Neubeginn im Zeichen der gelben Fliege
Jahrelang waren die Hamburger Liberalen zerstritten und strandeten bei der vergangenen Bürgerschaftswahl als Klientelpartei bei 2,8 Prozent. Als im letzten Sommer auch noch der Spitzenkandidat zurücktrat, weil er sich von Kollegen gemobbt fühlte, drohten die Freien Demokraten vollends unterzugehen. Hinnerk Fock (64) ist mit seiner gelben Fliege am Kragen nun zu einem Symbol des Aufbruchs geworden. Derzeit liegt die Partei bei fünf Prozent und könnte damit zum Zünglein an der Waage für Ole von Beust werden, dessen CDU der Wunschpartner der Hamburger FDP ist. Fock, seit 39 Jahren bei den Liberalen, gilt als ruhig im Ton, wenig charismatisch, aber klar in der Sache - auch wenn es sich dabei nicht immer um die ganz großen Themen handelt. Die FDP ist gegen ein Rauchverbot in Eckgaststätten, gegen den Leinenzwang für Hunde und gegen eine City-Maut. Stattdessen fordern die Liberalen mehr frühkindliche Bildung. Sie wollen die Gymnasien erhalten, eigenständige Hochschulen und unbedingt einen "Bürokratiekosten-TÜV" einführen.
Grüne Ex-Lehrerin im Bildungs-Wahlkampf
Lange Zeit sah es für die Grünen, die in Hamburg traditionell stark sind, wirklich gut aus: Zeitweilig lag die Grün-Alternative Liste GAL in Umfragen bei 13 Prozent. Eine Wiederholung des Ergebnisses von 2004 (12,3 Prozent) schien greifbar nahe. Doch dann sackte die Partei auf zehn Prozent ab. Schwarz-grüne Gedankenspiele, die CDU-Bürgermeister Ole von Beust ebenso anstellte wie die Vizechefin der grünen Bundestagsfraktion, Krista Sager, kamen bei der Basis offenbar nicht gut an. Einem solchen Bündnis, es wäre das erste auf Landesebene, liegen ohnehin große politische Steine im Weg: So ist die GAL anders als die CDU gegen das geplante Kohlekraftwerk Moorburg, wendet sich gegen eine Elbvertiefung und verteidigt Volksentscheide.
Auch beim Thema Bildung verfolgen die Grünen und ihre Spitzenkandidatin Christa Goetsch (55) andere Ziele: Goetschs Erfahrungen als Lehrerin prägen das Papier Neun macht klug, das für eine einheitliche Schulstruktur nach skandinavischem Vorbild wirbt - die Union plädiert derweil für ein Zwei-Säulen-Modell, in dem Stadtteilschule und Gymnasium nebeneinander stehen. Goetsch ist mit einem Lehrer verheiratet und hat einen Sohnes. Seit 2002 führt sie die Hamburger GAL-Fraktion.
Kein linker Flirt mit der SPD - aber ein Angebot
Die Linkspartei hatte angekündigt, als fundamentale Opposition den Protest der Straße in die Bürgerschaft zu tragen. Doch längst sind auch Stimmen für die Tolerierung eines rot-grünen Minderheits-Senats laut geworden. Die Spitzenkandidatin Dora Heyenn meidet Festlegungen. "Ich habe nie mit Michael Naumann geflirtet, und ich verspreche, ich werde es auch nicht tun", sagte die 58-Jährige mit Blick auf den SPD-Mann. Wenn es allerdings eine Chance gebe, linke Politik umzusetzen, werde man sie auch nutzen.
Hamburg für alle, lautet das Wahlmotto der Linken: Für gebührenfreie Bildung, Mindestlohn, öffentliche Krankenhäuser, Sozialticket, Volksentscheide. Über ihren politischen Werdegang sagt Heyeen, sie habe zwangsläufig bei der Linken landen müssen, weil sie systemkritisch sei und auf der Seite der Schwachen stehe. Begonnen hat die Lehrerin ihr politisches Engagement in den siebziger Jahren bei den Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein - geprägt vom "Roten Jochen" Steffen, dem früheren Landesvorsitzenden, einem der Ziehväter der SPD-Linken. 1999 wandte sich Heyenn von den Sozialdemokraten ab. Die Schrödersche Reformagenda 2010 führte sie erst zur Wahlalternative WASG und schließlich zur neuen Linken. Umfragen sagen der Partei einen sicheren Einzug in die Bürgerschaft voraus.
Ein neues Wahlrecht und eine neue Volksinitiative
Am Sonntag werden die Hamburger mit einigen formalen Neuerungen zu kämpfen haben. In den Wahlkabinen erwarten sie vier Wahlzettelhefte, jeweils etwa 30 Seiten stark. Für die Bürgerschaft hat jeder Wahlberechtigte sechs Stimmen - eine für die Landesliste einer Partei und fünf für einen oder mehrere Wahlkreiskandidaten. Die können alle an einen Bewerber vergeben oder auf mehrere Kandidaten verteilt werden. Hintergrund: Bei der letzten Bürgerschaftswahl hatten die Hamburger über eine Volksinitiative abgestimmt, im Juni 2004 war ein entsprechender Volksentscheid für ein neues Wahlrecht erfolgreich. Die CDU-Mehrheit veränderte die Novelle jedoch so stark, dass schon die nächste Volksinitiative eine abermalige Änderung des Wahlrechtes fordert. Man wolle, so die Initiatoren, "die Verfälschung des Volksentscheides von 2004 (...) rückgängig machen".
Auszählung wird deutlich teurer als geplant
Ursprünglich sollte in Hamburg ein so genannter Wahlstift zum Einsatz kommen. Solche elektronischen Hilfen stehen wie auch Wahlcomputer wegen möglicher Manipulationen der Ergebnisse seit langem in der Kritik. Offenbar zu Recht: Der Chaos Computer Club hat im vergangenen September einen der Hamburger Wahlstifte geknackt. Die Bürgerschaft entschied sich später, den Urnengang auf althergebrachte Weise durchzuführen und die Stifte auch nicht nach der Wahl als Zählhilfe zu benutzen. 12.000 Geräte waren umsonst angeschafft - für rund 2,4 Millionen Euro. In Hamburg werden wegen des veränderten Wahlrechts auch mehr Helfer gebraucht, als bei früheren Wahlen. Rund 15.500 Freiwillige sollen vier Tage lang die Stimmen auszählen, dabei werden Kosten von bis zu zwölf Millionen Euro anfallen.
Rechtsradikale DVU in Umfragen chancenlos
Rund 600 Menschen haben am vergangenen Wochenende gegen eine Wahlveranstaltung der rechtsradikalen DVU protestiert. Der Partei des Verlegers Gerhard Frey räumen die Demoskopen in Hamburg aber keine Chancen ein. In aktuellen Umfragen taucht die Partei lediglich unter den "Sonstigen" auf, die insgesamt bei etwa drei Prozent liegen. Allerdings haben Rechtsausleger in der Hansestadt auch schon andere Ergebnisse eingefahren. 2001 zog die Schill-Partei mit 19,4 Prozent in die Bürgerschaft ein und wurde sogar zum CDU-Regierungspartner. Nach zahlreichen Querelen scheiterte allerdings nicht nur die Koalition, sondern die Schill-Partei insgesamt. Ihr Namensgeber, der Ex-Amtsrichter und spätere Innensenator Ronald Schill, war zwischenzeitlich sogar untergetaucht. Die DVU hatte schon seinerzeit kaum eine Chance. 2001 kam die Partei nur auf 0,7 Prozent.
Wahlen in Hamburg
Landtagswahl Februar 2004
Ergebnisse in %, in Klammern Mandate
CDU 47,2 (63)
SPD 30,5 (41)
GAL 12,3 (17)
FDP 2,8 (0)
Andere 7,2 (0)
PDS nicht angetreten
Bundestagswahl September 2005
Ergebnis in %, in Klammern 2002
CDU 28,9 (28,1)
SPD 38,7 (42,0)
Grüne 14,9 (16,2)
Linkspartei 6,3 (PDS 2,1)
FDP 9,0 (6,8)
Andere 2,2
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