Haushälter:in

A–Z Für Marcel Proust war sie der „Küchen-Michelangelo“ – nur Menschen gegenüber störrisch. Zur Familie gehört sie längst nicht mehr. Unser Lexikon
Ausgabe 27/2021
Haushälter:in

Foto: agefotostock/IMAGO

A

Abgrund Das Kindermädchen, die Nounou, soll die Pariser Kleinfamilie vor dem Abgrund retten. Myriam hat seit Abschluss des Jurastudiums nicht mehr gearbeitet, sie ist eifersüchtig auf ihren Mann Paul, den Musikproduzenten.

Papiere soll die Nanny haben, „ansonsten nicht zu alt, unverschleiert und Nichtraucherin. Das Wichtigste ist, dass sie flexibel ist und nicht so dröge. Dass sie schuftet, damit wir schuften können“, sagt Paul. Der diskriminierende Ton ist Myriam unangenehm. Dann kommt die weiße Louise aus der Banlieue, sie macht sich unentbehrlich, gewinnt das Herz von Adam und sogar das der kapriziösen Mila. Doch Louise steht vor ihrem eigenen Abgrund. Wird erdrückt von Schulden, da ist diese Einsamkeit. Der Roman beginnt mit der Tragödie (➝ Mörderisch), es folgt die Spurensuche. Leila Slimanis Dann schlaf auch du, 2016 mit dem Prix Concourt ausgezeichnet, ist ein packendes Sittenbild, man legt das Buch nicht aus der Hand. Katharina Schmitz

B

Blendung Der einzige Roman von Elias Canetti, für den er 1981 den Nobelpreis erhält, spaltet die Kritik: „Von Misanthropie berauscht“, „zu abstrakt“, heißt es über Die Blendung, „ultramodern“ das andere Mal. Canetti führt sein Personal ins Labor: Zu dem sich mit seiner Menschenverachtung hinter Tausenden Büchern verschanzenden Sinologen Kien, der Frauen für menschenähnliche aufgetakelte Tiere hält. Wie ein Bluthund wird Theresa, seine Haushälterin, dann Ehefrau, über ihn und seine Bibliothek herfallen. Theresa „hätte sich in ihre Hauptbestandteile, Rock, Schweiß und Ohren, aufgelöst, wenn der Hass gegen“ Kien, den der „mit der Wollust eines Pedanten steigerte“ nicht zu ihrem Daseinszweck geworden wäre. Am Ende dieser von Niedertracht Geblendeten wird Theresa samt Helfer kaltgestellt – Kien geht in den Flammen seiner Bibliothek unter. Helena Neumann

C

Chambre de bonne 1990 bewohnte ich ein Zimmer ganz für mich allein. Ein romantischer Luxus war das für ein Mädchen vom Land und aus dem Ausland, das eben erst sein Abitur gemacht hatte. Ich bewohnte ein „chambre de bonne“ unweit der Invaliden in Paris. Ich musste dafür nur die hochherrschaftlichen Räume einer Familie putzen. Das Zimmer hatte vielleicht 10 Quadratmeter. Ein Waschbecken. Eine Kochgelegenheit. Das berühmte Stehklo auf dem Flur. Nachts war die Geräuschkulisse unheimlich und wie im Autorenkino war der Blick in die Fenster der Nachbarn im Hinterhof zur blauen Stunde.

An manchen Tagen, während ich vielleicht gerade die doggenhohen Vasen der Familie abstaubte, fläzte der Spross des Hauses auf dem royalen Sofa, erzählte von seiner Wochenendtour in die Normandie im Cabrio. Ich erzählte von meiner Tramperaktion nach Trier. Mein Leben war viel filmreifer als seins! Dass er (noch) nicht von Schönheit gesegnet war, machte mein Plädoyer, ich gebe es zu, leichter. Ich wusste es nicht, aber es war definitiv auch Klassenstolz, mit dem ich hier dozierte. Katharina Schmitz

D

Dienstbotenfrage Im Jahre 1900 verteilte der liberale Nationalökonom Oskar Stillich 9.000 Fragebögen unter Berliner Dienstboten, um den in der sogenannten Dienstbotenfrage zusammengefassten Problemen erstmals empirisch auf den Grund zu gehen. Denn die dem Gesinderecht unterworfenen „Mädchen“ begannen sich zu wehren, indem sie in andere Berufe abwanderten oder für bessere Arbeitsverhältnisse zu kämpfen begannen. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg mussten die meisten bürgerlichen Frauen ihren Haushalt schließlich selbst schmeißen. Im 21. Jahrhundert kehren mit den Dienstboten die alten Fragen wider, was kaum von historischem Fortschritt zeugt. Ulrike Baureithel

E

Engels/Marx Karl Marx hatte eine Haushälterin. Dabei war er als Wissenschaftler auf Reiche mit „Lakaien“ nicht gut zu sprechen.Seine vielköpfige Familie war niemals reich. Aber Lenchen Demuth hatte im wohlhabenden Geburtshaus seiner Frau Jenny gedient und sich dort mit ihr angefreundet. Jennys Mutter erlaubte ihr den Übertritt in die Marx-Familie, deren Überleben lange von ihrer ökonomischen Intelligenz abhing. Nach Marx’ Tod wechselte sie in den Haushalt von Friedrich Engels, wo sie in Marx’ Nachlass die Manuskripte zum zweiten Band des „Kapitals“ entdeckte. August Bebel, der große SPD-Vorsitzende, nannte sie eine „treue Genossin“. Michael Jäger

F

Françoise Sie ist der „Küchen-Michelangelo“ der Familie in Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Das Genie „kulinarischer Meisterwerke“ ist das Pendant zu Erzähler und Autor. Sie empfängt in ihrem „kleinen Venustempel“ mit all den Töpfen, Terrinen und Tiegeln huldvoll die „Opfergaben“ von Milchmann, Gemüsefrau oder Obsthändler. Sie zaubert Hammelkeule oder Hähnchen ebenso wie Brioche oder Schokoladencreme. Legendär aber ihr Bœuf mode en gelée, Rindfleisch, mit dem Duft der Karotten, auf „enorme Geleekristalle“ gelagert. Die Zutaten sucht sie am Markt so sorgfältig aus wie Michelangelo Monate in den Bergen von Carrara nach dem perfekten Marmor spürte. Sie hat freilich auch andere, störrische Seiten, zergeht vor gelesenen Schicksalen, ist aber gegenüber realen Menschen mitleidlos, serviert der Familie Spargel bis zum Überdruss, weil das ihr unliebsame Küchenmädchen ihn schälen muss. Erhard Schütz

K

Kloputzen Jim Carrey soll gesagt haben: „Ich wünschte, jeder würde reich und berühmt werden. So könnten alle erkennen, dass das nicht die Lösung ist.“ Leider ist es wie mit einem Zaun, hinter den man nicht schauen kann, und daher allem Dahinter doch eine Verheißung innewohnt. Wäre es mit nicht doch besser als ohne? Und so verhält es sich auch mit Hauspersonal. Hat man keins, vermisst man es (Zentrale Vermittlung), hat man es, erkennt man, dass der einzige Weg, das Klo richtig zu putzen, doch der höchsteigene ist. Mit Scheuermilch oder mit Zitrusreiniger? Mit einem grünen Schwamm oder Lappen? Reinigungsresonanzegoismus würde Hartmut Rosa dieses Problem vielleicht nennen und tausend Seiten schreiben. Selbst ist der Putzende, kann ich Ihnen da nur sagen. Aber ich muss nun putzen, der Urinstein soll ja nicht gemeißelt werden wollen. Im Hintergrund läuft ein Nina-Hagen-Cover. Jan C. Behmann

M

Mörderisch Schon der Name, Dolores. Er bedeutet im Lateinischen Schmerzen. So heißt die mörderische Haushälterin in Stephen Kings gleichnamigem Roman (1992). Dolores Claiborne wird von der Polizei verhört, weil sie unter Verdacht steht, ihre Arbeitgeberin ermordet zu haben. Diese wurde am Fuß einer Treppe gefunden – ein Unfall? Die alte Dame hatte Dolores jahrelang tyrannisiert und plötzlich soll sie sie als Alleinerbin eingesetzt haben? Jedoch verdichtet sich der Verdacht der mörderischen Haushaltshilfe nicht. Aber Dolores offenbart, Jahrzehnte zuvor ihren Mann getötet zu haben, um der toxischen Beziehung zu entkommen. So wird das Verhör zur Lebensbeichte einer geschundenen Frau (➝ Abgrund). Tobias Prüwer

N

Njanja Das russische Pendant zur Nanny? Wer kennt nicht Mary Poppins, erdacht 1935 von der Australierin Pamela Travers. Aber Arina Rodionowna (1758 – 1828), Puschkins Njanja, ist so berühmt geworden, dass es für sie ein Museum und mehrere Denkmäler gibt. Immer wieder hat sie der Dichter in seinen Werken verewigt. Als Kind hing er an ihren Lippen, wenn sie Märchen erzählte und Lieder sang. Als „liebe Freundin meiner armen Jugend“ blieb sie auch später seine Vertraute (Engels/Marx). Die Verbannung 1824 bis 1826 auf das Gut Michailowskoje hat sie mit ihm geteilt. Und die Mutter? Für sie ist er das zweite von acht Kindern gewesen, die kurz nacheinander das Licht der Welt erblickten – und afrikanische Vorfahren hatten. Eine Geschichte für sich. Irmtraud Gutschke

P

Puffscheitel Die „Schmolken“ ist von derbem Feingefühl, weshalb sie nicht nur für die Hauswirtschaft ihres Dienstherrn unentbehrlich ist. Auch am Seelenheil der Familie knetet sie, als wäre es der Brotteig. Denn das muss sein, wenn „sich Herz zum Herzen find’t“, wie bei Fontanes Roman Frau Jenny Treibel, dieser Milieuposse aus der Adlerstraße zur Berliner Gründerzeit. Als die Tochter des Hauses die Heiratswut übermannt, hat die „Schmolken“ den ungetrübten Blick auf das Aussichtslose des Begehrens: Das Veto der Schwiegermutter, der Frau Jenny Treibel nämlich, wird fürchterlich sein. „Du kannst doch nich die ganze Welt auf den Kopf stellen, … bloß um der alten Kommerzienrätin mit ihrem Puffscheitel und ihrer Brillantbommel einen Tort anzutun“, prustet sie, ganz erzürnte Mutter eines verirrten Dummchens. Da wird die Küchenstunde zur Sittenkunde über den Instinkt der kleinen Leute. Lutz Herden

R

Rassismus Hattie McDaniel war nicht nur die erste für einen Oscar nominierte afroamerikanische Schauspielerin. Es war eine Sensation, als die Tochter ehemaliger Sklaven 1940 die Trophäe für ihre Nebenrolle der resoluten, nicht mit Kritik an ihrer weißen Herrin sparenden Haussklavin Mammy in Vom Winde verweht gewann. Anders als ihre nur in der Vorhalle geduldeten schwarzen Co-Stars durfte McDaniel bei den Oscars im Saal sitzen, allerdings weit genug entfernt von den weißen Stars Vivian Leigh und Clark Gable. Einige Sender weisen inzwischen auf die Verklärung rassistischer Versklavung in dem Südstaatenepos hin. Auch wenn McDaniel als Vorreiterin in der Branche gilt, muss die sich Jahrzehnte später immer noch mit Fragen von Gleichstellung und Repräsentation in der Filmindustrie auseinandersetzten. Helena Neumann

Z

Zentrale Vermittlung Die Digitalisierung prägt auch das Haushalten. Über Plattformen wie helpling.de, maideasy.de oder putzperle.de (früher wurden Haushälterinnen manchmal „Perlen“ genannt) können Maids für den eigenen Haushalt gebucht werden. Das Berufsbild hat sich gewandelt: Die wenigsten Haushälter:innen sind heute jahrelang noch erweiterte Familienmitglieder (➝ Njanja), meist werden sie kurzfristig angestellt – auf Zeit. Die Arbeitsverhältnisse sind flexibel. Doch längst nicht alle Hilfen sind Frauen. In den meisten deutschen Großstädten gibt es häufiger auch Männer, die ihre Dienste als Haushälter anbieten.Zudem finden sich auf dem Markt mittlerweile Paare, die gemeinsam in fremden Wohnungen klar Schiff machen: Mohamed & Maria, Selma & Raif, Jude & Ekeh. Ob sie zu Hause auch gemeinsam Ordnung halten? Ben Mendelson

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