Hausautoren

A–Z Unersetzlich sind für uns unsere AutorInnen, denn ohne sie wären wir gar nichts. Viele von ihnen haben im ersten Halbjahr 2018 Bücher veröffentlicht. Ein Wochenlexikon
Ausgabe 26/2018

A

Alleine Rainer Merkel kennt im Unterschied zu vielen anderen Schriftstellern die Welt. Seine Reisen führten ihn unter anderem nach Liberia, Afghanistan, den Kosovo. Was er gesehen und erlebt hat, wurde ihm zum Stoff von Romanen und Reportagen, versammelt in dem Band Das Unglück der anderen. Den vermeintlichen Altruismus der Westler sieht er kritisch. Im „Freitag“ erschien von ihm eine Erinnerung an seine Zeit als Psychologe in Monrovia. Das Motiv des Helfenwollens durchzieht auch seinen neuen Roman Stadt ohne Gott (S. Fischer, 21 €). Er spielt in Beirut. Die Deutsch-Dänin Rosie Salbakken will sich dort kreativ entfalten und ein aufregendes Leben führen. Aber dann lernt sie in einem Flüchtlingslager einen an Epilepsie leidenden Jungen kennen, will ihm helfen. Ihre Freunde lässt das kalt, so auch Dahoud, Jurastudent und Flüchtling aus Aleppo, der sich in Rosie verliebt, die plötzlich verschwindet. Merkel erzählt von den Verlorenen und Suchenden. Michael Angele

G

Grenzen Der wahlkämpfende Rechtspopulist (➝ Résumé) an sich hat nicht nur der per se eher abstrakten Debatte um Grenzen, sondern auch deren Manifestation (➝ Mauern) zu einem traurigen Revival verholfen. „Angesichts aktueller mentaler, symbolischer und materieller Grenzziehungen muss man von einer Renaissance der Mauer sprechen.“ So schreibt es Tobias Prüwer in Welt aus Mauern. Eine Kulturgeschichte (Wagenbach, 12,90 €). Prüwer untersucht funktionelle Ambivalenzen, räumt mit historischen Irrtümern auf und legt den Fokus auch auf Mauern jenseits von Nationalgrenzen, beispielsweise in Städten, Einkaufszentren, um Häuser und Gärten. Er endet nicht an der Mauer, sondern befasst sich auch mit den durch sie entstehenden Räumen. Eine Bereicherung aktueller politischer Debatten, von den Rändern gedacht. Benjamin Knödler

J

Jahrestag Stefan Heidenreich schreibt für den Freitag oft über Kunst, manchmal auch über Geld und mitunter über beides. So hat er in unserer Zeitung zum Beispiel das Phänomen des Freeportism erklärt: Kunst, die in Zollfreilagern darauf wartet, dass ihr Wert steigt, und von niemandem angeschaut wird. Über Geld hat Heidenreich außerdem schon diverse Bücher geschrieben, zuletzt erschien von ihm bei Merve Geld. Für eine non-monetäre Ökonomie.

Das Thema seines neuen Buchs, wir erfahren es schon im ersten Kapitel, liegt ihm hingegen eigentlich fern. Heidenreich ist nämlich nicht nur Kunst- und Medienwissenschaftler (Paris), sondern auch Geburtstagsmuffel. Und jetzt also das: Geburtstag. Wie es kommt, dass wir uns selbst feiern (Hanser, 19 €). Was verdächtig nach Kalkül für den Markt der Last-Minute-Geschenke-Käufer aussieht, erweist sich bei der Lektüre als kluge Kulturgeschichte, die auf die Demokratisierung der Feierei in der Aufklärung ebenso eingeht wie auf diverse Fake News rund um die Ursprünge des Ehrentags samt Zubehör (Kerze, Kuchen, Geschenke). Happy Lektüre! Christine Käppeler

K

Klagenfurt Wenn Karsten Krampitz sich auf Bachmanns und Haiders Spuren begibt, wird’s unbehaglich. Der Titel des von ihm herausgegebenen Buchs Drei Wege zum See oder Eine andere Stadt (Drava, 14,95 €) stellt klar:„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Was hat das mit dem Fasching in Klagenfurt zu tun?

Die Reportage Pointen für den Arsch, die schildert, wie selbstverständlich dort offen Rassismus zur Schau gestellt wurde, sorgte nach Veröffentlichung im Freitag für Empörung. Krampitz lebt in Berlin, aber als Bachmann-Preisträger war er Klagenfurter Stadtschreiber. Zugereiste sehen oft mehr: Heimatfolklore, bei der NS-Vergangenheit verdrängt wird, Hetze gegen Geflüchtete, Hass. Martina Mescher

M

Mauern Andrea Komlosy, Professorin der Universität Wien, legt eine allgemeine Bestandsaufnahme vor: Grenzen. Räumliche und soziale Trennlinien im Zeitenlauf (Promedia-Verlag, 19,90 €). Am Ende bezieht sie Stellung zur aktuellen Flüchtlingsdebatte. Die Positionen, die heute dominieren (Grenzen), „Grenzen zu“ und „No Border“, lehnt sie ab. Beide dienen dem Eigeninteresse von Einheimischen. So „freut sich die neue Mittelschicht über die Multikulturalisierung der Gastronomie und die kostengünstige Verfügbarkeit häuslicher Dienste“. Komlosys Kernsätze lauten deshalb: „Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen sind in den allermeisten Fällen Menschen, die zu Hause fehlen. Konfliktlösung bedeutet, für ihre sichere Rückkehr in die Heimat zu sorgen.“ Sie weiß aber, dass diese Sicherheit die Befreiung der Heimat vom ungleichen kapitalistischen Tausch einschließen würde. Ist dann nicht auch „No Border“ als Druckmittel legitim? Denn der Ausbeutungswille ist ungebrochen. Michael Jäger

Melancholie Drunter macht er’s nicht: Literaturen des Pathos: Ästhetik des Affekts von Aristoteles bis Schlingensief (Büchner, 22 €) heißt sein aktueller Herausgeberband. Pathos wird in Social Media, Politik und Kultur „bemängelt“ und „beschworen“: zu viel falsches Pathos, zu wenig wahre Leidenschaft! Der Band untersucht Pathoskonzepte von der Antike direkt in unsere nervösen Zeiten.

Björn Hayer selbst widmet sich Hölderlins Leiden an der Welt, der Sehnsucht nach einer besseren. Melancholie und Hoffnung – Essays zu Gesellschaft und Kultur (Tectum, 24,95 €) lauten hübsch pathetisch Essays aus 2017. Die Selbstbeschreibung (Twitter): „Feuilletonist, Freigeist, Literaturwissenschaftler (Uni Koblenz-Landau) und Kritiker aus Überzeugung“. Nicht erwähnt ist sein Engagement für Tierrechte. Auch hier ist wahre Leidenschaft nie verkehrt. Katharina Schmitz

P

Paris In Die Administration der Dinge. Technik und Imagination im Paris des 19. Jahrhunderts (Diaphanes, 39,90 €) widmet sich Antonia von Schöning den Anfängen der Städteplanung und den„Medien des Urbanen“. Sie zeigt, wie mit der Revolution von 1789 ein neuer Begriff des Regierens Einzug ins politische Denken hält: Dieses bezieht sich nun nicht mehr nur „auf die Herrschafft über ein Territorium und über Menschen“. Vielmehr, so schrieb es Michel Foucault, dessen postum erschienenen letzten Band der Geschichte der Sexualität die Medienwissenschaftlerin im Februar druckfrisch für den Freitag besprochen hat, richtet sich das Augenmerk der Regierung nun auf einen „aus den Menschen und den Dingen gebildeten Komplex“. In den Blick gerät damit das „Alltägliche, Vermischte, Kontingente und Abgründige“, dem von Schöning bis in den Schlamm der Kanalisation der Hauptstadt des 19.Jahrhunderts nachspürt.

Dass schon die frühe Urbanistik die Stadt, die sie gestaltet, virtuell verdoppelt, sie „wie einen begehbaren Karten- und Bilderatlas, (...) als Papierstadt entstehen lässt“, verbindet sie mit den digitalen Methoden derer, die heute an der Vision einer „smart city“ arbeiten. Mladen Gladić

Proletarier In der Muskauer Straße in Berlin-Kreuzberg erinnert ein Stolperstein an Martin Monath. Monath war der Mastermind hinter Arbeiter und Soldat, einertrotzkistischen Zeitschrift für „Werktätige in Uniform“, die im Zweiten Weltkrieg in Frankreich eingesetzt waren. Ein Buch von Wladek Flakin („Arbeiter und Soldat“. Martin Monath – ein Berliner Jude unter Wehrmachtssoldaten, Schmetterling Verlag, 14,80 €) macht jetzt sämtliche Ausgaben von Arbeiter und Soldat für den modernen Leser zugänglich. Die klandestin gedruckte Zeitschrift war so einflussreich, dass Soldaten im Kriegshafen Brest Komitees bildeten, die dem Nazismus (➝ Klagenfurt) die Stirn bieten sollten.

Flakin erzählt aber auch die Lebensgeschichte des Berliner Juden Monath, der als Zionist begann, sich gegen die Emigration nach Palästina entschied und als unermüdlicher Kämpfer (Motto: „det Ding [wird] schon klappen“) gegen den NS schließlich den Tod fand. „Monte“ oder „Viktor“, so nur einige Namen, die Monath trug, wird dabei so lebendig gezeichnet, dass man es schade findet, dass Freitag-Autor Flakin im Vorwort verkündet, kein weiteres Buch mehr schreiben zu wollen. Vielleicht überlegt er es sich noch einmal anders? Mladen Gladić

R

Rechts Ist die neue Rechte ein Atavismus? Haben wir es mit einem Haufen Ewiggestriger zu tun? So einfach ist es nicht, wie man in Markus Metz’ undGeorg Seeßlens Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels, die bei Bertz+Fischer unter dem Titel Der Rechtsruck (12 €) erschienen sind, erfährt. Schon im rechten Zentralbegriff der „Kompensation“ (Joachim Ritter) ist angelegt, dass die Regression, die wir im Männlichkeitskult, im Betonen familiärer Werte und nationaler Tugenden beobachten, nur die eine Seite ist. Wer rechts ist, erträgt die neoliberale Modernisierung deshalb so schlecht, weil er Angst hat, nicht zu ihren Nutznießern zu gehören. Doch genau das will er. Mladen Gladić

Résumé Sechs Jahre lang zeichnete Fabian Stoltz für den Freitag im Wechsel mit anderen Künstlern das Storyboard im Alltagsteil. Was davor geschah (Breitkopf Editionen, 170 S., 28 €, siehe Bild) hieß sein Comicstrip zum Zeitgeschehen. TV-Serien-Gucker kennen das Prinzip: Bevor die Action losgeht, wird kurz rekapituliert, was bisher los war. Bei Stoltz erfüllte diese Funktion das erste Bild: Marine Le Pen hat Geert Wilders getroffen, die Eröffnung des BER verzögert sich, Michael Ballack schmerzt das Knie. Was dann passiert? Das erfahren Sie in diesem Band mit allen 158 (!) Storyboards, der eine Art alternatives Geschichtsbuch der frühen 2010er Jahre ist. Christine Käppeler

W

Wort Friedrich Schorlemmers Wort-macht und Machtworte, eine bei RADIUS erschienene Eloge auf die Leselust (14 €), handelt von drei ganz verschiedenenPoesiewelten: den Büchern, die unmittelbar politisch eingriffen und kritisch wirksam waren, wie er es in der DDR erlebt hatte, der heutigen „Event-Süchtigkeit“ („Ich fürchte inzwischen, dass die gegenwärtige allgemeine Volksverblödung gefährlicher ist als die ideologische Knebelung in kommunistischer Zeit.“) und der Tradition, auf die man immer zurückgreifen kann. „Von Seneca bis Luther ergeht die Mahnung, weniges Gutes und dieses Gute mehrfach zu lesen.“ In der Tat, warum hört man eine gute Symphonie immer wieder, liest aber wichtigste Bücher nur einmal? Man sollte sie früh lesen und später erneut, denn Goethe, den Schorlemmer zitiert, hat recht: „Wer etwas weiß, findet unendlich mehr in ihnen, als derjenige, der erst lernen will.“ Michael Jäger

Z

Zutaten Er wollte immer alles ablecken: „Pfui“, riefen Mutter, Vater, Oma. Die verdarb ihm mit dem Satz „Es ist so ruhig, dann schmeckt’s wohl“, regelmäßig den Appetit. Als der Junge sich irre darauf gefreut hat, seine erste eigene Lasagne zu kochen, stand sie bereits fertig im Ofen, als er von der Schule kam. Jörn Kabisch machte weiter. Mit Herd und Seele. Über die Melodie von Crème brûlée, die perfekte Käsereibe und das große Glück beim Kochen (Piper, 18 €) erzählt vom Erwachsenwerden als Koch, aber auch von surrealen Begegnungen in Studenten-WGs.

In der ersten, in Frankfurt, gab es keine Küche, nur eine hysterische Vegetarierin und abschließbare Kühlfächer ohne Licht. Zutaten, Gerichte und Geschmack prägen auch Tage wie 9/11 oder die Lektüre. Wonach könnte zum Beispiel Sartres Ekel riechen? Muss man lesen. Maxi Leinkauf

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