„Hallo, hier Ruslan ...“

Tschechien Lokaltermin in Vrbětice, wo russische Agenten im Jahr 2014 zwei Munitionsdepots gesprengt haben sollen
Ausgabe 20/2021
Überreste eines Munitionslagers in Vrbětice, Tschechien
Überreste eines Munitionslagers in Vrbětice, Tschechien

Foto: CTK Photo/IMAGO

Das war ein Riesenknall mit Rauchwolke, 2014 in Vrbětice, kurz darauf war es so still wie nie, keine zwitschernden Vögel, nichts. In einigen Bäumen hingen Maschinengewehre. Wenn ein Tier dort entlangstreifte, folgten kleinere Explosionen noch wochenlang. Die übrig gebliebenen Waffendepots zu leeren, füllte 550 Laster, 953 Hektar Wälder und Weiden blieben fünf Jahre lang gesperrt. Seit 17. April 2021 beschuldigt Tschechien zwei aus Funk und Fernsehen bekannte Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU als Täter.

Vrbětice, 400 Einwohner, liegt in der mährischen Walachei. Ein kaltsonniger Morgen im Mai, Weiden im Weichzeichnerlicht, Silhouetten von Kuhherden. Die Causa ist wirr: Sinn ergibt, dass Russland die vom bulgarischen Waffenhändler Gebrew angekaufte Munition zerstören wollte, so konnte sie die Ukraine nicht kriegen, parallel wurden auch Anschläge auf Gebrew und bulgarische Depots verübt. Nur bedingt ergibt Sinn, dass der Verkäufer, der tschechische Waffenhändler Bernatík, die Agenten in die Anlage ließ. Dafür reichten zwei falsche Pässe mit den richtigen Fotos und Mailanfragen im Stil von: „Hallo, hier Ruslan Tabarow von der Nationalgarde Tadschikistans, kann ich mit meinem moldawischen Kollegen Nicolai Popa mal eben schauen kommen?“ (Dass Bernatík Präsident Zeman just in jener Zeit nach Tadschikistan begleiten durfte, weist immerhin auf eine mögliche Geschäftsbeziehung mit den tadschikischen Grenztruppen hin.) Es ist nicht dokumentiert, dass die zwei GRU-Agenten das weitläufige Areal bei Vrbětice betraten, die Erlaubnis dazu hatten sie aber. Am 16. Oktober 2014 flog Depot Nr. 16 in die Luft, am 2. Dezember Depot Nr. 12. Überhaupt keinen Sinn ergibt, dass genau diese zwei unbegabten Agenten 2018 zur Vergiftung des Überläufers Skripal nach Großbritannien geschickt wurden – und wieder patzten.

Ich rede mit Leuten. Die beiden Toten von Depot Nr. 16, zwei 56-jährige Tschechen, kannte niemand. Sie waren offenbar angereist und konnten auch Komplizen gewesen sein. Eine Vrběticerin im Dorfkern sagt, „seltsam das alles“, und erinnert sich, dass im angrenzenden Vlachovice das Fensterglas zersprang, in Vrbětice nicht.

Belogen wurden sie immer

Ein schöner Schafhirte in Retro-Pullover kommt auf seinem Fahrrad herbei. Er erlebte die Explosion auf dem Feld: „Mein erster Gedanke war, das gibt Tote.“ Vrbětice wurde beide Male evakuiert. Er hält die Russen für schuldig und wirkt darob erleichtert. Am unteren Dorfrand springt mich ein spuckendes Männlein an. Ohne Beweise glaubt er erstens nichts, und zweitens: „Wir sind selber schuld.“ Er war kein Kommunist, sagt er, habe an Amerika geglaubt, seit der Lüge von Saddams ABC-Waffen aber nicht mehr. Im Kommunismus seien die Depots „von 30 Soldaten mit Hunden bewacht worden“. Seit der Vermietung an private Waffenhändler sind die Zäune löchrig, und „es wacht ein einziger Rentner“. Eine Konstante sei, dass die Vrběticer in jeder Epoche über den Inhalt der Depots belogen wurden. 2014 kam raus, dass eine Halle verbotene Landminen barg. Was er mir zeigen will, hat auch die New York Times nicht gesehen. An Schuppen und Rennpferden vorbei führt er mich zu schmalen, etwa fünf Meter langen, kyrillisch bedruckten Metallgehäusen: „Da, das haben sie vor 15 Jahren in den Depots abgegeben, eignet sich gut als Viehtränke. Das sind Container von sowjetischen Raketen. Und wie haben sie geschworen, dass es in Vrbětice keine Raketen gibt!“ Über die schönste Raketenhülse lässt er seine Rennpferde springen.

Ich komme kaum weg, so sehr zappelt der Mann vor Zorn. „Nowitschok“, schreit er, „was ist das für ein Gift, alle überleben es!! Und wie kann das sein, dass Putin die zwei Versager nicht im sibirischen Permafrost versenkt hat!?“ Das sind gute Fragen, ich stelle sie mir auch, aber dann fällt mir ein: Ist das vielleicht Strategie? Schickt der Kreml bewusst dämliche Agenten los, um hinterher sagen zu können, haltet ihr uns wirklich für so dämlich?

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