Die Ex-Freundin hat Geburtstag. Es soll Thai Curry geben und nachher wollen alle noch tanzen gehen, vielleicht. Ich wurde eingeladen als Babysitter, für das Kind meiner Ex-Freundin, für den Fall dass. Ich hätte ja auch tanzen gehen wollen, vielleicht? Aber ich habe mir was zu lesen mitgebracht und hoffe nun, dass die anderen auch wirklich gehen. Außerdem hatte ich so gleich ein Geburtstagsgeschenk: Babysitten eine Nacht. Das Kind ist Klasse. Er läuft seit einer Woche, ist hübsch und schaut intelligent. Er könnte von mir sein. HA! Während alle am Tisch Gemüse schneiden, zähle ich die Thai Restaurants auf, die ich kenne. Als alles geschnitten ist, warten wir auf "die Köchin". Neben dem Herd stehen die Zutaten: Kokosmilch, Red Curry und T
d Tom Kha Paste. Ich weiß, dass alle denken: "Das bekäme ich auch noch hin." Als die Köchin kommt, beschwert sie sich, dass die Putenstücke zu groß und die Maiskölbchen zu klein geschnitten sind. Außerdem vermisst sie Kartoffeln. Kartoffeln, jemand? Es fängt wieder einer zu schneiden an und die Köchin lässt sich mit einem der später Kommenden auf eine neuerliche Diskussion über thailändische Gastronomie in Berlin ein. Ein paar gehen rauchen. Ich fühle mich ein bisschen schuldig, tröste mich aber damit, dass ich ja nur der Babysitter bin und auch intelligentere Themen auf Lager hätte. Wenn man mich nur lesen lassen würde. Ich kenne die meisten am Tisch, von früher eben aus dem früheren Leben. Den einen, den ich nicht kenne, frage ich, ob ich ihn kennen müsste, und es stellt sich heraus, dass er damals einer der Freunde war, die ich nie kennen gelernt habe, weil das zu einer guten Beziehung gehörte: ein eigenes Leben. "Und du?" Ich sage, dass ich der Ex-Freund bin. "Ach du bist das", meint er. Offenbar hat er mich schon mal gesehen, denn er behauptet, ich hätte damals jünger ausgesehen, besser, meint er, gesünder. Er lacht und geht eine rauchen. Insgeheim entscheide ich mich in diesem Moment, welches der beiden mitgebrachten Bücher ich später lesen werde: Zizek, Die Tücke des Subjekts, statt Robert Walser, Wenn Schwache sich für stark halten. Neben mir sitzt nun eine alte Freundin der Ex-Freundin, die sich freut, mich zu sehen und mir sagt: "Dich hätte ich hier am wenigsten erwartet!" Sie hat zwei Kinder mittlerweile, soviel weiß ich schon, von zwei verschiedenen Vätern, und ist allein erziehend. Wie es mir gehe, will sie wissen. Gut. Kinder? - Nein. Verheiratet? - Nein. Freundin? - Ja. Sie lacht und zwinkert, als stünde ich damit noch am Anfang. Der Reis ist schon fertig, die Raucher kommen zurück, wir können essen. Das Kind ist schon im Bett, das Babyfon steht auf dem Gewürzregal, und auf dem Tisch liegen Handys. Vier der Esser haben auch Kinder zuhause mit Partner oder Sitter. Wessen Handy klingelt, der darf nicht tanzen gehen. Das Thai Curry passt zum Abend: Es hätte schlimmer werden können. Um elf klingelt eines der Handys auf dem Tisch. "Meins", sagt die Köchin, und die anderen atmen aus. Die Köchin sagt zweimal ja, einmal nein, einmal ok, legt auf und meint, sie müsse gehen, ihre Tochter schreie seit einer halben Stunde. "Hast du keine Beruhigungszäpfchen zuhause?", fragt die zweifache Mutter neben mir, und ich lache, weil ich es für einen Scherz halte. Die Köchin sagt, sie halte davon nichts, die zweifache Mutter empfiehlt "Weleda rein homöopathisch". Während sie sich die Jacke anzieht, erklärt die Köchin entschuldigend, dass die Tochter halt noch nicht abgestillt sei, worauf die zweifache Mutter wissen will, wie alt die denn sei. "Zehn Monate." - "Du musst ihr das abgewöhnen. Das Beste, was du deinem Kind geben kannst, sind deine eigenen Grenzen." Das Kind merke, wenn man selber glaubt, man könne es nur mit der Brust beruhigen, meint die zweifache Mutter. "Und warum können die Männer das schreiende Kind nicht aushalten?", fragt sie in die Runde. "Weil sie wissen, dass es das Hintertürchen gibt, wo die Mutter mit der Brust bereit steht." Ich habe angefangen mitzuschreiben. Die Köchin hat längst den Türgriff in der Hand. "Nie! nie! nie! darf man zurückgehen", ruft die zweifache Mutter. "Sobald du das machst, hat dich das Kind in der Hand. Ich musste auch durch die harte Schule." Ich schiele zum Babyfon hoch. Meine Ex-Freundin sagt: "Aber beim ersten Kind hast du auch immer sofort die Brust ausgepackt und wolltest dir nichts sagen lassen." - "Ja", gibt die zweifache Mutter zu. "Da habe ich noch geglaubt, ich wisse alles besser. Ich bin froh, dass ich nicht mehr so bin." Später, als alle gegangen sind, lausche ich auf die Stille. "Es muss etwas ausgeschlossen werden, damit wir Wesen werden, die Entscheidungen treffen", meint Zizek. "Man sagt mir, was ich frei zu entscheiden habe." Ein paar Mal schrecke ich aus dem Schlaf, weil ich den Kühlschrank für das Babyfon halte.
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