Die steigende Zahl autoritärer Regierungen gehört zu den Themen auf der globalen Agenda, die stärker beachtet werden sollten als bisher. Das ist umso dringlicher, als wir uns dem 25. Jahrestag der UN-Erklärung über die Rechte von Menschenrechts-Verteidiger:innen nähern, deren Ziele bisher zum großen Teil unerreicht geblieben sind. Bei der komplexen Aufgabe, Autoritarismus zu beschreiben, kann Hannah Arendts Definition von Totalitarismus hilfreich sein. Sie sah drei Dimensionen. Erstens beruht der Totalitarismus als Regierungsform auf dem Einsatz von Terror. Zweitens beinhaltet er die fortschreitende Beseitigung der Freiheit durch formale Rechtsreformen mit dem Ziel, Räume für die Zivilgesellschaft und ihre kollektiven Organisationen zu schließen: Das Recht wird eingesetzt, um die politischen Ziele einer autoritären Regierung zu erreichen. Drittens gehört zum Totalitarismus eine Politik, die sich militärischer Ausdrucksformen bedient, was zu einer Militarisierung sowohl des Regierungshandelns als auch ziviler Aktivitäten führt.
Im aktuellen Kontext muss zusätzlich die Idee der Globalisierung einbezogen werden, wenn es um das Denken autoritärer Regierungen geht. Im wirtschaftlichen Bereich hat die Globalisierung zu einer Deregulierung geführt, basierend auf der Idee von der „Öffnung der Grenzen“. Einer Öffnung, die zwar für Produkte und Dienstleistungen gilt, aber immer noch nicht für den Transit von Menschen. Diese kommerzielle Öffnung geht mit erheblichen Ungleichheiten in der Welt einher, nicht nur innerhalb der einzelnen Länder, sondern auch zwischen den Ländern des Globalen Nordens und Südens.
Schmutziges Geschäft
Die Dimensionen des Totalitarismus, die Arendt vor mehr als 70 Jahren zur Diskussion gestellt hat, sind auch in der heutigen Welt noch relevant. Abgeleitet aus ihrer Analyse, kann die Überschneidung von Totalitarismus und Globalisierung als „neuer“ Totalitarismus verstanden werden. Diese „neototalitäre“ Art des Regierens zeigt sich nicht in einzelnen „Führern“ wie Josef Stalin oder in Massenparteien, wie es sie vor Jahrzehnten gab. Der Neototalitarismus lässt sich daran erkennen, wie Staaten und globale Konzerne Angst und Terror als Mittel zur Durchsetzung ihrer eigenen, vor allem wirtschaftlichen Interessen einsetzen. Hier sehe ich einen Unterschied zu Arendts Modell: Heute sind die globalen Konzerne ein wesentlicher Teil dieses Systems und nicht nur Zuschauer. Regierungen und Unternehmen sind mehr denn je miteinander verwoben.
Dieser neue Totalitarismus arbeitet an einer eigenen Erzählung, um seine Gefolgschaft zu vergrößern. Zu der von ihm gerahmten Kommunikation gehören unter anderem folgende Bestandteile: Die systemische Ungleichheit wird als „Unfähigkeit“ der Länder, ihre Grenzen für den Handel zu öffnen, und nicht als Neokolonialismus des Globalen Nordens dargestellt. Die Klimakrise wird als Tatsache anerkannt, aber als Lösung wird die „grüne Energie“ propagiert. Das bedeutet, dass Anlagen zur Energiegewinnung in Gebieten des Globalen Südens gebaut werden, ohne den Überverbrauch zu berücksichtigen, der hauptsächlich in Städten des Globalen Nordens erzeugt wird. Anerkannt wird auch, dass Lösungen einen multilateralen Fokus erfordern. Aber zugleich werden die Stimmen der am meisten betroffenen Menschen systematisch zum Schweigen gebracht, also zum Beispiel indigene Gemeinschaften, Frauen oder Arbeiter. Nicht alle Stimmen haben bei Entscheidungen das gleiche Gewicht. Sicher sind diese neuen Totalitarismen in der ganzen Welt zu finden, aber bei genauer Betrachtung sind es die Länder des Globalen Südens, in denen die Beziehungen zwischen Autoritarismus und Globalisierung am stärksten zu spüren sind. Und es sind die Institutionen dieser Länder, die das „schmutzige Geschäft“ der Globalisierung betreiben. Dies zeigt sich in der Enteignung von Gemeinschaften, denen ihr Land und ihre natürlichen Ressourcen genommen werden. Es zeigt sich in der Verabschiedung von Gesetzen, die einer großen Mehrheit der Menschen die Arbeitsrechte entziehen, in der Aufrechterhaltung eines sexistischen Systems und in einer Steuerpolitik, die die Reichen noch reicher macht, sowie in Hunderten von anderen dokumentierten Beispielen.
Wo die Zivilgesellschaft leidet
Heutzutage sind Menschenrechts-Aktivist:innen, die es wagen, diese Probleme anzuprangern oder auch nur auszusprechen, Ziel von Angriffen und Drohungen. Lateinamerika ist derzeit die gewalttätigste Region der Welt für Menschenrechtsverteidiger:innen im Umweltbereich. In diesem Zusammenhang ist es interessant, einige Hinweise aus dem Global Civic Space Report 2022 – 2023 des Civil Society Observatory (Civicus) genauer zu betrachten. Er bietet einen Überblick über Zustand und Einschränkung zivilgesellschaftlicher Räume weltweit.
Zu den Zahlen, die in dem Bericht genannt werden und als Belege für den neuen globalen Totalitarismus dienen können, gehört Folgendes: 88 Prozent der Menschen leben in Ländern, in denen Rede-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt sind; 87 Prozent der Länder schränken die Zivilgesellschaft in irgendeiner Weise rechtlich oder praktisch ein; 30 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen zivile Räume „unterdrückt“ oder „geschlossen“ sind. Im Jahr 2022 gab es weltweit 99 neue oder geänderte Gesetze, die die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einschränken.
Hier einige Beispiele: In China führt das Gesetz über soziale Organisationen eine strenge staatliche Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ein und verbietet ihnen bestimmte Aktivitäten. In Russland zwingt das Gesetz über ausländische Agenten die NGOs, sich als „ausländische Agenturen“ registrieren zu lassen, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten, was mit hohen Verwaltungskosten und einer Stigmatisierung verbunden ist. In Ägypten schränkt das NGO-Gesetz die ausländische Finanzierung und die Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte ein, was zur Schließung mehrerer globaler Organisationen im Land geführt hat. In Nicaragua verpflichtet das Gesetz zur Regulierung ausländischer Agenten Organisationen dazu, sich als „ausländische Agenturen“ registrieren zu lassen, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten, was zu ständigen Kontrollen und Drohungen seitens der Regierung führt. In Ungarn legt das Gesetz über die Zivilgesellschaft einen strengen Regelungsrahmen für NGOs fest, die Geld aus dem Ausland erhalten, was ihre Arbeitsmöglichkeiten einschränkt. In Israel schreibt ein Gesetz vor, dass die Organisationen ihre Finanzierungsquellen angeben müssen, was zu einer Stigmatisierung einiger von der Regierung kritisierter Organisationen führt. In Mexiko ist das Panorama bei einigen Themen ebenso beunruhigend. Diese Logik spiegelt sich nicht nur in einer militärischen Verstärkung der öffentlichen Sicherheit wider, sondern sie ist auch in verschiedenen Bereichen der öffentlichen zivilen Verwaltung (Häfen, Infrastrukturprojekte) präsent. Auch von der Präsidentschaft aus werden ständig Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger:innen geführt.
Wir sehen uns also nicht nur inhumanen Globalisierungsprozessen gegenüber, sondern auch unterschiedlichen Formen vertikaler und autoritärer Regierungen, die nicht nur das soziale Zusammenleben, sondern insgesamt das Leben von Menschenrechtsverteidiger:innen bedrohen. Der Neototalitarismus ist zum Rezept geworden, nach dem autoritäre Regierungen sich zu konsolidieren versuchen.
Deshalb ist es dringender denn je, auf der Forderung nach einer Rechenschaftspflicht von Unternehmen zu bestehen und die Vereinnahmung des neototalitären Staates durch Konzerne zu analysieren, um die Menschenrechte zu verteidigen. Es geht buchstäblich um unser Leben.
Alejandra Ancheita ist Geschäftsführerin der mexikanischen Menschenrechtsorganisation ProDESC, die sich für ökonomische, soziale und kulturelle Rechte einsetzt. Der hier abgedruckte Text beruht auf einem Beitrag, der zuerst in der mexikanischen Zeitschrift Proceso erschien. Sie nimmt an der „Global Assembly“ teil
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