Hamburg ist ja so geil liberal

Bürgerschaft An der supersympathischen Hansestadt solle Deutschland sich ein Beispiel nehmen, hieß es nach der Wahl, etwa in der taz. Ein Widerspruch
Kein Grund zum Jubeln. Die Nazis bleiben auch nach einer Landtagswahl in Deutschland
Kein Grund zum Jubeln. Die Nazis bleiben auch nach einer Landtagswahl in Deutschland

Foto: Patrik Stollarz/AFP via Getty Images

Nach den brutalen rechtsterroristischen Taten von Hanau packte viele Deutsche auf einmal die Angst: Sollte es wirklich ein Rassimusproblem geben, tatsächlich eine Faschisierung stattfinden? Hier, in Deutschland? War nicht eben noch Sommermärchen? Ein paar Tage später aber folgte endlich Entwarnung. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg fingen die Leute auf Twitter früh an zu jubeln: Um kurz nach 18 Uhr sah es so aus, als bliebe die AfD knapp unterhalb der 5-Prozent-Hürde – und damit draußen aus der Hamburgischen Bürgerschaft.

„Hamburg entnazifiziert“, hieß es sofort in den Sozialen Medien: Nazis, das sind also doch nur die anderen, die im Osten! Diese Freude hielt allerdings nur kurz. Schon in der zweiten Hochrechnung lag die AfD knapp über fünf Prozent. Am Ende schaffte sie es mit 5,3 Prozent ins Parlament. Unterm Strich aber blieb – so wurde es vielfach gedeutet – ein Verlust im Vergleich zur vorangegangenen Wahl, bei der die Partei noch 6,1 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen hatte. In absoluten Zahlen: 214.596 Stimmen 2019, vor fünf Jahren waren es 214.833 gewesen.

Hafencity, hurra!

Also was denn jetzt? Steht der Faschismus jetzt vor der Tür oder haben wir ihn besiegt? taz-Chefredakteur Georg Löwisch schrieb am Tag nach der Wahl: „Hamburg zeigt supersympathisch, was wahre Bürgerschaft heißt. Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen.“ Ja, so geil liberal wie die freie Hansestadt soll das ganz Land werden! Finde ich auch.

Und freue mich jetzt auf Umweltverschmutzungen durch Kohlekraftwerke, ein wirkmächtiger Bund zwischen Regierenden und Reichen, weiter steigende Mieten, Abschiebungen nach Afghanistan, Ankerzentren, brutales Vorgehen gegen Demonstrierende nicht nur beim G20-Gifel, fehlende Aufarbeitung von Polizeigewalt, keine Untersuchungsausschüsse bei rechtsterroristischen Taten, auf noch viel mehr Hafencities – und vielleicht springt ja noch ein weiterer Ronald Schill für uns alle raus?

Natürlich macht es einen Unterschied, ob die AfD in Parlamenten sitzt oder nicht. Doch wenn man SPD und Grüne als progressive Kräfte schön redet, verschließt man die Augen davor, wer an der sozialen Misere Schuld trägt. Es sind ebenjene Parteien, die seit 1998 Sparmaßnahmen und Privatisierungen massiv vorangetrieben und Hartz IV durchgesetzt haben, die zu Hass, Rassismus und Ausgrenzung nicht nur, aber vor allem mit der Zustimmung zu einem brutalen Grenzregime beigetragen haben.

Wer übrigens Hamburg wirklich entnazifizieren möchte, könnte zum Beispiel am 1. Mai hinfahren, und sich den Rechten entgegen stellen.

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