Der Machtrausch Washingtons erfordert dringend internationale Gegenmaßnahmen. Hätte der Petersburger Dreiergipfel ein Schritt in diese Richtung sein können? Wohl nur, wenn die Herren Putin, Schröder und Chirac mutig genug gewesen wären, die US-Politik als das zu bezeichnen, was sie seit langem ist: eine Gefahr für die Völkergemeinschaft, der mit formalen Verweisen auf das geltende Völkerrecht nicht beizukommen ist.
Doch so weit ging man nicht. Das Verlangen, der UNO müsse beim Wiederaufbau des Irak die entscheidende Rolle zukommen - aus dem Munde Schröders und Chiracs klang sie wie reiner Hohn: Wer unmittelbar nach dem Einfall der Amerikaner und Briten in den Irak dem »Sieg der alliierten Waffen« entgegenfiebert, nachdem er sich wo
er sich wochenlang für eine friedliche Beilegung des Konflikts stark gemacht hat, spielt politisch falsch.Dass Petersburg vieles schuldig blieb, ist nicht weiter verwunderlich: Wer selbst vor dem Hintergrund der US-Aggression gegen den Irak unverdrossen die »westliche Wertegemeinschaft« beschwört, ohne auch nur im Geringsten zu begreifen, dass die gerade jetzt von den USA als ideologischer Kampfbegriff gebraucht wird, der hat einfach nicht das Zeug zum seriösen Amerika-Kritiker.Zwar vermied auch Wladimir Putin jede offene Kritik an Bush, gewisse Akzentverschiebungen waren jedoch augenfällig. Hatte Russlands Präsident vor dem Gipfel wiederholt erklärt, eine moralische und politische Niederlage der USA im Irak läge nicht im Interesse seines Landes, kehrte er in Petersburg zu seiner ursprünglichen Haltung zurück und stufte das militärische Vorgehen Washingtons gegen Bagdad als »Fehler« ein. Verantwortlich dafür dürften einige Ereignisse im Vorfeld des Petersburger Gipfels gewesen sein: der Beschuss russischer Diplomaten durch US-Truppen im Irak ebenso wie der Vorwurf von Kongressabgeordneten, russische Firmen hätten Saddam bei der Handhabung modernsten Kriegsgeräts zur Seite gestanden. Schließlich drohte die jüngste Moskau-Visite von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in einen Eklat zu münden, als die smarte Russland-Expertin der Kreml-Führung resolut zu verstehen gab, weitere Fortschritte im bilateralen Miteinander werde es nur geben, sollte Moskau maximales Verständnis für Washingtons Kurs in der Irak-Frage zeigen.Putin reagierte auf den Auftritt von Rice, indem er eine lange geplante Washington-Reise seines Verteidigungsministers Iwanow kurzerhand stornierte. Das Weiße Haus focht dies nicht an: Während Russlands staatliche Nachrichtenagentur ITAR-TASS über den abgeblasenen Trip berichtete, schmetterte der Chor der Absolventen der Yale-Universtät - jener Eliteschule, die sowohl Vater Sohn Bush wie auch Condoleezza Rice absolviert haben - im Kreml-Palast populäre sowjetische Soldatenlieder wie Alexander Alexandrows Heiligen Krieg. Für russische Beobachter ein eindeutiges Signal Bushs an seinen russischen Amtskollegen: Auch Amerikas Krieg im Irak ist ein »Heiliger Krieg«. Und wenn Russland keinen Ärger will, sollte es Amerika dabei unterstützen. Noch widersetzt man sich in Moskau, aber die dringend gebotene Neudefinition der russischen Amerika-Politik kommt nicht zustande.Seit Jahren reißt die Kette der Brüskierungen Russlands durch Washington nicht ab: Der Ausstieg aus dem ABM-Vertrag, die Expansion der NATO bis tief hinein in den baltischen Raum, die Errichtung immer neuer US-Basen in unmittelbarer Nähe der russischen Südgrenze, das Auftürmen diskriminierender Handelsbarrieren, die schamlose Ausplünderung des russischen High-Tech-Sektors durch US-Firmen, die Degradierung Russlands zum bloßen Rohstofflieferanten...Die militärischen und wirtschaftlichen Eliten stehen Kopf. Wladimir Putin jedoch beeindruckt das wenig: Russland und die USA - so seine Überzeugung - trügen eine gemeinsame Verantwortung für das Schicksal der Menschheit, was sie zwangsläufig zu strategischen Partnern mache. Er glaubt felsenfest daran, dass Moskau und Washington trotz aller Meinungsunterschiede letztlich an stabilen geopolitischen Verhältnissen interessiert seien. Doch gilt das für die USA eben nur sehr bedingt: »Russlands strategische Interessen unterscheiden sich diametral von denen Amerikas«, urteilt der Vizepräsident der Moskauer Akademie für geopolitische Probleme, Generaloberst Leonid Iwaschow. »Russland hat kein Interesse daran, dass jene Struktur der internationalen Beziehungen, die derzeit die Verhältnisse zwischen den Staaten reguliert und Sicherheitsprobleme löst, vollständig zerstört wird, während die amerikanische Administration wild entschlossen ist, das globale Gleichgewicht über den Haufen zu werfen.«Eine Analyse, die viele US-Globalstrategen sofort unterschreiben würden. Auch Condoleezza Rice hatte sich vor ihrer Berufung zur Nationalen Sicherheitsberaterin mehrfach in diesem Sinne geäußert. Mit seiner Irak-Aggression hat Washington nun aber endgültig demonstriert, dass es auf absehbare Zeit vorrangig an geopolitischer Instabilität interessiert scheint. Die tradierte Struktur der internationalen Beziehungen soll aufgebrochen werden, um sie zum eigenen Vorteil umbauen zu können. Für Wladimir Putin höchste Zeit umzudenken. Die strategische russisch-amerikanische Partnerschaft ist eine Schimäre. Je eher der Kreml aufhört, ihr nachzujagen, desto besser für Russland - und Europa insgesamt.