Aggregatzustand Als Kind habe ich meine Geburtstagsgeschenke in harte und weiche Geschenke unterteilt. Harte Geschenke konnten Videokassetten, Brettspiele oder Ähnliches sein und mussten natürlich sofort ausgepackt werden. Weiche Geschenke waren meist nur Anziehsachen (Tribal-Pullover, Cordhosen), die bis morgen warten konnten. Aus irgendeinem Grund waren es vor allem Großeltern und Tanten, von denen man die weichen Geschenke bekam. Und natürlich nur aus Geschäften, in die man seit der Grundschule keinen Fuß mehr gesetzt hatte. Irgendwann ist auch die Bekleidungsindustrie hinter die Psychologie von harten und weichen Geschenken gestiegen und hat Gutscheinkarten entwickelt. Seitdem gibt es bunte Plastikkarten mit knuffigen Motiven und flotten Sprüchen (
nuffigen Motiven und flotten Sprüchen („Kleine Karte, große Freude!“), die sich als Geldgeschenke tarnen und Kinder in eine Sinnkrise stürzen, weil sie den Gutschein jetzt auch noch persönlich einlösen müssen. Eine Tafel Schokolade hätte auch gereicht. Simon SchaffhöferFFamilie Was schenkt man der Mutter zum Geburtstag, wenn man acht Jahre alt ist und nicht gern bastelt? Ich schenkte ihr lauter Gutscheine für Dinge, die ich nervig fand, die ich aber ohnehin immer machen musste. Beispielsweise versprach ich, dreimal mit zum Opa zu kommen. Ein anderer sollte mich verpflichten, siebenmal die Spülmaschine auszuräumen. Bei der Einlösung von „einmal deine Barbiepuppe sein“ plante ich, stillzuhalten statt zu zappeln und zetern, wenn meine Mutter mich mal wieder komisch frisieren wollte. Ökonomisch gesehen waren diese Gutscheine klug. Mit ihnen wollte ich meinen selbstverständlichen familiären Pflichten einen Tauschwert geben Ich inszenierte mich als großzügig schenkende Gönnerin. Meine Mutter machte mir einen Strich durch die Rechnung: Sie löste nie einen der Gutscheine ein. Mit zum Opa musste ich trotzdem. Luisa HommerichGGroupon Das Minus wird kleiner: Fast klang der letzte Quartalsbericht wie eine frohe Botschaft. Und doch musste Groupon auch Anfang Mai rote Zahlen zugeben. Statt knapp 38 Millionen US-Dollar wie im Vorjahresquartal fuhr man nur noch gut 14 Millionen Miese ein. Das 2008 gegründete Netzunternehmen bietet Gutscheine für Dienstleistungen und Produkte an. Es expandierte rasant, lehnte ein Kaufangebot von Google ab und ging 2011 an die Börse. In den dafür eingereichten Unterlagen bezeichnete sich Groupon als profitabel. Die Börsenaufsicht sah das anders und sollte Recht behalten. Nicht nur Groupon selbst kriselt, auch teilnehmende Firmen wurden an den Rand der Insolvenz getrieben. Viele Kleinunternehmer konnten den ungeheuren Schub von Aufträgen, an denen sie fast nichts verdienten, kaum stemmen. Ein Anbieter von Wandschmuck etwa brauchte Monate, um die auf einen Schlag eingetroffenen 34.000 Bestellungen abzuwickeln. Auf eine mögliche Begrenzung der Gutscheinanzahl hatte Groupon ihn nicht hingewiesen. Tobias PrüwerHHaltbarkeit Ich bin keine Freundin von Gutscheinen. Ein Lebensgefährte schenkte mir mal einen Tanzkurs, der nicht mehr eingelöst werden konnte, weil wir uns vor den ersten Schritten auf dem Parkett, die uns wieder näherbringen sollten, trennten. Ein anderer beglückte mich mit einem Gutschein für ein Dessous, weil er sich nicht in einen Erotikladen traute. Während ich längst vergessen habe, was aus den Gutscheinen geworden ist, haben sich die beiden guten Menschen als strapazierfähige Freunde erwiesen.Haltbarkeit beweist auch ein gelbes Stück Karton, das mir eine Freiburger Freundin vor über 15 Jahren geschenkt hat, eine Einladung in ein Altstadtcafé. Jedes Mal, wenn ich in meine Heimat fahre, begleitet es mich treulich hin und wieder zurück. Ich habe keine Ahnung, ob es das Café überhaupt noch gibt, und die Freundin sehe ich auch viel zu selten. Aber jedes Mal, wenn ich das angestaubte Teil einpacke, denke ich an sie und daran, dass ich sie anrufen sollte. So hat das Geschenk, längst inflationsentwertet, noch einen Sinn. Ulrike Baureithel KKonsum Um die Wirtschaft anzukurbeln, werden hin und wieder Konsumgutscheine diskutiert. Indem der Staat den Bürgern Geld für Konsumausgaben zur Verfügung stellt, soll die Binnenkonjunktur gefördert und eine Finanzmarktkrise verhindert werden. Die Bundesregierung erwog Ende 2008, für jeden Bürger einen 500-Euro-Gutschein auszugeben, der innerhalb von acht Wochen einzulösen wäre. Realisiert wurde die Idee nicht. Als zu vage und höchstens kurzfristig galt der Erfolg, selbst der Einzelhandelsverband lehnte Konsumcoupons ab. Auf Steuerschecks, eine Art Konsumgutschein durch staatliche Rückzahlung, greifen die USA gelegentlich zurück. Ge-naugenommen war auch das an DDR-Bürger ausgegebene Begrüßungsgeld ein Konsumbon. In Berlin und grenznahen Regionen wurde der Umsatz gesteigert, blieb aber gesamtwirtschaftlich ohne Effekt. Die Geste zählte. Tobias PrüwerLLoyalität Bis vor kurzem war die Frage nach der Treuekarte noch Cafés vorbehalten. Dort bekam der brave Dauerkunde dann nach zehn Cappuccinos freudestrahlend einen kleinen Gratiskaffee. Den wollte er zwar eigentlich nie haben (⇑ Aggregatzustand), aber dafür war er umsonst. Und das allein ist schon Grund genug, um jedes Mal an der Kasse den bunten Pappfetzen aus dem Portemonnaie zu pfriemeln.Inzwischen gibt es „Loyalty Cards“ in jedem noch so kleinen Friseurgeschäft, Dönerladen, Pizza Parlour und Hinterhofkiosk. Und das Portemonnaie wird immer dicker. Nicht weil man tatsächlich spart, sondern weil man immer mehr Karten zwischen Führerschein und Kreditkarte--- quetschen muss. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Treuekarte eingelöst. Zum einen ist es praktisch unmöglich, in dem bunten Stapel die richtige zu finden. Zum anderen eigenen sie sich einfach zu gut, um darin Kaugummis zu entsorgen. Simon SchaffhöferMMännerabend Wenn am Gymnasium mal wieder zwei Unterrichtsstunden ausfielen, ging ich mit meinem besten Kumpel zum Weinladen, 15 Gehminuten weiter, um die neuen Rieslinge zu probieren. Seine Eltern waren gute Kunden. Wir zahlten nie. Riesling war unser gemeinsames Hobby, hinzu kam die gemeinsame Begeisterung für U2 – und Charles Bukowski. Dazu passte, dass ich von meinem Kumpel irgendwann zum Geburtstag einen collagierten Gutschein für einen Bukowski-Abend bekam: mit (amerikanischem!) Budweiser, TV-Dinner und privater Lesung aus „Der Mann mit der Ledertasche“. Unsere Freundinnen, sollten sie uns unbedingt beiwohnen wollen, hätten sich in den billigst aufzutreibenden Hooker-Dress schmeißen müssen. Und es sollte geraucht werden, Selbstgedrehte. Daraus wurde nichts. Immer, wenn es hieß: „Sollen wir heute den Bukowski-Abend starten?“, landeten wir doch nicht bei Fertiggerichten und Bud, sondern bei Riesling und U2. Jan DreesPPinnwand Vor einigen Jahren habe ich meiner Freundin einen Gutschein, einen richtig schönen, vorgedruckten, für einen Museumsbesuch geschenkt. Dieser Gutschein hängt seitdem an ihrer Pinnwand, und zwar an der Pinnwand, die direkt im Flur neben der Eingangstür hängt. Bei jedem Besuch muss ich also beim Kommen und Gehen an diesem Gutschein vorbei. Jedes Mal fällt er mir wieder auf. Jedes Mal ignorieren wir ihn beide (⇑Haltbarkeit). Anfangs noch ab und zu angesprochen, hat er sich mit der Zeit zu einem riesigen rosa Elefanten entwickelt. Wieso er noch nie eingelöst wurde? Keine Ahnung. Dabei gehen wir beide wirklich gern ins Museum, in New York haben wir gemeinsam einige besucht. Hier ist es irgendwie anders, obwohl Berlin viele interessante Ausstellungen zu bieten hätte. Vielleicht klemme ich bei der nächsten Gelegenheit eine Gutschein-Ergänzung dazu: „einzulösen in New York“. Jutta ZeiseVVolljährig Der eine bekam das erste Auto, einen gebrauchten Seat. Dem anderen wurde ein Aktienfonds in Höhe von 25.000 Mark überschrieben. Eine mietete einen Club in Wuppertal und feierte auf Kosten der Eltern ein rauschendes Fest mit gebuchtem Hip-Hop-DJ. Ich bekam zu meinem 18. Geburtstag einen Gutschein für eine Reise nach London. Einzige Bedingung: Mein Vater wollte mitkommen, weil die britische Hauptstadt für ihn ultimativ mit der eigenen Jugend verbunden zu sein schien, steter Sehnsuchtsort lang zurückliegender Teenagerzeiten. British Pubs, den Tower und Madame Tussauds wollte er mir zeigen. Aber ich hatte keine Lust, obwohl ein Freund der Familie riet: „Mach einen Roman draus, ist doch alles drin: Reisen, Familie, Konflikte und Sentimentalität.“ Ich habe den Gutschein nie eingelöst, ich bin noch nie in London gewesen – und mein Vater hat inzwischen eine neue Frau, die so alt ist wie ich. Auch eine Möglichkeit, die eigene Jugend zu reaktivieren. Jan DreesWWirtschaftlichkeit Kundenservice und Ökonomie motivieren Unternehmen, Gutscheine anzubieten. Namen wie Thalia, Ikea und Douglas stehen auf den Plastikkärtchen, die mit enormen Werten aufgeladen und verschenkt werden. Und so wird gerechnet: Die geringen Herstellkosten der Kärtchen plus Logistik- und Abwicklungskosten stehen den Einnahmen gegenüber, die das Unternehmen sofort erhält, ohne die Ware liefern zu müssen; Geld, das du heute hast, ist erwiesenermaßen besser als Geld, das du zukünftig hast (Barwert). Besonders wirtschaftlich wird es, wenn die Kärtchen niemals eingelöst werden. Bei den Gutscheinen, die in dunklen Schubladen vor sich hin dösen, kann das Maximalprinzip voll zuschlagen und mit festem Input einen größtmöglichen Output erzielen. Ein Geschäftsbereich also, der im Freitag-Aboshop noch fehlt? Oda HassepaßZZwang Die erste Erfahrung mit Gutscheinen machte ich, noch bevor ich Lesen und Schreiben konnte. An einem 1. Dezember nagelten unsere Kindergärtnerinnen zwei Adventskalender an die Wand. Der eine bestand aus Päckchen, der andere aus gefalteten Sternen. Dass sich in den Päckchen für jeden von uns eine Tütenpuppe befand, checkten selbst die Spätzünder unter uns nach drei Tagen. Vertrackter war der andere Kalender. In den Sternen steckten goldene Zettel, auf denen standen so Sachen wie: „Du hilfst uns, die Legosteine zu waschen“ oder „2 Mal die Spielecke aufräumen“. Joker gab es nicht. Aus heutiger Sicht kann ich mir sehr gut vorstellen, welcher Groll sich anstaut, wenn man nach Feierabend 15 Tütenpuppen aus Klopapierrollen basteln muss. Zumal Bezahlung und Anerkennung dieses Jobs vermutlich schon damals streikwürdig waren. Aber an das Gute im Gutschein glaube ich bis heute nicht. Christine Käppeler
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