Haare lassen für Tibet

Gastkommentar Was wir bis dato über Olympia 2008 wissen

Bis zur Eröffnungsfeier in Peking ist es noch eine Weile hin. Aber die Menschheit hat bereits so reichlich gefühltes Wissen über den Komplex China, Kommunismus, Menschenrechte, Tibet, Olympische Flamme, das dumme IOC und die Schönheiten des Boykotts angehäuft, dass es Zeit ist, zu resümieren. Damit uns nichts verloren geht. Also, was ist sicher?

Sicher ist, dass Peking wundersamer Weise "eigentlich" schon immer anders heißt, nur hat es keiner gemerkt. Geschrieben wird es Beijing - am besten natürlich mit chinesischen Zeichen - in der ARD wird es aber weiter Peking ausgesprochen. Denn wer weiß, vielleicht steckt hinter der Lautverschiebung ein Trick der Diktatur, und die Sinologen müssen erst noch dahinter kommen.

Zweitens wissen wir, dass die Kommunistische Partei die Spiele deshalb durchführt, um die quasi täglichen Hinrichtungen mit bunten Bändern zu behängen. Trotzdem muss das IOC gute Miene zum bösen Spiel machen, weil China spätestens im Herbst - trotz Kommunismus oder wegen Kommunismus, das kann momentan keiner so genau sagen - die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt sein wird und die Sponsoren beide Beine in den chinesischen Türen haben wollen.

Dass mit Kommunisten, asiatischen zumal, nicht gut Spiele zu machen sind, weiß das IOC spätestens seit dem Blutbad auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Trotzdem hat es sich wohl gedacht, es wird schon irgendwie gehen. Da haben sie aber nicht mit dem kleinen, lieben, tapferen, hübsch anzuschauenden Völkchen der Tibeter gerechnet. Obwohl - die Tibeter hätten ihre fremdenfeindliche Neidkampagne gegen gutverdienende Ausländer vielleicht noch ruhen lassen, wenn nicht einmal wieder eine "friedliche Revolution" auf der Agenda des Weltfortschritts gestanden hätte. Seit 1989 weiß man, wie man die macht, nämlich wie bei der Leipziger friedlichen oder der Orangen Revolution in Kiew: Das Rotlicht von Kameras setzt revolutionäre Herzen in Brand.

Auffällig war nun zweierlei: Die Tibeter kannten den Bäbel-Bohley-Slogan "keine Gewalt" noch gar nicht und waren, gerade in ihrer mönchischen Variante, härter drauf, als es ihrem Ruf bei Claus Kleber von den Tagesthemen frommen konnte. Und die Kommunisten schickten keine Panzer! So gingen die Tibeter erst einmal wieder schlafen.

Mangels Tibetern gilt es nunmehr, die Sportler vor der Verletzung ihrer Menschenrechte zu bewahren, die ihnen das IOC unter kommunistischem Druck beschneiden will. Sie haben ein Recht darauf, ihrer Liebe zu den Tibetern und ihrem Zorn auf den Kommunismus freien Lauf zu lassen. Manche wollen zwar nicht, sollen aber dürfen. Aber wie? Soll man auf dem Siegertreppchen stehen und der Diktatur den blanken Hintern zeigen (mit einem Tibeter-Fähnchen-Tatoo)? Oder sollen sich alle einen roten Schal der SPD umbinden, quasi als einigendes Band aller antichinesischen Antikommunisten? Ein Symbol ist symbolisch, wenn es entsprechend definiert ist. Es könnte auch ein Gucci-Handtäschchen sein. Oder alle Sportler und Journalisten rasieren sich die linke Augenbraue kahl - Haare lassen für Tibet. Das sähe lustig aus und würde keinen kränken. Außerhalb der Wettkampfstätten könnten die Sportler dann in die Kameras sagen, was sie mit ihrer abben Augenbraue meinen.

Natürlich müssten sich die Manager von VW, Siemens und Beate Uhse, die mit den Kommunisten fette Geschäfte machen, an dieser Symbolik beteiligen. Und Klaus Wowereit, weil der frech nach Beijing fährt.

Gestern spielten die Kinder im Hof "Olympische Flamme". Sven (7) aus dem dritten Stock rannte mit einem Feuerzeug seines Vaters vorneweg und die Meute hinterher. Es ging immer wieder aus. Sven gab auf: "Wenn mich keener verdrischt, macht´s keenen Spaß", sagte er, "da je ick lieber eene roochen".

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