Herbert Behrens, 62, kam von der DKP und nach einer Pause zur Linken in den Bundestag
Foto: Florian Gaertner/Photothek/Getty Images
Zurzeit ist er einer der wichtigsten Politiker in Berlin. Herbert Behrens, 62 Jahre alt, von der Linkspartei, leitet den Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Diesel-Abgasskandal. Er ist der Mann, der die parlamentarische Aufklärung eines der größten europäischen Industrieskandale anführt. Aber Behrens ist keine Rampensau. Keiner, der voreilige Schlüsse zieht. Er will es ganz genau wissen.
Eine Medienberaterin hat ihm einst den Tipp gegeben: „Stell dir vor, du hast einen Berg von Wäsche, aber nur eine ganz kurze Leine. Da passen nur drei Stücke drauf.“ Behrens will Politik machen, seit er 16 Jahre alt war. Es begann mit einem Marx-Lesekreis, den sein Lehrer initiierte. Er trat in die DKP, in die Deutsche Kommunistische Partei, ein. In
, ein. In dem Dorf Pennigbüttel, heute ein Ortsteil von Osterholz-Scharmbeck im Norden Niedersachsens, wurde damals geredet. Die Aufmerksamkeit, die er nun bekommt, ist anders, kein Getuschel. Plötzlich soll er in Kameras und Mikrofone sagen, wie es wirklich war mit den VW-Tricksereien, wie eng Staat und Wirtschaft verflochten sind. Und: was sich ändern muss nach dem Abgasskandal, der VW über 20 Milliarden kostete – bis jetzt.Es ist geregelt, welche Fraktion wann einen Vorsitz bekommt. Die Linken waren dran. Behrens, ausgebildeter Schriftsetzer, auch Gewerkschafter, ist ihr Verkehrsexperte. So kamen sie auf ihn. 2005 kam er zur Partei. Aus der DKP hatte er sich schon 16 Jahre zuvor verabschiedet, brauchte aber erst mal, sagt er, eine „Reflexionszeit“, Abstand vom geschönten Bild der DDR, von Parteien an sich.Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, einer der bestbezahlten Manager der Republik, musste sich im Ausschuss seinen Fragen stellen. Vizekanzler Sigmar Gabriel war auch schon da. Kanzlerin Angela Merkel, eine der mächtigsten Frauen der Welt, wird es im März sein. Behrens kann jetzt an der Macht der Wirtschaft rütteln, angreifen, skandalisieren.Behrens, 1,89 Meter, blaue Augen, schlohweißes Haar, freundlicher Typ, grüßt mit „Moin“. Er hängt an seinem Zuhause, das Osterholz-Scharmbeck immer blieb. Berlin ist ihm bis heute fremd. In der Hauptstadt hat er, seit er 2009 in den Bundestag kam, eine kleine Bude für Montag bis Freitag. Die meiste Zeit verbringt er im Büro im Parlamentsviertel, das er sich mit einem Mitarbeiter teilt.Den Kaffee serviert Behrens in Tassen des Arbeiter-Samariter-Bundes. An der Wand hängt ein Bild mit zwei Peperoni und dem Schriftzug: „Die Linken wollen es scharf“. Daneben ein Plakat in Form einer Todesanzeige: „Abdullatif Abdulrahman, Schüler, 14 Jahre“. Im Jahr 2010 hat er damit im Bundestag gegen die Afghanistan-Mission der Bundeswehr protestiert, zusammen mit seinen Mitstreitern wurde er des Saales verwiesen. Behrens ist mit der Friedensbewegung groß geworden. In diesem Januar, als die USA ihre Panzer über Bremerhaven nach Osteuropa verlegten, ist er auf die Straße gegangen. Allerdings war das eine kleine Sache, es kamen 400 Leute.Behrens sitzt in seinem Bürosessel, Arme gerne verschränkt: „Ich will niemanden an die Wand nageln, sondern Strukturen ändern, die den Diesel-Skandal zugelassen haben.“ Die Autobauer mussten den Staat nicht fürchten, der richtete sich nach ihnen. Ihr Einfluss sei ihm immer klar gewesen, meint Behrens. Die neue Erkenntnis: „Das Denken der Industrie steckt bereits in den Köpfen der Politik, der Lobbyismus ist gar nicht mehr nötig.“Behrens, genauer: seine Mitarbeiter, hat brisante Unterlagen aus einem Wust von gut 1.000 Akten der Ministerien und Behörden herausgefischt – selbst wenn längere Passagen geschwärzt wurden. Bestes Beispiel: Ein Papier aus dem Kanzleramt, in dem ein Eintrag über ein Gespräch mit Wissmann zu lesen sei – aber Inhalt und Ergebnis fehlten. Matthias Wissmann ist als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie der Cheflobbyist der Branche. Das Ausmaß der Wirtschaftsnähe ist es, das Behrens „dann doch überrascht“.So schickte Horst Seehofers Staatskanzlei an das Kanzleramt ein Papier, in dem auf eine Liste mit den Hauptanliegen der Bayerischen Staatsregierung ein Abschnitt folgt, in dem die wichtigsten Forderungen der BMW Group im Einzelnen aufgeführt werden. Für Behrens ein weiterer Beleg für den netten Umgang mit der Industrie: „Als das Kraftfahrt-Bundesamt schon vor einigen Jahren feststellt, dass drei Autos von VW die Abgasgrenzwerte reißen, fordert es ausgerechnet den Konzern auf, fünf weitere Wagen für Nachtests zu liefern. Die sind dann alle okay.“ Keine Skepsis, keine Fehlersuche, keine Forderung, zukunftsfähige Autos zu bauen. Was bleibt: ein großer Schaden.„VW muss in den USA mehr als 20 Milliarden US-Dollar blechen, 30.000 Leute, davon 23.000 in Deutschland, verlieren ihren Job bei VW“, rechnet Behrens vor. Außerdem zahlten alle Bürger mit ihrer Gesundheit, insbesondere jene, die an den Hauptverkehrsstraßen lebten. „Die doppelt Betrogenen sind die, die nicht einmal ein Auto fahren, weil sie es sich nicht leisten können, aber dort wohnen, wo die Belastung am größten ist.“ Die Wut über ein ungesundes Wirtschaftssystem wächst trotzdem nicht. Muss Behrens nicht doch mal draufhauen vor den Kameras und Mikrofonen, wenn sich was ändern soll? „Die bewusste Provokation reicht nicht“, meint er. Das sorge nur für Missverständnisse. „Ich muss nachweisen können, dass was folgt.“ Wäre er Verkehrsminister? „Ich würde alle Kontakte, jedes Gespräch offenlegen.“Behrens’ Ausschuss tagt bis zur Bundestagswahl, es bleibt nur wenig Zeit, um VW und das mögliche Geflecht zwischen dem Konzern und der Politik auszuleuchten. Bald ist auch für Behrens Schluss. Die niedersächsischen Linken nämlich haben seine Kandidatur auf einem sicheren Listenplatz nicht unterstützt – und ihn damit de facto abserviert.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.