Anfang „Freitag, 1.10.82: Heute wird das konstruktive Misstrauensvotum gestellt, das heißt, FDP und CDU und SPD haben abgestimmt ob Helmut Schmidt bleibt oder Helmut Kohl kommt. Und durch die scheiß FDP hat die CDU genug Stimmen, um den Bundeskanzler Kohl zu haben. Das heißt also, wenn die Deutschen nicht aufwachen, wird Deutschland entweder total das Scheißland oder zugrunde gehen. Hilfe. Das ist so eine Scheiße. Wir haben das Wahlergebnis heute mindestens fünf Mal gehört, aber es bleibt dabei. Um uns abzureagieren haben wir das Lustspiel Ohne Kuss sollst du nicht schlafen gehen gesehen, mit Heinz Rühmann und noch ein paar tollen Typen. Es war klasse. So, jetzt gute Nacht, scheiße.“ Janine Sack,
Tagebucheintrag im Alter von 13 Jahren
Blühende Landschaften Ein paar Jahre ist es her, da wäre die Legende fast zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses geworden: Wenn die Union so einen Ärger wegen angeblich falscher Wahlversprechen mache, drohte 2002 die SPD, werde man auch die „blühenden Landschaften“ des Helmut Kohl nicht verschonen. Der hatte am 1. Juli 1990 erstmals davon gesprochen, dass Neufünfland „bald wieder“ eine prosperierende Region sein werde. Die Menschen im Osten hatten Aufschwung verstanden, wo der Kanzler Abbau hätte sagen sollen. Massenhaft wurden Kombinate dicht gemacht, zu Hunderttausenden verloren die Menschen ihre Jobs. Auf der Suche nach Arbeit machten sich Millionen auf den Weg in den Westen. Das war kein wirtschaftlicher Frühling – schaffte aber Platz für bunte Blumen. So gesehen behielt der Politiker, der das Aussitzen erst erfunden hatte, am Ende mit seinen „blühenden Landschaften“ doch Recht. Jedenfalls irgendwie. Tom Strohschneider
Bohrer, Karl Heinz Ästhet und einer seiner schärfsten Kritiker. Kohl, das war die Gestalt gewordene Trivialität, war der zu keiner artikulierten Satzfolge Fähige. Ein rachsüchtiger Kleinbürger, eine Art Refrain auf den Durchschnittstypus einer westdeutschen Kleinstadt, bei dessen Unfähigkeit zur gedanklichen Abstraktion man sich fragen muss, wie ein solches Mittelmaß promovieren konnte – und erst noch beim großen Dolf Sternberger, der aus unerklärlichen Gründen diese unsäglich gedankenlose Parteienstatistik als Dissertation angenommen hatte. Aber es gingen ihm ja fast alle auf den Leim: In Dr. Helmut Kohl drückte sich die Unfähigkeit der ganzen Gesellschaft zur Infragestellung überkommener Glaubensinhalte aus. Man muss also von einem System Kohl sprechen, einem System, in dem die Geistlosigkeit in der Politik symbolisch zum Ausdruck kam, einem System, dem konsequenterweise zu nichts etwas einfiel: Ja, ja, wenn Karl Heinz Bohrer, Professor für Literaturwissenschaft und Herausgeber der Zeitschrift Merkur, an Kohl dachte, gingen ihm die Pferde durch. Irgendwie kann man es verstehen. Michael Angele
Eierwurf Als Vorrecht des Adels galt es früher, seiner Wut ungehindert freien Lauf zu lassen. Allgemein akzeptiert war es, Vertreter niedrigerer Stände zu verprügeln, wenn einem danach war. Spuren dieses Verhaltens findet man heute noch bei Ernst August von Hannover, wenn er einen lästigen Pressefotografen mit dem Regenschirm vertrimmt. Bei Repräsentanten einer parlamentarischen Demokratie ist diese Form der Gefühlsregulation, nun ja, eher unüblich. Um so stärker bleiben jene wenigen Sekunden im Mai 1991 in Erinnerung, in denen Kohl bei einer Veranstaltung in Halle aus dem Kreis seiner Sicherheitsleute ausbricht, auf die Menge zurennt und sich einen Mann greifen will, der ihn zuvor mit Eiern beworfen hat. Der Kanzler, der sich prügeln will – man könnte vermuten, dass ihn dies die letzten Sympathien gekostet hätte. Aber im Gegenteil, für Sekunden wurde hinter der arrogant-gleichgültigen Fassade ein Mensch sichtbar, der mal ausflippt. Dass ein solcher Ausbruch heute kaum noch vorstellbar ist, zeigt, wie sehr sich der Typus des Politikers seitdem verändert hat. Jan Pfaff
Feindbild Kaum war er weg, ging auch den begnadeten Humoristen die Luft aus. Was schade war, schließlich konnte man schon seinen Spaß haben mit den lustigen Puppen, die öffentlich-rechtliche Satire-Beiträge über KanzlerKohl bebilderten (Unvergessen, stilbildend dagegen: die Titanic mit der Birne auf dem Cover!). Oder den vielen Witzen, Marke: Kommen Kohl, Strauß und Bush in den Himmel... Oder linken Gesangsvereinen, die Kohl mit Hymnen zu Leibe rückten: „Hannelores Tag ist grau, denn Helmut Kohl schlägt seine Frau“ (Die Ärzte). Die Antwort der 68er Pop-Politeria: Gerhard Schröder erledigte all das selbst, gerne auch als Sänger im Privatfernsehen, Motto: „Hol mir ma ’ne Flasche Bier!“ Susanne Lang
Lesen Sie morgen Teil II des A-Z Spezials, von F wie Folgen seiner Amtszeit bis M wie Masse
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