Heiligenschein

Kommentar Kwasniewski, der Kommunismus und die EU

Polens Präsident hat in jungen Jahren eine Karriere hinter sich gebracht, die ihn nach deutschen Bräuchen nicht einmal für die Stelle eines Portiers im öffentlichen Dienst empfiehlt. Zu Zeiten der polnischen Volksrepublik war Aleksander Kwasniewski in den achtziger Jahren als Mitglied der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) Vorsitzender des Gesamtpolnischen Jugendkomitees, um 1987 unter General Jaruzelski als Jugend- und Sportminister sogar Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Wie ist es also zu verstehen, wenn dieser Mann vor dem Brüsseler EU-Gipfel gegenüber der BBC erklärt, so wie Polen seinerzeit das Recht hatte, gegen den Kommunismus zu kämpfen, so habe es jetzt das Recht, sich anstehenden EU-Reformen zu widersetzen. Um es vorweg zu sagen, an diesem Recht kann es in der Tat keine Zweifel geben. Es beschämt, erleben zu müssen, mit welcher Arroganz Gerhard Schröder und Jacques Chirac die aus ihrer Sicht renitenten Polen maßregeln: Wer neu in die EU kommt, solle sich gefälligst unterordnen. Offenbar hat die deutsche Einigung die Sitten für die europäische verdorben. Überdies fehlt Schröders populistischem Gebaren jede politische, geschweige denn historische Sensibilität. Dennoch, wie kommt ausgerechnet Kwasniewski dazu, Polens emanzipatorischen Anspruch mit dem Glorienschein des antikommunistischen Widerstandes zu versehen, der die Volksrepublik 1989/90 und auch ihn persönlich zur Aufgabe zwang? Ein Zeichen von bedauerlicher Amnesie oder der übliche, vom Zeitgeist geliebte Radikalopportunismus, wie er viele Ex-Kommunisten befallen hat?

Auch ohne die Wende von 1989 hätte Polen jedes Recht, als souveräner Staat auf seine Interessen zu bestehen. Möglicherweise vertreten durch einen PVAP-Präsidenten Kwasniewski. Es gab vor 14 Jahren bei ihm keine Anzeichen für einen Wechsel der Seiten. Gerade deshalb hat ihn ja Lech Walesa bei den Präsidentschaftswahlen von 1995 so unerbittlich bekämpft. Wollt ihr es wieder mit einem "Roten" versuchen?, fragte der Arbeiterführer seine Landsleute damals.

Insofern nähren Kwasniewskis fragwürdige Vergleiche einen Verdacht. Wird polnischer Widerstand gegen das kerneuropäische Patriarchat mit dem Rückgriff auf einen als sakrosankt geltenden Antikommunismus verklärt, dient das moralischer Überhöhung und schützt vor der Vermutung, Warschau könnte mit seiner Opposition nicht nur an sich, sondern auch an die Europäer als Gegenspieler der Amerikaner gedacht haben. Deren Schmerz über den Crash von Brüssel hält sich verständlicherweise in Grenzen. Seine ergebensten Freunde auf dem Alten Kontinent weiß Bush derzeit nicht in Berlin und Paris, sondern in Warschau, Madrid und Rom, von London einmal abgesehen. Polen dürfte die alteingesessenen EU-Europäer noch manches Mal daran erinnern, dass es nicht mit dem Kommunismus gebrochen hat, um sich neuerlichen Zwängen zu unterwerfen - und dabei nicht immer sagen, was eigentlich gemeint ist.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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