Ausstellung Otto Freundlich führte den Kampf für das revolutionäre Proletariat mit den Mitteln der Kunst. Was von seinem Werk noch auffindbar war, ist nun in Köln zu sehen
Die größten Utopien kommen manchmal auf den unscheinbarsten Zetteln daher. Otto Freundlich hat seine Bekenntnisse eines revolutionären Malers mit Bleistift auf lose Blätter hingeworfen, beendet hat er das Manuskript 1935 in Paris. Da war er schon ein Vertriebener, verfolgt als Jude und Kommunist, diffamiert und geächtet von den Nazis. Seinem Glauben, dass eine bessere Welt machbar wäre, taten Gefangenschaft, Armut und Hunger keinen Abbruch: „Wir werden von denen verstanden werden, für die wir kämpfen.“ So lautet der zuversichtliche, auf unzweifelhafter Gewissheit ruhende Beginn dieses Textes. Otto Freundlichs Glaube an eine bessere Zukunft war, aller politischen Wirklichkeit seiner Zeit zum Trotz, unbeirrbar.
Freundlich führte seinen
führte seinen Kampf für das revolutionäre Proletariat vor allem mit den Mitteln der Kunst, doch seine Malerei war eingebettet in ein geschlossenes Gebäude politisch-philosophischer Reflexion, die er in seinen Schriften darlegte – verfasst in Sütterlin, das Papier vergilbt, die Striche groß und breit, wie man es auf einigen der 84 Seiten der Bekenntnisse im Kölner Museum Ludwig sehen kann, die dort aufgeblättert in einer Vitrine liegen – ein Dokument aus einem Nachlass, der nur noch bruchstückhaft existiert. Im Katalog, der Otto Freundlichs Werk übrigens zum ersten Mal überhaupt auch in englischer Sprache präsentiert, ist der Text vollständig transkribiert nachzulesen.Placeholder gallery-1Das, was von Freundlichs Werk noch auffindbar war, hat die Kuratorin Julia Friedrich nun zur bisher größten Gesamtschau seines Schaffens zusammengetragen. Die Ausstellung Kosmischer Kommunismus zeigt, angereichert mit neuester Forschungsarbeit, das Werk eines der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, dessen Arbeit so nachhaltig vernichtet wurde, verloren ging und in Vergessenheit geriet, dass er bis heute weitgehend unbekannt blieb. Dabei geht von den rund 80 gezeigten Werken eine ästhetische Strahlkraft und eine zwingende konzeptuelle Entschlossenheit aus, die beeindruckend kompromisslos zu Ende gedacht ist und den Betrachter allein in ihrer farblichen Ausführung schlicht überwältigt.Wenn diese Ausstellung einer Programmatik folgt, dann ist es die, den Blick auf das Werk Otto Freundlichs zu lenken, die Bilder und Skulpturen für sich sprechen zu lassen und sie aus der biografischen Erzählung zu befreien, die doch für immer im Schrecken des Holocaust befangen bleiben muss. Im März 1943 wurde der Künstler denunziert, verhaftet und ermordet. „Der abstrakten Kunst wachsen Flügel“, so beschreibt Joël Mettay in Die verlorene Spur – Auf der Suche nach Otto Freundlich (2005) das kunsthistorische Bestreben, die klassische Moderne nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu rehabilitieren. Picasso, Kandinsky oder Braque – die Namen von Freundlichs Freunden und Weggefährten aus Köln, Berlin oder Paris wurden kanonisch. „Aber Otto Freundlich war nicht auf dem großen Fest. Es gab ihn nicht mehr, er war nur noch Schlamm und Asche, irgendwo in Polen“, schreibt Mettay. Einer der wichtigsten Wegbereiter der abstrakten Kunst war einer von Millionen Toten ohne Grab geworden, von dem lange kaum mehr als ein Name blieb.Seinen größten, zynischen Ruhmesmoment hatte Freundlich, als die Nazis seine Skulptur Großer Kopf 1937 auf dem Titel des Katalogs zur Ausstellung Entartete Kunst platzierten, 13 weitere seiner Arbeiten waren in der Schau vertreten. Lange firmierte die Skulptur auch in der Bundesrepublik noch unter dem Namen Der neue Mensch, den sie ihr als Teil ihrer Verleumdungskampagne gegeben hatten, womit sie Freundlichs ästhetischen Utopismus hartnäckig verzerrten, überschrieben und letztlich auch langfristig auslöschten.Die kommende OrdnungOtto Freundlich ging es um das Herauslösen der Kunst aus aller Konvention, aus allem Dinghaften und allem Effekt. Weg von Individualismus, „selbst wenn dieses Individuum nur eine Flasche oder ein Apfel ist“. Weg von Besitz und illusionistischer Dreidimensionalität hin zur reinen Fläche und damit zum „freien Bewusstsein“. Die wichtigsten Merkmale abstrakter Malerei bestanden für ihn im dialektischen Spannungsverhältnis der Farben und in der rhythmischen Anordnung von geometrischen Flächen und Formen. Er sah darin das vorausgreifende Abbild einer kommenden, gerechten Gesellschaftsordnung: „Die innige Verbindung aller Flächen auf einem Bilde, von denen jede wie eine Zelle im Organismus die Kraft zu einer anderen Zelle überleitet, sodass es dem ganzen Organismus nur einen ungehemmten Kreislauf dieser Kräfte gibt; dies (...) war das einzige Ziel, das ich zu erreichen strebte, denn es war in Übereinstimmung mit meiner sozialen Überzeugung: dem Sozialismus.“ So arbeitete Freundlich gegen die Wirklichkeit an, „hinein in die Zukunft ohne Grenzen“.Mon ciel est rouge – „Mein Himmel ist rot“ – heißt ein 1933 entstandenes Ölgemälde, in dem die roten und schwarzen, aus einzelnen trapezförmigen Farbfeldern zusammengesetzten Flächen sich als Anarchisten- und Kommunistenfahnen zu erkennen geben. Hier ist noch einmal eine gegenständliche Volte zu erkennen, nachdem Freundlich eigentlich längst allen identifizierbaren Formen entsagt hat. In der Schau, die weitgehend chronologisch vorgeht, ist zu erkennen, wie sich die gegenständliche Welt in Freundlichs ästhetischem Programm immer mehr auflöst. Der Kubismus, dem er sich anfangs noch nahe fühlte, wurde Freundlich schnell zu eng. So erging es ihm letztendlich mit allen künstlerischen Bewegungen, denen er angehörte, die er teilweise mit gründete, dann aber bald wieder verließ, wie den Deutschen Werkbund oder die Novembergruppe in Berlin.Seine künstlerisch prägendste Zeit erlebte Freundlich 1914 in der Kathedrale von Chartres, wo er ein Atelier bezog, um Glasmalerei zu studieren. Das Licht, das durch die Kirchenfenster fiel, empfand er als ein Erweckungserlebnis. Es erschien ihm einerseits als verbindende Grenze zwischen Subjekt und Universum und versinnbildlichte zugleich die Durchlässigkeit beider aufeinander hin. Freundlich befasste sich mit Kosmologie ebenso wie mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit. Er arbeitete selbst mit Glas, entwarf farbenprächtige Fenster und leitete auch seine malerischen Formen aus den auszuschneidenden Glasstücken ab.Auf diese Vorliebe geht der wohl größte Coup der Ausstellung zurück, das Mosaik Die Geburt des Menschen, das Freundlich 1919 im Auftrag des Kölner Unternehmers Josef Feinhals anfertigte. Doch dem war das zwei mal drei Meter messende und 800 Kilogramm schwere Werk schließlich zu klobig. Er lehnte es ab, und während im Zweiten Weltkrieg die Villa von Feinhals und alle darin enthaltenen Kunstwerke zerstört wurden, blieb ausgerechnet das an anderer Stelle eingelagerte Mosaik erhalten.Bis wenige Wochen vor der Ausstellung fristete dieses Hauptwerk eines der größten deutschen Künstler ein anonymes und nicht näher bezeichnetes Dasein im Foyer der Kölner Oper. Zwischen Parkhaus und Garderobe eilten die Besucher daran vorbei. Das Kölner Opernhaus ist momentan eine Großbaustelle, und so hängt dort irgendwo zwischen Stahlträgern, Holzpaletten und nacktem Beton ein Bauplan an der Wand, auf dem steht: „Bestandsmosaik, 4 cm stark.“ In einer gewagten Aktion wurde das Kunstwerk ins Museum Ludwig verfrachtet, wo es nun, vor dunkelblauem Hintergrund leuchtend, eines der Herzstücke der Ausstellung ist. In seinen letzten Lebensjahren hat Freundlich angesichts des anhaltenden Verlusts seiner Arbeiten ein umfassendes Werkverzeichnis angefertigt. Manches hat er nachskizziert, anderes, wie dieses Mosaik, nur beschrieben, um Spuren zu legen, sollte vielleicht doch noch die eine oder andere Arbeit wieder auftauchen.Placeholder infobox-1
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