Pfalz Die Gegend im Südwesten der Republik ist landschaftlich schön, sanfte Hügel, endlose Weinberge, viel Sonne – und die Menschen erst, vielleicht etwas behäbig, aber immer freundlich. Gut, mit der klaren Aussprache haben sie es nicht so, aber das Phänomen lässt sich auch in anderen Landesteilen beobachten. Jedenfalls erklärt es nicht, warum Kohls Kritiker ihm allein aus seiner Herkunft einen solchen Vorwurf machten. Oggersheim – das Wort spuckten Kohl-Gegner geradezu aus. Und wenn er George Bush Senior, Bill Clinton oder Boris Jelzin zu sich nach Hause einlud, schämte sich ein ganzes Land ob dieser Provinzialität.
Der Verve, mit dem gegen Kohls Pfälzertum polemisiert wurde, lässt sich nur mit dem Selbsthass seiner Kritike
m Selbsthass seiner Kritiker erklären. Es ist ein Anrennen gegen die eigene provinzielle Herkunft. Schließlich waren die wenigsten von uns in Paris oder New York aufgewachsen und mussten sich weltläufiges Flair erst mühsam erarbeiten. Kohl wählte den umgekehrten Weg. Er brachte die weite Welt in die Provinz. Das war seine Rache an all jene zu Kosmopoliten mutierten Provinzlern. Jan PfaffSaumagen oder „Kanzlersteak“: Er war der obligatorische Bestandteil der Kohlschen Diplomatie. Der Legende nach soll Maggie Thatcher davon schlecht geworden sein, Michail Gorbatschow wünschte, nachdem man ihm noch einen Saumagen mit nach Moskau eingepackt hatte, zum Abschied „bessere Ernte und besseres Essen“. Dabei tat Chefkoch Manfred Schwarz vom Deidesheimer Hof alles, um das Leibgericht Helmut Kohls zu einer Gourmetspeise zu machen, und gab 15 Gewürze und Kräuter, darunter Muskat, Nelken, Majoran, Koriander, Kardamom, Basilikum und Lorbeer mit zu Kartoffeln und kleingeschnittenem Schweinefleisch, bevor er es in einen gereinigten Schweinemagen füllte und diesen anschließend drei Stunden in siedendem Wasser gar ziehen ließ. In der Luxusvariante enthielt das Gericht auch noch Gänsestopfleber und Trüffel. Was Wolfgang Siebeck als „gefüllten Dudelsack“ bezeichnete, wurde von einer regionalen zu einer deutschen Spezialität. Davon kann heute keine Rede mehr sein, zwölf Jahre nach der Kohlschen Kanzlerschaft ist der Saumagen wieder in sein angestammtes Eck zurückgekehrt. Was für den Wahrheitsgehalt der Legenden spricht. Jörn KabischSpiegel, Der: „Ich lese den Spiegel nicht.“ Als Kohl mit dieser Bemerkung einen Angriff des Hamburger Magazins parierte, der in einer Pressekonferenz zitiert wurde, war er gerade erst Kanzler geworden. Der Spiegel hatte ihn unter Dauerbeschuss genommen, Skandale gab es übergenug: die Flickspenden, die Kießling-Affäre... Bei welchem Anlass der Satz fiel, wer weiß es noch? Man sucht es in Büchern über Kohl so vergebens wie in seinen eigenen Memoiren. Und doch erinnern sich viele daran, weil es die Kohl-Gegner damals fassungslos machte. Denn es war eine Grundregel der Bonner Republik gewesen, dass alle Politiker am Montagvormittag erst einmal den Spiegel lasen. Wie konnte er sich da unterstehen? War es Dummheit oder Nihilismus? Aber er hatte das richtige Gespür: Es war im Grunde egal, ob das Magazin zeterte oder nicht. Gerhard Schröder hatte in Kohls Nachfolge bereits verinnerlicht, dass man zum Regieren nur „Bild, BamS und Glotze“ bräuchte. Und glaubte denn auch, sich zum CDU-Kanzler machen zu müssen, weil diese Medienmacht danach schrie. Michael JägerVolksnähe Mein erster Abend in Ostdeutschland. 1992, Auerbachs Keller in Leipzig. Ich sitze alleine am Tisch. Am nächsten Tag soll mein neuer Job beginnen. Plötzlich geht hinten rechts eine Tür zum Nachbarsaal auf. Ein großer Mann, der mir irgendwie bekannt vorkommt, erscheint im Türrahmen. Es ist tatsächlich Helmut Kohl, er hat nebenan gespeist. Kohl blickt einmal in den Saal, dann zögert er nicht lange und steuert auf den erstbesten Tisch zu. „Guten Abend, ich bin Helmut Kohl. Wie geht es Ihnen?“ Dann geht er weiter zum nächsten Tisch. Schließlich kommt er auch zu mir. Ausgerechnet. „Guten Abend. Ich bin Helmut Kohl. Wo kommen Sie denn her?“ Ich murmele etwas von Hamburg. Da dreht er sich zum Saal und sagt halblaut. „Sehen Sie, jetzt kommen sie aus allen Teilen unseres Landes nach Leipzig.“ Dann geht er. Und die Leute an den Tischen fangen an zu klatschen. Schräg. Philip GrassmannWolfgangsee Es gibt ein Bild von Helmut und Hannelore Kohl in ihrem Jahresurlaub, auf einer Wiese am Wolfgangsee. Kohl trägt Kurzarmhemd und blickt lächelnd in die Ferne. Seine Frau hat ein weißes Kostüm angezogen und einen Strohhut mit breiter Krempe aufgesetzt. Sie sitzt in der Hocke vor ihm und gibt einem Rehkitz Milch aus einer Nuckelflasche – als wäre es selbstverständlich, dass man bei einer Tour immer so ein Fläschchen dabei hat. Das Foto stammt aus dem Jahr 1994. Seither haben Fotografen noch viele Bilder von Helmut Kohl bei seinen jährlichen Ausflügen am Wolfgangsee gemacht: Kohl mit großem Hund, mit kleinem Hund, mit Krawatte. Auf einigen Fotos ist auch Hannelore zu sehen.Trotzdem nimmt das Bild mit dem Rehkitz eine besondere Stellung ein, denn es ist der beste Beweis, dass Bilder nicht lügen, gerade wenn sie gestellt sind. Kaum ein anderes zeigt Kohls politische Utopie besser als dieses: Ein Ort, an dem die Harmonie nicht mehr beschworen werden muss, sondern wo der Friede zwischen Mann und Frau, zwischen Mensch und Natur einfach besteht. Ein Ort wie das österreichische St. Gilgen am Wolfgangsee. Ehrlicher – und erschreckender – als auf diesem Foto war der Mann wohl selten. Steffen Kraft