Heibers Schrank

Amnesie und Auslese Das "opus magnum" eines großen Historikers über die deutschen Universitäten unterm Hakenkreuz blieb draußen vor der Tür

Er starb nicht weit vor seinem 80. Jahr schon zu Allerheiligen, am 1. November. Doch bekannt wurde sein Tod erst zwölf Tage später durch einen kurzen Nachruf in der Süddeutschen Zeitung, dem einen Tag später die FAZ und die Welt folgten. Man würdigte seinen gewaltigen Fleiß und grandiosen Stil. Helmut Heiber war einer der bedeutendsten und wichtigsten Mitarbeiter des Münchner Institut für Zeitgeschichte. Er hat ihm seit 1954 sein Historikerleben lang gedient, gedankt hat ihm dieses Institut nicht.

Was dem Nachruf fehlte, war ein Hinweis auf den Umgang des Instituts für Zeitgeschichte mit Heibers opus magnum, der auf fünf Teile angelegten Reihe Universität unterm Hakenkreuz. Der sogenannte "Wissenschaftliche Beirat" des Instituts unter Führung des Bonner Historikers Hans-Peter Schwarz hatte die Drucklegung abgelehnt. Die Begründung wurde nicht veröffentlicht. "Ein "Steinbruch" sei es, so hörte man, "zu pointilistisch", "keine geschlossene Darstellung" - faule Ausreden, derer, die nicht mehr wissen wollen, wie sich deutsche Professoren in der NS-Zeit verhielten.

Der Münchner Saur-Verlag, der sich einen Sinn für Qualität bewahrt hat, veröffentlichte anstelle des Instituts Heibers Werk. Der zweite Teil Die Kapitulation der Hohen Schulen erschien 1993 und 1994 in zwei dicken Bänden, dann scheint Heiber, alt geworden und angefeindet, resigniert zu haben. Der dritte Teil über die NS-Institutionen am Rand der Hochschule, der vierte über das Personal- und Berufungswesen und der fünfte Teil über die NS-Indokrination der einzelnen Fächer - leider ungeschrieben bis heute.

Und das werden sie wohl auch bleiben. Zwar steht noch ein ganzer großer Schrank mit Heibers Dokumenten und Unterlagen im "Institut für Zeitgeschichte". Doch mit denen könne man nichts anfangen, sagt Udo Wengst, der stellvertretende Direktor, weil Heiber sie "nach sehr eigenwilligen Kriterien" geordnet habe. Das sagt dieser Historiker in einer Zeit, in der man die in Säcke abgefüllten Schnipsel zerstückelter Stasi-Akten mit Computerhilfe wieder zusammensetzt und benutzt.

1971 hatte Helmut Heiber für das Institut eine Sammlung von Goebbels-Reden herausgegeben und kommentiert. Die Rechte an diesen Reden besaß angeblich der Genfer Nazi Francois Genoud, dem das Institut - prozessieren wollte es nicht - ein Vorwort einräumen musste. Er gebe, schrieb da Genoud, die vorliegende Ausgabe nur deshalb zur Veröffentlichung frei, weil ihm daran liege, dass Goebbels in der heutigen Zeit ausgiebig zu Wort komme, und weil er überzeugt sei, "daß die Füße derjenigen, welche die Zeitgeschichtler der Art Helmut Heibers hinaustragen werden, schon vor der Tür stehen".

Es dauerte noch etwas, bis diese Füße durch die Tür kamen. 1992, bald nach Erscheinen des ersten Bandes der Universität unterm Hakenkreuz, wurde Horst Möller - nicht ohne Zutun Helmut Kohls, wie man munkelt - Direktor des Instituts für Zeitgeschichte. Möller hatte 1986 im Historikerstreit die Partei jenes Ernst Nolte ergriffen, der davon ausgeht, dass Auschwitz von Stalin und nicht von Hitler erfunden worden sei. Als die von dem Alt-Nazi Kurt Ziesel gegründete Deutschlandstiftung Nolte ihren Preis verlieh, hielt der neue Direktor die Preisrede.

Und die Werke des Joseph Goebbels werden jetzt im Institut von Manfred Kittel betreut. Er hatte seine Doktorarbeit bei Horst Möller geschrieben. Sie erschien 1993 unter dem Titel Die Legende von der "zweiten Schuld" in der revisionistischen Zitelmann-Reihe des Ullstein-Verlags und verficht die These, dass die NS-Vergangenheit längst bewältigt sei. Die Füße sind angekommen.

Bleibt zu hoffen, dass sich eine wissenschaftliche Institution findet, die Heibers Schrank diesem Institut für Zeitgeschichte abnimmt und sein unvollendetes großes Werk über die deutsche Universität unterm Hakenkreuz weiterführt.


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