Einen Coach benötigen sie offenbar nicht, die jungen Frauen: 99 Prozent der 17- bis 19- und 27- bis 29-Jährigen finden, "dass sie gut sind". Damit brachte es eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin und der Frauenzeitschrift Brigitte auf die Frontseiten mehrerer Tageszeitungen. "Frauen auf dem Sprung", war das Fazit, das sich aus der Untersuchung herauslesen und bejubeln ließ. Doch halten die ehrgeizigen Pläne der Wirklichkeit stand? Was hat es zu bedeuten, wenn Frauen finanzielle Unabhängigkeit wichtiger wird als der passende Partner und was für Männer, wenn Frauen schon in der Schule an ihnen vorbeiziehen? Wie reagieren Unternehmen auf die veränderten Bedürfnisse? Es sind die Strukturen, meint Jutta Allmendinger, Direktorin des WZB, die das Leben der jungen Frauen bestimmen, nicht ihre Absichten die Gesellschaft.
FREITAG:In meiner Jugend waren berufsorientierte Frauen darauf bedacht, die Mutterfalle zu vermeiden. Irgendwann hieß es dann, wir seien in die Emanzipationsfalle gegangen, weil wir vor lauter Karriere vergessen hätten, Kinder zu bekommen. Jetzt gibt es "Alphamädchen" und einen "Alphafeminismus". Haben die das Problem nun gelöst?
JUTTA ALLMENDINGER: Zunächst muss man sehen, dass zwischen den Erfahrungen meiner Generation und denen der jungen Frauen von heute große Unterschiede bestehen. Als ich mit meinem heute 14-jährigen Sohn schwanger war, meinte ein Kollege an der Münchener Universität, ich hätte im Tessin wohl zu viel gegessen. Ihm kam gar nicht in dem Sinn, dass ich schwanger sein könnte. Als ich mit dem drei Wochen alten Kind, das mitten im Semester auf die Welt kam, weiter unterrichtete, wurde ich auch von Frauen missbilligend angeschaut, durchaus auch von Studentinnen. In der Zwischenzeit haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stark geändert. Ihre Alphamädchen fallen ja nicht vom Himmel.
An welche Rahmenbedingungen denken Sie?
Mit Rahmenbedingungen meine ich zunächst die demographischen Veränderungen. Sie geben Frauen andere Chancen. Männer werden knapp, und in solchen Situationen konnten Frauen auch früher Boden gut machen, das sehen Sie ganz besonders in Kriegszeiten. Die jungen Frauen wissen, dass sie gebraucht werden, das macht sie selbstbewusster. Auch der Wandel hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft hilft Frauen. Es sind oft Kompetenzen, die Frauen in der alltäglichen Haushaltsführung und Kinderbetreuung entwickeln - das weibliche Arbeitsvermögen -, die heute in der Dienstleistungsgesellschaft abgefragt werden. Die Kultur der Jungen - es ist cool, nichts zu lernen und sich gegen Streber abzugrenzen - hat dagegen in der heutigen Arbeitsgesellschaft keinen Platz mehr. Auch kommen Mädchen mit der zunehmenden Erwerbsbeteiligung der Mütter bei einem unveränderten System von Halbtagsschulen offensichtlich besser klar als Jungs, Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern werden deutlicher.
Sie meinen, Mädchen kommen mit den freien Nachmittagen besser zurecht als die Jungen?
Ja. Den Jungen fehlt offensichtlich die wartende Mutter, die sich am Nachmittag kümmert, mehr als den Mädchen. Mädchen werden im Allgemeinen früher zur Selbstständigkeit und Selbstorganisation angehalten. In ihrer Entwicklung sind sie in frühen Jahren allemal den Jungen voraus. Dies führt dazu, dass sich Mädchen auch bei den Hausarbeiten selbst disziplinieren. Sie merken dann sehr früh, dass sie in ihren Klassen mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser sind als die Jungen. Die PISA-Werte der 15-jährigen Mädchen gehen in Richtung der Werte des Spitzenreiters Finnland, die der Jungen in Richtung des Schlusslichts Mexiko. Es wird hierzulande viel zu wenig wahrgenommen, dass sich 26 Prozent der Jungen auf den beiden unteren Kompetenzstufen bewegen, also kompetenzarm sind und kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt besitzen werden. Bei den Mädchen sind es nur 14 Prozent. Ich meine, dies prägt die gesamte junge Generation.
In Ihrer Studie erklären 99 Prozent der jungen Frauen, dass sie auf eigenen Beinen stehen wollen und 80 Prozent, dass sie für den Job auch umziehen würden. Das ist das traditionell männliche Erfolgsmodell, das voraussetzt, dass jemand da ist, der ihnen den Rücken freihält. Werden das in Zukunft eher die Männer sein?
Die Entwicklung wird in diese Richtung gehen. In den USA spricht man heute schon vom "dating down", das heißt die Frauen sind nicht mehr so daran interessiert, status- und einkommensbezogen "nach oben" zu heiraten. Die nicht monetäre Unterstützung durch ihre Partner wird dagegen immer wichtiger. Das wird in Deutschland auch so kommen. Unsere Studie zeigt in beiden untersuchten Altersgruppen der 17- bis 19- und 27- bis 29-Jährigen, dass die jungen Frauen ökonomisch selbstständig sein wollen. Sie verlassen sich weder auf die Versorgung durch den Partner, noch auf die Alimentierung durch den Staat. Inwieweit das, was sich die Frauen wünschen und was gesellschaftlich sinnvoll wäre, eintritt - dass wir nämlich von der Anderthalb-Berufstätigkeit auf zwei Dreiviertel-Tätigkeiten übergingen, verbunden mit anders organisierten Arbeits- und Lebensmodellen -, bleibt abzuwarten.
70 Prozent der von Ihnen befragten Mädchen wünschen sich Kinder. Aber zwischen Kinderwunsch und seiner Realisierung, das sagen alle Studien, gibt es eine erhebliche Diskrepanz. Tugend ist nur Mangel an Gelegenheit, sagt der Volksmund, Kinderkriegen offenbar auch?
Das würde ich unterstreichen. Wenn die überwiegende Mehrheit der Frauen auf eigenen Beinen stehen will und die Gesellschaft nicht in der Lage ist, eine zuverlässige Infrastruktur für die Betreuung von Kindern anzubieten, fehlt es an Gelegenheitsstrukturen. Inzwischen gelten die ersten Jahre, wenn die Kinder noch klein sind, sogar als die einfacheren. Wenn die Kinder dann in die Schule kommen, beginnen die Probleme, weil ihre schulische Begleitung Eltern heute viel mehr abfordert als früher. Wir brauchen dringend ein schulübergreifendes Angebot von Ganztagsschulen. Das würde nicht nur die Jugendlichen auffangen, sondern könnte auch die Kinder mit Migrationshintergrund integrieren.
Die Frauen drängen in den Beruf, obwohl das, was sie dort erwartet, nicht immer zufriedenstellend ist. Erwerbsarbeit wirkt nach wie vor ungebrochen sinnstiftend, daran hat auch die Krise der Arbeitsgesellschaft nichts geändert?
Ja, das ist ein interessantes Phänomen. Ein rein wirtschaftlicher Ansatz, nach dem man hauptsächlich um des Geldes willen arbeitet, kann das nicht erklären. Selbst Frauen, die sich am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen, sei es aufgrund der ungleichen Bezahlung oder weil sie nicht gefördert werden, sagen, dass sie Spaß an der Arbeit haben, weil sie sich produktiv und anerkannt fühlen. Das ist das treibende Moment.
Dabei sind die von Ihnen befragten Frauen mit ihrem Privatleben zufriedener als mit der Arbeit.
Das stimmt. Kinder sind für knapp 70 Prozent unserer Befragten wichtig, die Zufriedenheit liegt bei über 80 Prozent. Ein Partner ist 77 Prozent wichtig, hier wird eine Zufriedenheit von 85 Prozent erreicht. Die Arbeit ist Frauen ähnlich wichtig, aber nur 64 Prozent sind zufrieden.
Und bei den Männern?
Sind für die Frauen alle drei Bereiche ähnlich wichtig, so machen Männer deutlichere Unterschiede. Der Beruf steht mit 78 Prozent ganz vorne, die Partnerschaft liegt bei 68 Prozent, Kinder und Familie bei 51 Prozent. Im Ausmaß der Zufriedenheit unterscheiden sich Männer und Frauen nicht. Die Untersuchung zeigt aber auch, dass gerade gut ausgebildete Männer bereit sind, von der ausschließlichen Erwerbstätigkeit Abschied zu nehmen.
... ganze zwei Monate ...
Ich sehe die "Vätermonate" beim Elterngeld nicht ganz so kritisch. Männer brauchen ein starkes Rückgrat, um sich für die Erziehungsarbeit zu entscheiden. Die zwei Monate schaffen ihnen eine Legitimation: Wenn sie nicht aussetzen, ist das Geld weg. Das wird allgemein akzeptiert. Ich finde es falsch, hier auf die Männer einzuschlagen. Wir sollten im Gegenteil positive Männer- und Väterbilder entwickeln, auf die sie dann zurückgreifen können. Es macht doch nachdenklich, dass 100 Prozent aller Befragten unserer Studie glauben, der männliche Karrieretyp werde die Gesellschaft prägen. Dabei können wir zeigen, dass auch Männer Alternativrollen wollen und akzeptieren. Betrachtet man etwa Unternehmen, in denen der Geschäftsführer schon Erziehungsurlaub genommen und damit ein Vorbild gesetzt hat, so sehen wir hier einen auch insgesamt höheren Männeranteil in Erziehungszeiten. Das weist den Weg.
Mein Eindruck ist, dass das Problem Frauen, Karriere und Kinder erst zum Thema geworden ist, seitdem wir wissen, dass der Standort Deutschland demnächst unter Fachkräfte- und Expertenmangel leiden wird. Die Frauen werden schlicht als Ressource - als Arbeitskräfte und als Mütter - gebraucht.
Ohne Zweifel ist die Diskussion, auch die demografische, überaus ökonomisiert. Deshalb wehre ich mich gegen Begriffe wie "Alphamädchen", weil damit unterstellt wird, hier würden neue Frauen für Chancengleichheit kämpfen. Es geht überhaupt nicht um Emanzipation.
Das heißt aber auch, dass sich die Familien der Arbeitswelt anpassen und nicht die Arbeitswelt an die Bedürfnisse der Privatsphäre, wie es viele Soziologinnen vor 20, 30 Jahren schon gefordert haben.
Ich bin optimistischer. Es gibt immer mehr Organisationen und Unternehmen, die unterschiedliche Maßnahmen anbieten, um die Frauen im Beruf zu halten. Eine mittelständische Firma in Darmstadt ist gerade dafür ausgezeichnet worden, dass sie einen Rundum-Service für Eltern mit Kindern eingerichtet hat: Dieser umfasst die Betreuung in der Familie, wenn das Kind einmal krank ist, Austauschprogramme in den Ferien, Sprachunterricht und sozialpädagogische Einrichtungen. Bei den Unternehmen tut sich durchaus etwas. Es gibt also einen kleinen Aufbruch auch in der Wirtschaft selbst.
Das heißt, Unternehmen sind sogar bereit, sich zu ändern, weil das, was früher "weibliches Arbeitsvermögen" genannt wurde, inzwischen unverzichtbar geworden ist?
Wir haben schon vorhin darüber gesprochen, dass die moderne Dienstleistungsgesellschaft viel stärker die traditionell weiblichen sozialen Kompetenzen erfordert. Daher sollten bei Einstellungen nicht ausschließlich auf kognitive Kriterien, wie sie in den Zeugnissen dokumentiert werden, geachtet werden, auch soziale Kompetenzen sind zu berücksichtigen. So kann man auch das Potenzial derer, die nach formalen Kriterien bisher nicht in Frage kamen, da sie meist nicht aus dem richtigen Elternhaus kamen und ihnen nicht die entsprechenden Möglichkeiten gegeben wurden, für bestimmte Berufe besser ausschöpfen. Natürlich müssen auch Männer solche Kompetenzen einüben. Und das geschieht langsam auch. Wenn man vor fünf Jahren mit der Bahn in der ersten Klasse reiste, wurde man von den Schaffnern beim Fahrkartenstempeln oft sehr freundlich behandelt. Die Zuvorkommenheit endete, wenn man einen Kaffee oder ähnliches am Platz serviert haben wollte. Das passte halt nicht in das Bild eines männlichen Eisenbahners. Heute hat sich das verändert, mittlerweile wird auf Kundenorientierung geschult. Insofern sollten wir nicht über ein "weibliches Arbeitsvermögen" sprechen, sondern über ein Arbeitsvermögen, das an Frauen delegiert und schlecht oder gar nicht entlohnt wurde.
Wir haben bisher von Männern und Frauen gesprochen, als ob sie alle gleich wären und in Richtung Karriere starteten. Das stimmt ja nicht, es gibt, wie Sie eingangs umrissen haben, auch erhebliche Bildungsdiskrepanzen. Warum messen Sie der so genannten Bildungsarmut eine höhere Bedeutung bei als der Einkommensarmut?
Ein Kind, dem Bildung vorenthalten wird, bleibt lebenslang arm. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und dem Risiko, arbeitslos zu werden und dauerhaft arbeitslos zu bleiben. Wir sollten daher aufhören darüber zu lamentieren, dass etwa Geisteswissenschaftler oder andere Akademiker etwas länger brauchen, um einen Job zu finden. Das ist lächerlich im Vergleich zum wirklich furchtbaren Schicksal schlecht ausgebildeter junger Menschen, das sind insbesondere Personen mit Migrationshintergrund und Männer. Diese werden ihr Leben lang höchstens prekär beschäftigt sein. Eine nachholende Bildung ist schwierig, viele Programme bringen nur mäßigen Erfolg. Je früher man also interveniert, umso erfolgreicher durchbricht man den Teufelskreis zwischen dem Bildungsgrad der Herkunftsfamilie, eigener Bildung und der der nächsten Generation. In den letzten Jahren haben wir einiges für die Bildungseliten getan, entscheidend für die Zukunft unseres Landes ist es aber, die Bildungsarmut erfolgreich zu bekämpfen. Wenn wir uns damit abfinden, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen in unserem Lande bildungsarm ist und bleibt, dann brauchen wir bald auch keine Exzellenzprogramme mehr zu starten.
In den letzten Jahrzehnten hat die Soziologie ihre leitende Rolle an andere Wissenschaften abgegeben: an die Ökonomie und vor allem an die Lebenswissenschaften. Denken Sie, dass Ihre Disziplin mit den hier besprochenen Fragen etwas von ihrer führenden Funktion zurückgewinnen kann?
Die Soziologie hat sich lange Zeit abgeschottet gegenüber anderen Disziplinen, auch solchen, die Sie Leitwissenschaft nennen. Inzwischen hat sich das Fach, das sehe ich auch hier am WZB, geöffnet und orientiert sich interdisziplinär. Die Soziologie stellt die aus den verschiedenen Disziplinen hervorgegangenen Ergebnisse zusammen, bringt sie in einen gesellschaftlichen Zusammenhang und fokussiert sie neu. Die Sozialwissenschaften versuchen die Sicht aufs Ganze - vor allem Soziologie, Politikwissenschaft und politische Philosophie, aber auch eine weit über den "homo oeconomicus" hinausgreifende Ökonomie - in empirischer Kärrner- und Synthesearbeit mit zu schaffen.
Das Gespräch führte Ulrike Baureithel
Jutta Allmendinger leitet seit 2007 das Wissenschaftszentrum Berlin, das größte sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut Europas. Davor war die Soziologin Direktorin des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung in Nürnberg. Zwischen 1999 und 2002 stand sie als erste Frau der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vor. Als Bildungsforscherin untersucht sie die Auswirkungen von Armut, Arbeitslosigkeit und Migrationshintergrund auf das Bildungsverhalten.
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