Harte neue Welt

Ausstellung Wolfgang Tillmans ist drei Jahre lang als Tourist durch die ganze Welt gereist. Die Kunsthalle Zürich zeigt nun seine Reisebilder

Wolfgang Tillmans war mal eben weg. Vor drei Jahren machte er sich auf den Weg, flog kreuz und quer über den Globus, landete mal in Äthiopien, mal in Saudi-Arabien, besuchte daraufhin Indien, China, Papua-Neuguinea, Australien, Argentinien, Chile. Und wie es sich für einen Fotografen gehört, brachte Tillmans Bilder mit.

Es ist das erste Mal, dass der 1968 in Remscheid geborene Künstler, der in den neunziger Jahren mit Fotos aus der Londoner und Berliner Club- und Schwulenszene bekannt wurde und seit einigen Jahren vor allem stofflich mit dem Medium Fotografie experimentiert, Reisebilder zeigt. Es ist zudem das erste Mal, dass er für seine Aufnahmen eine Digitalkamera benutzt – eine Kamera, „wie sie auch ein ambitionierter Tourist verwenden würde“, bemerkt Kuratorin Beatrix Ruf auf der Vernissage der Werkschau Neue Welt in der Zürcher Kunsthalle. Der ambitionierte Tourist allerdings hätte die meisten der Bilder, die in Neue Welt zu sehen sind, nach dem Urlaub wieder gelöscht.

Viele von Tillmans Aufnahmen sind auffällig unspektakulär. Die verblühende Lupine auf Feuerland, die gedankenverlorenen Straßenarbeiter in Schanghai – Neue Welt ist eine raffinierte Sammlung von Nicht-Motiven: Ausschnitte von Autoscheinwerfern hängen neben Bildern von trostlosen Flughafenfluren, irgendwo führt ein Wasserrohr ins Nirgendwo. Keines der Bilder erzählt eine Geschichte. Zumindest nicht auf den ersten Blick.

Oberflächlichkeit mit System

Besonders eindrücklich wird das durch die Werke aus der Reihe Silver, die der Künstler in die Ausstellung eingesprengselt hat – obwohl sie weder Reisebilder sind, noch eigentliche Fotografien. Genau genommen sind es Flecken von Silbersalzen, entstanden durch einen fototechnischen Zufallseffekt. Die Bilder heben sich ab, sind als einzige gerahmt, trotz oder wegen ihrer monochromatischen Blässe.

Die Oberflächlichkeit der Ausstellung hat System. „Wir müssen die Wahrheit der Dinge im Grunde anhand der Oberfläche der Welt ablesen“, sagt Tillmans. So stehen die kühlen Detailstudien von Autoscheinwerfern, die der Fotograf in einer Tiefgarage in Tasmanien aufgenommen hat, stellvertretend für die immer aggressivere Optik neuer Automodelle – eine Aggressivität, die sich laut Tillmans wiederum in der Gesellschaft spiegelt.

Ähnlich das italienische Polizeiboot, das im Zwielicht von Lampedusa vor sich hindümpelt. Die Insel geriet als Schauplatz tragischer Schicksale in den Fokus der Öffentlichkeit, als Flüchtlinge auf dem Weg von Afrika nach Europa an diesem Vorposten Italiens strandeten. Mit einem solchen Hintergrund bekommt die schöne Komposition der Fotografie einen bitteren Beigeschmack. „Das Positive negiert nicht das Bewusstsein für Tragik“, sagt Tillmans. Und diese Tragik lasse sich nur ertragen, wenn sie dem Betrachter nicht dick aufs Brot gestrichen werde.

Es ist eine harte Neue Welt, die Tillmans präsentiert. Doch mitten im fragmentarischen Sammelsurium an Momentaufnahmen findet sich immer auch eine Restwärme. Geborgenheit strahlt etwa das Porträt eines guten Freundes aus – eine der wenigen intimen Aufnahmen der Ausstellung. Oder die Aufnahme eines beeindruckenden Sonnenuntergangs, geknipst aus dem Fenster eines Passagierflugzeugs.

Tillmans vermittelt mit seinen Bildern ein Stück Zuhause in der neuen Welt. Es ist die Perspektive eines Touristen, der ratlos und neugierig zugleich umherreist und an jedem Ort wieder von Neuem auf seine eigenen Unzulänglichkeiten zurückgeworfen wird.

Wolfgang Tillmans. Neue Welt Kunsthalle Zürich bis 4. November 2012. Im Juli 2013 wird die Werkschau in Arles zu sehen sein

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