Gestern abend, als wir noch mit dem Blick auf den Wannsee den übrigens sehr guten Wein tranken, war er plötzlich sehr klar in unserem Kopf, der Satz: Wir wollen uns im pool der Literatur nicht verweigern, im Gegenteil, wir wollen sie nullen, Platz machen, eben UM uns ihr wieder anzunähern, nicht für sondern IN diesem Medium«. Freitag abend dämmerte es Elke Naters und Sven Lager. Wie gut, dass es das Internet gibt. Da kann man jeden mitternächtlichen Geistesblitz gleich reinhacken. Und schon weiß es die ganze Welt. Gleich am nächsten Morgen lasen die beiden ihren Schriftstellerkollegen beim diesjährigen Berliner Schriftstellertreffen »Tunnel über der Spree«, das sich diesmal um "Literatur und Internet" scherte, vor, was sie mi
mit ihrem Internet-Literaturprojekt ampoll.de eigentlich wollen.Wer hat Angst vor'm Internet? Niemand. Und wenn es kommt, dann chatten wir. Noch vor kurzem gruselten sich alle vor den virtuellen Welten. Heute regiert statt ideologiekritischer Bedenkenträgerei euphorischstes Netzgeschnatter das worldwideweb. Das quillt über von emails und chat-rooms. Keine Spur mehr auch von der Angst vor dem Tod von Buch und Literatur durch das Netz, wie die dreißig Autoren starke Internet-Anthologie Null des Kölner dumont-Verlages oder eben Pool beweisen. Es wird getextet, was das Netz hält.Die Reaktionen auf den weltumspannenden Kommunikationsboom, bei dem nun jeder mitquatschen will, schwanken. Zwischen der staunenden Verwunderung eines Burkhard Spinnen, der von den »Lustgefühlen beim Suchprozess« schwärmte. Und dem coolen Durchblick des Bonner Autors Leander Scholz, der vor dem Irrglauben warnte, via Bildschirm läge einem die ganze Welt zu Füßen. Zwar hat man einen schnelleren Zugriff auf alle möglichen Daten und Quellen, kann schneller von einer in die andere wechseln, sie ineinander verschränken. Doch wo kommt eigentlich ihr Inhalt her? Längst, so Scholz beim Tunnel, haben andere Leute festgelegt, was den usern aus Suchmaschinen und Datenbanken entgegenfällt. Die große Freiheit im Netz ist, allem augenscheinlichen Überfluss zum Trotz, in Wahrheit ein großer Kanon. Mag der afroamerikanische Rapper Chuck D noch davon träumen, dass er seine Revolution erst mit dem Internet richtig unters Volk mischen kann. Den Ruch des Anarchischen hat das Netz verloren, seit nach dem Einschalten winkende Werbehändchen den rechten Konsumweg weisen. Und die große demokratische Gegenöffentlichkeit, der Tunnel zur echten Demokratie, wird Protokolldatei für Protokolldatei wieder zugemauert.Gibt es aber denn nun wenigstens eine eigene Netzliteratur? Wahrscheinlich, so muss man das Berliner Treffen bilanzieren, gibt es höchstens Literatur im Netz. Die aber reichlich. Immer mehr Autoren basteln sich eine Homepage. Alle hoffen, schneller publizieren und direkter zum Leser durchkommen zu können. Bei Martin Auer aus Wien sieht die Homepage aus wie ein Warenhauskatalog. Vom Roman bis zur Lyrik und dem rauchigen Chanson kann man alles abrufen. Meist ist das Angebot aber alles andere als erhebend. Mag sein, dass sich bei pool manche Autoren hinter fiktiven Identitäten nicht nur verstecken, sondern in die Literatur hineinproben. Doch wer Null und pool im Netz anklickt, wird sich schnell wieder aus dem digitalen Staub machen ob der vielen, gähnend langweiligen Privatstreitereien. Wenn sich Moritz von Uslar, Christian Kracht und Georg M. Oswald über die Einsamkeit des Schriftstellers, Thomas Meinecke und Helmut Krausser über den Kosovo-Krieg streiten, spricht das zwar dafür, dass man im Netz unmittelbarer und beweglicher kommunizieren kann. Das kann man aber auch übertreiben. Auf die Dauer bieten solche Jetzt-ist-Jetzt-Absonderungen beleidigter Leberwürste wie Maike Wetzel Nirvana, die sich am 5.9.99 um 14:12:22 über die »Verbal-Attacken von dieser München-Tussi Katrin« aufregt, wenig anspruchsvolles Lesefutter.Noch ärgerlicher wird es, wenn Naters und Lager sich mit dem Projekt zwar prätentiös antiintellektualistisch vom »Muff der Schöngeistigkeit« und der »leblosen sprachfindung« des angeblich unbeweglichen Buches lossagen wollen. Mit dem Satz »Das ist nicht Literatur« hatten sie in einem noch vor dem Tunnel-Wochenende geschriebenen Thesenpapier dem belletristischen Betrieb die kalte Pop-Schulter gezeigt. Als Martin Auer aber das autistische Geschnatter ihrer Pool-Freunde, das Leander Scholz vornehm als »geschlossene Gruppenbildung« charakterisierte, mit der Funktion einer »Volkstanzgruppe« verglich, schob die Schriftstellerin mit der niedlichen, gestreiften Netzeinkaufstasche ihre Sonnenbrille nach oben und fauchte: »Das ist unter Niveau«. Nur irgendwie befindlichkeitsmäßig soll Pool denn auch nicht sein, obwohl sich viele Sprüche an seinem Beckenrand nun wirklich so anhören. Wie unausgegoren das pool-Selbstverständnis oft ist, zeigen Naters dann doch wieder programmatische Sprüche wie »Literatur und Leben verbinden« . Zählt man die Begeisterung des Internet-Pragmatikers Ingo Schramm über den »Relaunch des Erzählens« im Internet und dem Ruf: »Zeit für einen neuen Lebenspragmatismus« hinzu, meinte man just an dieser Tunnelstrecke zwei Zungenschläge eines neuen Dogmas Marke Sozialrealismus zu spüren.Dieser vitalistische Ladenhüter ist nun allerdings so alt wie das Jahrhundert. Und auch der ganz neue Text war auf dem Berliner Wochenende nicht in Sicht, sondern steht unvollendet im Cafe Nirvana der bayerischen Medienkünstlerin Olivia Adler. Denn den »begehbaren Roman«, den sie am Beginn ihrer Medienkarriere schreiben wollte, gab es schon im Barock. Auch von den ganz großen Hoffnungen auf Interaktivität und Multimedialität, hinter denen die utopischen Stichworte Partizipation und Bewußtseinserweiterung schimmern, ist kaum Nennenswertes zu sehen. Bei dem neuesten Projekt der Münchener Journalistin Susanne Berkenheger, 1997 Preisträgerin im Zeit-Wettbewerb für Internet-Literatur, kann man zwar bei einem Text verschiedene Möglichkeiten anklicken, wie die Geschichte weitergehen soll, doch die Varianten in den vier Hyperlinks sind allesamt von der Autorin geschrieben. Ulrich Janetzki vom Berliner Literarischen Colloquium fand Andreas Okopenkos Lexikon-Roman, aus dessen aufgehäuften Grunddaten man sich einen eigenen zusammenlesen kann. Und Leander Scholz meinte zu Recht, Lesen sei die variantenreichere Verknüpfungsarbeit. Synapsen sind eben doch die besseren Hyperlinks.Natürlich beeinflusst das Medium den Text. Der verflüssigt sich zu beiläufigen Mitteilungen mit begrenzter Haltbarkeit. Fürs Netz greifen Autoren schneller zu bildschirmkompatiblen Kurzformen wie Aphorismen. Am meisten wandelt sich aber der Autorenbegriff. So wie im Netz Texte herumgerückt werden, verliert der Autor die Hoheit darüber, wird selbst zum Lektor, gar Zensor, wenn er die Gästebücher seiner Homepage kontrolliert. Mancher ist noch direkter. Martin Auer fragt seine Homepage-Besucher am Ende seiner ausgestellten Romanentwürfe in einem Fragebogen: »Haben Sie sich gelangweilt? Wenn ja, an welchen Stellen?« Erschrocken sah die Wiesbadener Autorin Christine Eichel schon das »Plebiszit der Leser« den solipsistischen Autor verdrängen.Es scheint also alles auf eine friedliche Koexistenz von Netz und Text zuzulaufen. Noch wird das Buch nicht auf einem der virtuellen Friedhöfe beigesetzt, die inzwischen das Netz bevölkern. Denn wenn das Stichwort von Leander Scholz richtig ist, dass das Internet vor allem den Text verräumlicht und den in der Buchkultur unterdrückten Zeichencharakter der Schrift wieder hervorgebracht hat, dann liegt die Zukunft der Netzästhetik womöglich weniger im Text als im Bild, im Spiel. Und der Text koexistiert friedlich mit dem Netz. Ulrike Draesner sprach in ihrer Typologie der Netzästhetik folgerichtig vom Netz als Theater und Bühne, wo durch den Rahmen des Bildschirms etwas zur Aufführung gebracht wird und Wörter wie Masken agieren. Kein Zufall also, dass Olivia Adler ihren Roman abbrach und stattdessen die Stadt »Cyberia«, in der er spielen sollte, vom Postamt bis zur Schule virtuell nachbaute. Auf Wunsch kann man sich sogar ein Gästezimmer einrichten lassen. Damit bewies die virtuose Medienartistin zwar ein beachtliches Konstruktionsvermögen. Kunst baut sich bekanntlich eine eigene Welt. Trotzdem ist hier der Unterschied zum Webdesign schmal. Überzeugender war da der sichtlich von sich selbst begeisterte Bremer Rap-Poet Bastian Böttcher. Rasant und ohne Berührungsängste verquirlte der die Netztsprache poetisch: ich cruise durch jusos und durch usergroups/online und zieh mir chips rein/per tastatur durch die textur/wirf dich weg mit high tech. Szenenapplaus. Diese euphorische Unbefangenheit markiert auch einen Generationenwechsel gegen den Burkhard Spinnen plötzlich wie ein mittelalterlicher Schriftrollengelehrter wirkte. Auf seinem hypertextuell verzweigt fließenden Rap auf CD, der demnächst auch im Handel ist, kann Böttcher die normale Fließrichtung des gesprochenen Textes, der gleichzeitig als Ornamentband auf dem Bildschirm zu sehen ist, mit einem Knopfdruck verändern und so in eine dadaistische Wort-Klang-Collage zerstückeln. Für seine Internet-Kunst mit dem schönen Namen looppool hat Böttcher die Produktivkraft Schnittstelle genutzt - zwischen Bild und Schrift.
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