Heimkehr der »Chiracianer«

Frankreich Durch Sanktionsverzicht Versöhnung stiften

Die Umfragewerte des französischen Präsidenten sinken wieder, seit die Sache im Irak entschieden ist. Goliath hat triumphiert, es bringt nichts mehr, einen David zu bewundern, der sich dagegen gestemmt hat. Jetzt wird wieder an der Heimatfront gekämpft. Der Streit um notwendige Rentenreformen wird in Frankreich mit so unerbittlicher Härte geführt, dass die deutschen Querelen auf diesem Feld wie eine beschauliche Kaffee-Fahrt anmuten. Nun kann zwar dank des zweigleisigen Regierungsmodells der Präsident eine Menge Volkszorn auf den für die ungeliebte Innenpolitik zuständigen Premierminister abwälzen. Aber wenn die Volkesseele kocht, drückt das eben auch die Beliebtheit des ersten Mannes der Grande Nation. Von stolzen 75 auf 64 Prozent Zustimmung sind die Werte seit Kriegsende für Jacques Chirac gefallen. Nur noch 49 Prozent der Befragten wollen, dass er sich 2007 erneut zur Wahl um das höchste Staatsamt stellt. Insofern muss eine pragmatische Wiederannäherung an die USA den Popularitätsverfall nicht zusätzlich beschleunigen.

Es erscheint schon sonderbar: Kriegspräsident Bush und Friedenspräsident Chirac haben bei Kriegsende das gleiche Problem. Beide müssen sie sich dringend um die heimische Wirtschaft kümmern, damit ihnen die Wähler nicht davonlaufen. Die Emotionen über Recht oder Unrecht eines Krieges auf fremder Erde kühlen ebenso schnell wieder ab wie sie entfacht wurden. Man kann eben auf die Dauer seine Miete ebenso wenig mit dem Stolz auf siegreiche Soldaten in fernen Landen zahlen wie mit seinem Mitgefühl für ein angegriffenes Volk. Zwar hatten, als der Staatschef wider Erwarten an seinem Nein im Sicherheitsrat nicht rütteln ließ, manche Kommentatoren mit heroischem Unterton Erinnerungen an de Gaulle ausgegraben, als dessen politischer Enkel sich Chirac bekanntlich sieht. Nur gibt es zwischen de Gaulles harscher und beharrlicher Kritik am Vietnamkrieg - verbunden mit dem zeitweiligen Rückzug aus der NATO ab 1966 - und der heutigen französischen Wirklichkeit einen entscheidenden Unterschied: Dem General war jede eilfertige Revision einmal bezogener Positionen suspekt. Chiracs Post-Gaullismus erschien bisher stets weicher und pragmatischer - um so mehr haben es viele Franzosen mit Respekt vermerkt, wie er der Supermacht widerstand.

Vornehmlich junge Leute waren es, die während des Irak-Krieges für jene Stimmung sorgten, die plötzlich ein Eins-Sein von Regierung und Volk suggerierte. Besonders auffällig zeigte sich das an der Peripherie der Großstädte, in den von nordafrikanischen Einwanderern bewohnten Cités. Da waren die jungen Araber plötzlich nur noch mit »Anti-Kriegs-Demonstrationen« beschäftigt und die linksliberale Libération rief per Überschrift Chirac zum »Roi des Beurs« aus - zum König der Einwanderer der zweiten oder dritten Generation. Le Monde titelte »Wir sind alle Chiracianer!«.

Beeindruckt es den Präsidenten nun, wenn er Drohungen von US-Außenminister Powell hört, der gerade ankündigte, Frankreichs Haltung zum Irak werde »nicht ohne Konsequenzen« bleiben? Außenminister de Villepin hat es im UN-Sicherheitsrat nie versäumt, darauf hinzuweisen, dass man sich bei allen Differenzen weiterhin als Partner und Verbündeter der USA sehe. Zwar gab es lautes Geschrei um einige Restaurants in New York und anderswo, die im März demonstrativ französischen Wein von ihrer Karte strichen, aber das wirklich große Kapital blieb unbeeindruckt. Keines der wichtigen US-Unternehmen hat für Juni seine Teilnahme am Luft- und Raumfahrtsalon in Le Bourget bei Paris abgesagt. Das würde ja auch bedeuten, den Europäern den Markt zu überlassen.

Wer erleben will, wie pragmatisch französische Politik so kurz nach ihrem Ausflug in die Welt der Ideale sein kann, der sollte nur beim G-8-Treffen vom 1.bis 3. Juni in Evian am Genfer See genau hinschauen. Den Krieg hat der Friedenspräsident verloren, beim Nachkriegsgeschäft jedoch will Frankreich schon dabei sein. Mit dem Zugeständnis, man könne doch die UN-Sanktionen gegen den Irak zunächst aussetzen, weil das irakische Volk eben schneller Hilfe brauche, als Hans Blix seinen Abschlussbericht liefere, ist man den Amerikanern einen entscheidenden Schritt entgegen gekommen. Klüger hätte man in Paris ein Zeichen für den Willen zur Versöhnung gar nicht setzen können. Wer kann schon dagegen sein, dass dem irakischen Volk endlich geholfen wird? So etwas nennt man wohl die hohe Kunst der Diplomatie.

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