Handy-Wahnsinn

Kehrseite Gehilfen der Kommunikation

Als ich den Hörer abnehme und dem Schnellsprecher lausche, der mir etwas von Telefongesprächen mit dem Mars erzählt, will ich schon auflegen, weil wir dort eigentlich niemanden kennen. Meine zweifache Nachfrage ergibt dann, dass die Firma so ähnlich wie Global World Mars Communications heißt, aber der Mann am Telefon hat seinen eigenen Namen heute wohl schon fünfzig Mal wiederholen müssen. So frage ich einfach: "Worum geht es eigentlich?" Man ist ja höflich.

"Ich möchte Ihnen unsere sagenhaft günstigen Telefontarife vorstellen. Sie können zum Beispiel nach Südafrika für nur 14,89 Pfennig die Minute telefonieren, bei sekundengenauer Abrechnung! Oder nach Armenien für nur 56,99 Pfennig. Und wenn Sie unseren Tarif Duplex 007 nehmen - jetzt kommt der Hammer! -, telefonieren Sie von Ihrem Handy ins kalifornische Festnetz für nur 29,29 Pfennig, auch sekundengenau."

"Ich habe gar kein Handy!", sage ich. In der Leitung höre ich nur ein Schlucken. "Hallo!", rufe ich, "sind Sie noch da?" Schweres Atmen, dann ein Entsetzensschrei: "Was, Sie haben kein Handy? Das gibt´s doch nicht, das kann doch nicht wahr sein!"

"Ich brauche kein Handy", sage ich wahrheitsgemäß. "Das gibt es nicht! Jeder braucht ein Handy, die meisten sogar zwei! Was machen Sie denn beruflich?" Ein geschulter Verkäufer lässt sich so leicht nicht abwimmeln.

"Ich schreibe Geschichten", sage ich. "Wunderbar! Da müssen Sie doch sicher mit Redaktionen und Verlagen telefonieren. Und die können Sie nicht erreichen, wenn Sie unterwegs sind! Und noch viel schlimmer: Die Redaktionen können Sie nicht erreichen, und Sie verlieren Aufträge, verstehen Sie? Das kostet Sie möglicherweise viel Geld, so ohne Handy, heutzutage, verstehen Sie?"

"Nein", sage ich. "Ich bin nicht unterwegs, wozu auch? Ich sitze hier am Schreibtisch, wenn nicht, dann bin ich mit dem schnurlosen Apparat in unserem Garten."

"Aha ... aber Sie fahren doch auch mal in Urlaub. Da wollen Sie doch erreichbar sein und selbst auch mal telefonieren oder SMS-Messages versenden!" Der Verkäufer wird jetzt etwas lauter. "Danke, ich brauche kein Handy. Ich kann von jedem Hotel aus anrufen, wen ich will und muss auch keine Messages versenden", erwidere ich.

"Aber wenn Sie noch nicht im Hotel sind, unterwegs ...", ruft der Verkäufer flehend in den Hörer. "Dann gibt es an jeder Tankstelle ein Telefon", sage ich ruhig.

"Aber Sie wollen doch vielleicht auch mal Börsenkurse oder Wetterberichte oder Verkehrsmeldungen abrufen, um sofort informiert zu sein. Verstehen Sie: sofort!"

"Ich brauche Börsenkurse nicht sofort, das Wetter sehe ich während der Fahrt und Verkehrsmeldungen höre ich im Autoradio", sage ich, weil es nun einmal so ist.

"Aber das gibt es doch nicht! Bei diesem niedrigen Tarif, den wir Ihnen jetzt bieten: nur 12,99 Pfennig die Minute im vorteilhaften 12,99-Sekunden-Takt. Da können Sie doch nicht ohne Handy leben, so einfach ohne Handy! Das geht doch nicht. Jedes Kind braucht heute schon ein Handy!" Die Stimme des Verkäufers überschlägt sich, er beginnt laut hörbar zu schluchzen.

Jedes Kind braucht ein Handy? Hilfsbereit gebe ich ihm einen Tipp: "Vielleicht versuchen Sie es mal in unserem Kindergarten? Hier ist die Nummer."

Zwei Tage später lese ich in der Lokalzeitung die Überschrift: "Wahnsinniger belästigt Kindergärtnerin am Telefon."

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