Hart und treu

Wieder einmal Der Krieg führt zur Festlegung der Geschlechter-Rollen

Zunächst war es nicht viel mehr als ein diffuser Eindruck, eine Erscheinung am Rande der Wahrnehmung. Angesichts der Schwere der Attentate auf New York und Washington nahm sie sich eher unbedeutend aus, und doch ließ und lässt sie sich nicht ganz aus dem Gesichtsfeld verbannen. Gemeint ist die Rekonfiguration, die Geschlechterrollen und -zuschreibungen seit dem 11. September durchlaufen, eine Rekonfiguration, die sich mit Regelmäßigkeit in Kriegs- und Krisenzeiten ereignet.

Ein erstes Indiz dafür war, dass, während Legionen von Fachmännern - Islamexperten, Terrorismusexperten, Mittelasienexperten, Generälen a.D., Botschaftern - auf Bildschirme und Zeitungsseiten drangen, die entsprechenden Fachfrauen mit der Lupe zu suchen waren. Dabei hätte es sie durchaus gegeben. Wäre es nicht - um ein Beispiel zu nennen - eine journalistische Herausforderung gewesen, eine Sprecherin der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan vor die Kamera zu holen? Warum war Rudolph Giuliani unentwegt zu sehen, Hillary Clinton - immerhin Senatorin für den Bundesstaat New York - so selten?

In dem Maße, in dem reale Frauen in Krisenzeiten als ernstzunehmendes Gegenüber aus der Wahrnehmung verschwinden, wird den Ereignissen und deren Schauplätzen eine symbolische Ebene eingezogen, die sich aus Geschlechterbildern speist. In der taz etwa schrieb Ute Scheub: "Sehr schnell nach dem Anschlag wurde das Bild eines nationalen Kollektivkörpers entworfen, der jetzt verwundet - kastriert? - daliegt, sich aber schon sehr bald in aller Herrlichkeit wieder aufrichten wird." Der Angriff auf das World Trade Center hätte demnach einem Phallus gegolten. Die Autorin belässt im Unklaren, ob ihre Beschreibung an der geschlechtlichen Aufladung teilhat oder ob sie sich um Distanz dazu bemüht. Vermutlich ist es gerade diese Vagheit, ist es diese Multiversalität, die die Attraktivität der Zuschreibung ausmacht. Ihr zu entkommen ist so schwierig wie erstrebenswert: Welchen Erkenntnis-, welchen analytischen Wert hat es zu sagen, dass ein Land kastriert wurde?

Kommen reale Frauen vor, dann als Opfer. Vor zweienhalb Jahren waren es die Kosovo-Albanerinnen, die vor serbischen Soldaten flohen. Heute sind es die afghanischen Frauen, denen die Taliban alles versagen, was ein würdiges Leben ausmacht: Bildung, Beruf, Teilhabe am öffentlichen Leben, Grundrechte, medizinische Versorgung. Wer aufmerksam Zeitung liest, weiß das seit Jahren, eben seit die Taliban die Macht ergriffen haben in Afghanistan. Geschehen ist deswegen wenig. Dass die extreme Misogynie der Taliban plötzlich zu einem Gegenstand des Interesses und der Argumentationen wird, liegt daran, dass sie sich heranziehen lässt, um die militärischen Schläge zu legitimieren. Natürlich ist dies so naiv wie verlogen: Naiv, weil weder die Nordallianz noch ein aus römischen Katakomben hervorgezauberter König den Frauen Gleichberechtigung zugestehen werden. Verlogen, weil sich der Westen plötzlich in einer Retterrolle gefällt, die er vor dem 11. September auch nicht für eine Sekunde in Erwägung gezogen hat.

Unterdessen beeilten sich die Leitartikel-Schreiber selbst in liberalen Zeitungen, einem harten Durchgreifen das Wort zu reden, obwohl zu diesem Zeitpunkt wenig klar und noch weniger bewiesen war. Markige Worte zirkulierten: Härte, Krieg, Treue. Ein manichäischer Blick fiel auf die Welt, teilte klar in Gut und Böse, in Zivilisation und Barbarei. Vokabeln stiegen empor wie aus einer versunkenen Zeit: ausräuchern, Schurken, jagen, niederstrecken. Es ist dies der Kontext, in dem die Rekonfiguration von Geschlechterrollen und -zuschreibungen vonstatten geht: Sie ist ein Detail innerhalb der Abkehr vom politischen, rechtsstaatlichen, demokratischen Denken hin zur Logik des Krieges.

Bisweilen mischte sich eine fast freudige Erregung in die Kommentare: Endlich war der Augenblick gekommen, in dem man sich beweisen konnte - auf dem Feld der Ehre, jenseits von Parlament, Gerichtssaal oder Redaktionsstube. "Die Propaganda stellt den Krieg meist als attraktives und aufregendes männliches Abenteuer dar", schrieb die Zagreber Intellektuelle Dubravka Ugres?ic´ in ihrem Buch Die Kultur der Lüge. Das war 1993, im Angesicht eines anderen Krieges. An Gültigkeit hat der Satz offenbar nichts verloren.

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