Heidi Klum frisst den Brexit

Bühne Beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens dreht sich alles um den Dramentext und sein visionäres Potenzial
Ausgabe 20/2017

Die Wollmütze mit seriellem Pinguinmotiv trug der deutsch-koreanische Dramatiker Bonn Park an allen vier Tagen des Stückemarkts beim Theatertreffen. Fashion-Statement oder eher Hinweis auf eine Kinderseele, gefangen im Körper eines Dreißigjährigen? Parks Sci-Fi-Tour-de-Force durch die Problemzonen des Weltgeschehens trägt den putzigen Titel Das Knurren der Milchstraße. Nach dem Marathon an szenischen Lesungen entschied der mehrfach ausgezeichnete Theaterautor den Wettbewerb für sich.

Kim Jong-un macht sich in Parks Text auf, die beiden Koreas wiederzuvereinigen, Ex-Präsident Trump hat die Schnauze voll von seinem Geld und eine fette Heidi Klum frisst den Brexit auf und vertilgt, was sonst noch den Weltfrieden stören könnte. Parks Figuren surfen als tragikomische Superhelden durch Zeit und Raum, reparieren die Weltpolitik, bis sie dem Autor gefällt. Mit diesem pseudonaiven Anarchogestus ist er die Pippi Langstrumpf der deutschsprachigen Dramatik, dabei Generation Internet, bis obenhin voll mit Popkultur und Schund und Informationen. Schreibend wird er vom Empfänger zum Sender, der es – auf seine Art – ernst meint.

Die weltumspannende Handlung entspricht dem in der Ausschreibung formulierten Anspruch, es sollten politische Realitäten verhandelt und Visionen einer anderen Zukunft gewagt werden. Dass dies im Medium der Sprache geschieht, ist im Umfeld sich weiter ausdifferenzierender Erzählformen im Theater bemerkenswert. Literarische Sprache, das wurde nicht nur durch Bonn Parks Text deutlich, hat viele Mittel, die Realität zu entgrenzen. Und ist darin dem Theater verwandt.

Zu einem utopischen Abschluss kam auch Who Cares?! Eine vielstimmige Personalversammlung der Sorgetragenden aus der Werkstatt des feministischen Kollektivs Swoosh Lieu. Das Hörstück aus Interviews mit Care-Arbeiterinnen mündet in eine satirische Sci-Fi-Doku: Nach der großen Pflege-Revolution wollen alle Pfleger sein, denn die Arbeit ist gut bezahlt, alles supi, auch das Umfeld stimmt, denn neuerdings gehören die Häuser denen, die drin wohnen. Der Text überzeugte mit Esprit und Tiefgang.

Kaputte Welt

Petra Hůlovás essayartige Bestandsaufnahme der beklemmenden Situation tschechischer Intellektueller Zelle Nummer blieb trotz sprachlicher Qualitäten unzugänglich, während We Are the Ones Our Parents Warned Us About von der serbokroatischen Autorin Tanja Šljivar mit einer traumartigen Dramaturgie fesselte: Zufallsbegegnung zweier Menschen auf einer öffentlichen Toilette irgendwo in Bosnien, im Tempo eines Stroboskopflackerns überblendet mit Erinnerungsschichten und Möglichkeitsräumen. Vorsichtiger leuchtete Tine Rahel Völckers Auseinandersetzung mit der Geschichte der polnischen Juden in Adam und die Deutschen. Das erste Stück des Schriftstellers Rainer Merkel Lauf und bring uns dein nacktes Leben basiert auf seinen Erfahrungen als Leiter eines Krankenhauses in Liberia. Merkel beschreibt die Helferindustrie und ihren versteckten Rassismus. Bei aller Brisanz erwies sich sein Text als nicht bühnentauglich.

Dem Anspruch der Jury – starke Texte zu präsentieren, die das Theater auf die eine oder andere Art herausfordern, ohne anschlussfähig an den Theaterbetrieb sein zu müssen – wurde der Jahrgang 2017 allemal gerecht. Gut zu wissen, dass Bonn Park mit Hilfe des eroberten Werkauftrags nun also daran arbeiten wird, die kaputte Welt zu reparieren. Kaum etwas haben wir so nötig wie Visionen.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden