Handwerk

Kommentar Ein Nachtrag zu 50 Jahre "Bild"

Die Ergebnisse der Pisa-Studie lassen sich in vereinfachter Lesart schnell mit einem altbundesrepublikanischen Mythos kurzschließen - dem vom anspruchsvollen Abitur im Süden gegenüber dem dank Reformpädagogik leichteren im Norden. Aufs Trefflichste vom Lateinsprüche zitierenden Franz-Josef Strauß verkörpert, war dieser Mythos auf den Antagonismus von alt-humanistischem Bildungsideal hier und progressiver Zersetzung des Werte-Kanons dort aufgebaut. Anders gesagt: Wo im konservativen Süden noch Goethes Faust studiert wurde, nahm man im sozialdemokratischen Norden im Deutschunterricht die Bild-Zeitung auseinander.
Es gab eine Zeit, da galt letzteres als Inbegriff modernen Unterrichts und, ganz im Gegensatz zur Faust-Lektüre, als eine Vorbereitung aufs wirkliche Leben. Das Unterrichtsziel einer solchen Bild-Analyse war eindeutig: den Schülern sollten die Augen darüber geöffnet werden, dass Bild eine weit verbreitete, aber schlecht gemachte Zeitung war, angefangen vom jeder Druck-Design-Regel Hohn sprechenden Schriftensalat über die unzulängliche Grammatik der Überschriften bis hin zu den reißerisch-unpräzise formulierten Kurz-Artikeln, die selten wirkliche Informationen enthielten.
Aus heutiger Sicht offenbart sich, dass die Grundwerte dieses "reformierten" Unterrichts von denen im traditionelleren Süden nicht so weit weg lagen. Vollständige Sätze waren wichtig, genauso wie die Einhaltung ästhetisch fundierter Gestaltungsprinzipien, kurzum: die bewährten Kriterien der Hochkultur. Und die brachten ans Licht, dass eine Zeitung wie Bild sich bereits über die Verletzung der Formen selbst entlarvt, eine inhaltliche Kritik erübrigte sich dann schon fast.
Solch Aufklärungs-Furor weckt heute allenfalls nostalgische Gefühle. Diesen Eindruck konnte man zumindest aus den zahlreichen Jubiläumsartikeln zu "50 Jahre Bild" gewinnen. Der Jubilar wird gewürdigt, das ist heute keine Frage mehr. Er wird jedoch nicht bejubelt, auch das versteht sich heute noch. Aber es scheint ungleich viel schwerer, Bild zu kritisieren, als das vor 25 Jahren der Fall war. Was nicht daran liegt, dass sich Bild wesentlich verändert hätte. Die Umstände der Kritik dagegen schon. Die Gründe dafür sind dieselben, die die Diskussion über die notwendigen Konsequenzen aus der Pisa-Studie so schwierig machen: Das Bezugssystem der Bildung hat sich verändert, es genügt längst nicht mehr, die Kriterien der Hochkultur in Anschlag zu bringen und alles, was sich nicht daran hält, einfach auszuschließen.
"Boulevard" mit all seinen Regelüberschreitungen als ein eigenes Handwerk zu begreifen, hat sich weitgehend durchgesetzt und wird ja auf anderen Feldern, zum Beispiel der Popmusik, als Emanzipation empfunden. Die taz spielt mit der "Handwerksthese", wenn sie die Bild würdigt, indem sie sie für einen Tag auf der Titelseite nachahmt und so zeigt, dass Bild im Grunde nichts anderes ist als ein bestimmtes Verfahren, Überschriften zu gestalten. Man wünscht sich, es wäre so.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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