Häuserblock, komplett möbliert

An der Tram-Haltestelle hat jemand direkt neben dem Unterstand ein Sofa platziert. Der Bezug ist an den Armlehnen abgewetzt und verschmutzt, rechts ...

An der Tram-Haltestelle hat jemand direkt neben dem Unterstand ein Sofa platziert. Der Bezug ist an den Armlehnen abgewetzt und verschmutzt, rechts unten quillt Schaumstoff aus einem Riss. Dennoch macht sich das Möbel dort ausgesprochen gut. Jetzt am Nachmittag sitzt man mit dem Oberkörper im Schatten, die Beine kann man in die Sonne strecken. Kein Vergleich mit den harten Sitzschalen zwei Meter daneben.

Man kennt das von Umzügen im Haus: Plötzlich stehen ausrangierte Topfpflanzen und ganze Wohnzimmergarnituren draußen auf dem Gehsteig, in der Hoffnung, dass sich selbst für das ausgeleiertste Utensil noch ein Abnehmer finden wird. Reine Bequemlichkeit, während hinter dem BVG-Sofa durchaus ein Konzept stecken könnte. Zum Beispiel ein Signal, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Wenn man in Bahnhofshallen nur noch auf dem Hosenboden oder in überteuerten Cafés Platz nehmen kann, wenn das Sicherheitspersonal der Einkaufspassagen jeden Eiskleckser oder Aschenkrümel mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Griff ans Funkgerät quittiert, wenn Einjährige des Planschbeckens verwiesen werden, bloß weil sie keine Badehose tragen - dann heißt es neue Orte der Begegnung, des Verweilens erschließen.

"Third Places" nennen Trendforscher öffentliche Räume mit einem intimen Gepräge. Doch Wohnzimmer-Clubs dürfen nur ein Anfang sein. Warum nicht - zunächst in den Sommermonaten - an neuralgischen Stellen in Kneipen- und Amüsiervierteln kleine Feldbetten- oder Matratzenlager für angeknockte Zecher errichten? Oder den nicht mehr benötigten Single-Kühlschrank zur nächsten Parkanlage bringen, um auch dort für zivile Getränke-Temperaturen zu sorgen? Mit Gartenduschen im Hinterhof Besucher und Passanten erquicken. Den Kleinen altmodische Badezuber offerieren, derweil sich die Großen auf ebensolchen Liegestühlen verschnaufen. Jungen Eltern mittels Omas Nachkriegskommode auch abseits der großen Kaufhäuser die Möglichkeit zum hygienischen Boxenstopp geben.

Und neulich kam ich spät nachts an einer Häuserlücke vorbei, wo zwischen Bauschutt und Fahrradleichen tatsächlich ein wackeliger Camping-Tisch samt vollzähligem Schachspiel im 70er-Jahre-Design zum Denksport lud. Leider war kein Gegner zur Hand. Trotzdem, so kann es gehen! Bürger, räumt eure Abstellkammern, sichtet die Speicher. Kommt herunter, richtet euch ein. Lasst tausend Möbel blühen!

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