Jeder Mensch habe das Recht, für 15 Minuten berühmt zu sein, sagte einst Andy Warhol. Im Sport ist es so, oft zumindest und in den vergangenen Wochen erst recht, dass man umso berühmter wird, je kürzer die Zeit des Ruhmes dauert. Grit Breuer zum Beispiel. 400-Meter-Läuferin aus Neubrandenburg, dank Startsperre und Finanzierungsproblemen durch die Republik gezogen und immer wieder bei großen Wettkämpfen auftauchend. Am vergangenen Sonntag war sie, was sie einmal im Jahr ist, wieder Schlussläuferin der deutschen Vier-mal-400-Meter-Staffel der Frauen bei den Europameisterschaften der Leichtathleten. Sie tat, was sie dort immer tut: kraftvoll laufen, die anderen Schlussläuferinnen übersprinten und dann jubeln. Angewandte Theorie der Heldenprodu
oduktion im Sport. Franziska van Almsick zum Beispiel. Schwimmerin aus Berlin, schon als 14-Jährige, dank zweier olympischer Silbermedaillen 1992 vom männlichen Teil der gesamtdeutschen Nation als begehrenswerte Lolita adoptiert, danach noch zwei, drei Jahre erfolgreich und im Anschluss, wegen ausbleibender sportlicher Erfolge, eher mit Häme, denn mit Lob überschüttet. Und erst recht ohne Respekt behandelt. Almsick tat vor zwei Wochen bei den Schwimm-EM in Berlin, was sie zuletzt vor sieben Jahren gemacht hatte: Sie siegte souverän: fünf Titel, davon zwei mit Weltrekord. Angewandte Theorie der Rückkehr einer Heldin im Sport. Dieter Baumann ist ein anderes Beispiel. Der Langstreckenläufer aus Tübingen war 1992 Olympiasieger. Er war der Weiße, der die Afrikaner überlaufen hatte. Das brachte Anerkennung, Respekt und bei nicht wenigen große Verehrung. Baumann strauchelte vor zwei Jahren über eine dubiose Dopingaffäre, kämpfte dagegen an und verlor. Nun, nach zwei Jahren Sperre, kehrte Baumann zurück ins Wettkampfgeschehen und wurde bei den Leichtathletik-EM Zweiter über 10.000 Meter. Doch das war keine Heldenproduktion mehr. Was Dieter Baumann erreichte, war bloß dies: Anerkennung und Respekt beim sportkundigen Publikum. Ein 37-jähriger früherer Weltklasseläufer hat sich nach großen Problemen wieder zusammengerissen, und hat mit aller Gewalt den Anschluss an die Weltspitze hergestellt. Die ganz großen Erfolge früherer Jahre, die Baumann den Ehrentitel "weißer Keniate" einbrachten, kann er künftig vergessen. Ein Held wäre Baumann wohl auch dann nicht mehr geworden, hätte er in München gewonnen. Höchstens ein Weltrekord, wie er auch solchen Meisterschaften höchst ungewöhnlich ist, hätte ihn in diese Sphären befördert. Nein, man muss konstatieren: das Verfallsdatum des einstigen Helden Baumann ist überschritten. Und das liegt vor allem an ihm selbst. Hätte Baumann seine Dopingsperre selbstkritisch akzeptiert, wäre er in dieser Zeit aus dem Blickfeld verschwunden und nun bei diesem sportlichen Comeback auch erstmals wieder einer größeren Öffentlichkeit aufgefallen - dann, ja dann hätte man ihm größeren Respekt entgegengebracht. Grit Breuer etwa, die im Gefolge der Affäre um ihre Trainingskollegin Katrin Krabbe auch eine längere Sperre zu erleiden hatte, die (aber das interessiert vermutlich nur Sportfachidioten) keine Dopingsperre war, musste lange abtauchen und hat sich dann richtig zurückgemeldet: Anders als Baumann war sie in der Zeit ihrer Sperre tatsächlich in der Öffentlichkeit kaum präsent. Sie trainierte still fürs Comeback. Das gelang ihr. Franziska van Almsick etwa, deren Karriere von Dopinggerüchten weitgehend verschont blieb, war zwar - das bringt schon ihr ökonomischer Status als Werbeprofi mit sich - öffentlich stets präsent, aber es war ihr gelungen, sich vom Ruf der Spitzensportlerin zu emanzipieren. Sie wurde in den letzten Jahren eine öffentliche Person, die nicht mehr mit Leistungen aus dem sportlichen Bereich assoziiert wurde: die Freundin eines bekannten Handballers, die Autofahrerin aus der Opel-Werbung und zuletzt die gedoubelte Nacktbaderin aus der Mineralwasserwerbung. Heldin wurde Almsick dadurch, dass sie etwas geleistet hatte, was ihr niemand mehr zutraute. Auch Breuer wurde Heldin durch ihre Leistung am vergangenen Sonntag, als sie ein hochklassiges Rennen gewinnen konnte. Dieter Baumann hingegen hatte uns in den Jahren, als er offiziell seinen Sport nicht betreiben durfte, immer versichert, dass er ja immer noch ein weltberühmter und ganz toller Sportler wäre. Und prompt bringt ihm so etwas Popliges wie ein zweiter Platz bei Europameisterschaften keinen Heldenstatus mehr ein. Helden, fassen wir zusammen, werden meist nur dann Helden, wenn sie uns angenehm überraschen. Und Helden, verallgemeinern wir des Weiteren, halten auch im Sport nicht ewig, und selbst Jahrhundertlegenden sind irgendwann dem Verfall preisgegeben, wie wir alle.