von Tätigkeiten und eigene Berater finden wir in allen möglichen Bereichen unserer Gesellschaft aber es lässt sich von keinem so genau sagen, ob die zu Beratenden denn hinterher tatsächlich etwas davon haben. Einige Indizien sprechen zumindest auf der Ebene der Unternehmensberatung dagegen. Die wie eine Epidemie sich ausbreitenden Berater müssen sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, dass sie am "Tod" ihrer potenziellen Kunden nicht immer ganz unbeteiligt waren. Die Sterbebegleitung war in den meisten Fällen aber gut honoriert.
Obwohl praktisch niemand der Beratungsprofis auf den Gedanken kommt, die Verantwortung für ein Scheitern ihres Klientels zumindest teilweise mit zu übernehmen - die Beratungswilligen stehen heute nicht mehr Schlange. Derzeit hagelt es eher Schelte: Die Branche arbeite nur noch in einer Weise, die darauf abziele, weitere Anschlussverträge "abzuzocken" oder Problemlösungen zu forcieren, von denen sie selbst am meisten profitiere.
Es steht in Deutschland zur Zeit nicht gut um die Berater. So sucht die Branche händeringend nach neuen Orten die bis dato noch von der Welle aus Business-Speech und Effizienzmantras verschont blieben. Dass diese Suche erfolgreich sein kann ist vor allem deshalb möglich weil es tatsächlich noch letzte "Schonbezirke" im kapitalistischen Wettbewerb gibt: die staatlichen Apparate und Organisationen. Angesichts des riesigen Projekts einer Deutschland AG öffnet sich ein weites Feld für die frustrierten Berater, bei dem sie alles andere als zuschauen wollen. Roland McBerger hat nun auch Zugang in bis dato beratungsfreie Soziotope.
So hat das Beratungs(un)wesen in den letzten Jahren im öffentlichen Dienst stark zugenommen. Jede Abteilung, jedes einzelne Büro braucht nun hochbezahlte Experten die einem sagen, wie man das, was man bisher gemacht hat, besser machen könnte. Staatliche Behörden, nicht oft zu Unrecht als ineffizient und bürokratisch verdächtigt, werden mit Beratern geradezu gegeißelt. Evaluation folgt auf Evaluation. Die Rezepte sind dabei altbekannt und jeder kann sie aus dem Schlaf aufzählen: Sparen, Kürzen, Verschlanken, effektiver werden. Beratung als strenge Diät.
Man kann vermuten, dass sich in der staatlichen Sphäre nun der letzte blauäugige Kunde - unter dem Druck öffentlicher und medialer Schelte - an die breite Brust der Beratungsprofis wirft. Eine Tatsache, die insbesondere dem Steuerzahler zunehmend Kopfschmerzen verursacht. "Es darf nicht sein", so Rainer Steppan in seinem Buch Versager im Dreiteiler, "dass die Beamten hilflos mit den Achseln zucken und die Berater mit geldschweren Taschen von dannen ziehen, wenn ein öffentliches Projekt im Chaos versinkt, das der Bürger letztlich finanziert." Aber vielleicht reflektiert sich in diesem Problem genau dieselbe Angst der Politik wie der Unternehmen, Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen.
Angesichts von aberwitzigen Beraterverträgen, unzähligen Kommissionen von Hartz bis Rürup, wird man den Verdacht nicht los, dass Politik längst vor dem so genannten Expertenwissen kapituliert hat, sich zugleich damit aber elegant von jeder Schuld an den Konsequenzen der Diagnosen befreit. Wer sich beraten lässt, ist fein raus. Eine wunderbare Konstellation für die kriselnde Branche. Sie darf, wie das Beispiel Bundesanstalt für Arbeit zeigt, nur nicht zu gierig werden.
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