Der Titel seines Buches von 1994 ist zum stehenden Ausdruck in den intellektuellen Debatten geworden: Verhaltenslehren der Kälte. Nun ist es mit einem langen Nachwort von Helmut Lethen neu von Suhrkamp aufgelegt worden.
der Freitag: Herr Lethen, Ihr Kultbuch hat durch den Krieg leider eine unerwartete Aktualität bekommen. Sehen Sie das auch so?
Helmut Lethen: Ich fürchte, ja. Wir scheinen gerade von der Wärmesphäre eines strukturellen Pazifismus der BRD, wie der Historiker Sönke Neitzel das genannt hat, in eine Kriegsszene zu gleiten, wo es so verdammt ernst ist, dass sich das Buch plötzlich als eine Diskurs-Ressource für einen wiederbelebten Habitus der Kälte anbietet.
Verstört Sie das?
Ja, denn ich habe die Friedfertigkeit der Bundesrepublik lange für richtig gehalten. Die Feigheit, die Nicht-Wehrfähigkeit – das waren nach 1945 große und notwendige Kulturleistungen. Und jetzt begegnet man wieder klugen, aber lange tabuisierten Sprüchen, die man aus Kreisen der „konservativen Revolution“ der Weimarer Republik kennt: Wir müssen eine Gesellschaft werden, die lernt, an der Grenze des Schmerzes zu arbeiten. So formulierte es der bulgarische Politologe Ivan Krastev kürzlich. Und die Theorie von Freund und Feind wird wieder andächtig zitiert.
Als hätte er den konservativ-revolutionären Schriftsteller Ernst Jünger gelesen. Stimmen Sie Krastev zu?
Eher nicht, Mentalitätswechsel geschehen nicht über Nacht. Der strukturelle Pazifismus ist tief in die Körper der Nachkriegsgenerationen eingesunken, und jetzt müssen wir erst mal dessen Ohnmacht eingestehen. Wehrlosigkeit lockt Aggressoren an. Ernst Jüngers Essay Über den Schmerz von 1934 ist eine bedenkenswerte Diagnose liberaler Gesellschaften, die den Schmerz an die Peripherie in Hospitäler, Kasernen, Gefängnisse oder ferne Kriege auslagern und den Medien die Aufgabe zuweisen, Bilder des Schmerzes in die Mitte der Gesellschaft so einzuspeisen, dass sie sich mit der Herzenskälte unserer Gewohnheiten arrangieren lassen.
Ich frage mich, warum uns der Schmerz jetzt wieder so einholt, weder hatten wir diese Gefühlslage im Jugoslawienkrieg noch in den Golfkriegen. Ist das einfach so, weil der Krieg uns so nahe ist?
Es stimmt, diese Erschütterung hat es wirklich nicht gegeben, nicht bei anderen Brüchen des Menschen- oder Völkerrechts, nicht beim Sturz Allendes in Chile, nicht bei den Irakkriegen und nicht bei den Kriegen auf dem Balkan. Jetzt rückt sie uns zum ersten Mal auf den Leib. Als Kriegskind nehme ich das wörtlich. Wahrscheinlich hat Jakob Augstein recht, wenn er sagt, dass die wilde Erregung, die uns jetzt aufwühlt, nur im Schutz des Mythos des unschuldigen Westens möglich war. Haben wir uns mit diesem Mythos eine geschlossene Sphäre der Schmerzempfindung aufgebaut?
Eine interessante Frage. Aber Sie und ich glauben doch gar nicht an den „unschuldigen Westen“.
Als die Historikerin Ute Frevert von ihrer Professur in Princeton zurückkam, ich glaube, 2003, während des dritten Golfkriegs, fällte sie ein Urteil über die pazifistische Außenpolitik der Bundesrepublik, das mich damals umgehauen hat: Waren wir nicht schon lange, fragt sie, die jammernden Zahlmeister amerikanischer Militärinterventionen? Scheinheiligkeit in außenpolitischen Verlautbarungen und gleichzeitig Champions der Rüstungsindustrie? War das schon immer die Doppelbödigkeit des Pazifismus? 1945 bestaunte ich die Amphibienpanzer der amerikanischen Truppen, sie verdunkelten die Gassen eines Winzerdorfes und brachten Palmoliveseife für die Mütter und Kaugummis für uns Kinder. Reine Freiheit.
Das ist aber nicht ganz typisch für Ihre Generation. Viele 1968er wurden doch am Ende zu Antiamerikanern.
Stimmt! Der Wandel des Amerika-Bildes tauchte mich in ein Wechselbad der Empfindungen. Einerseits ein Land der Freiheit , wie es auch Hannah Arendt sah; andererseits ein Land, das die schrecklichsten Zerstörungsmittel in seinem Kolonialkrieg in Vietnam einsetzte, um auch in Asien einen eigenen Hinterhof zu beherrschen. Das Rätsel ist doch, warum die USA trotz dieser Erfahrungen immer noch den Zauber des freieren Lebens ausstrahlen. War der Zauber schon ermattet und nach Afghanistan fast schon erloschen, so wird er jetzt durch Putins Angriffskrieg wieder aufgefrischt. Wie soll man damit umgehen?
Ja, wie?
Manchmal frage ich mich, sind wir – in unseren noch beheizten Zonen – nur Zuschauer einer Tragödie? Ohnmächtig, auch wenn wir keine Pazifisten mehr sein wollen.
Haben Sie denn gar keine Hoffnung?
Vielleicht gibt mir das, was der weise alte Alexander Kluge neulich sagte, einen Funken Hoffnung. Kluge verweist auf den Dreißigjährigen Krieg und dass man für den Westfälischen Frieden schließlich drei Jahre oder mehr gebraucht hätte. Es müssten überschaubare lokale Kerne einer Sicherheitsarchitektur gefunden werden, mit denen sich die Großmächte abfinden könnten. Ich schätze, darauf läuft es hinaus – und aber, puh, was bis zu diesem Punkt passiert, einen Dreißigjährigen Krieg möchte man ja nicht haben.
Zur Person

Foto: Gerhard Leber/Imago Images
Helmut Lethen, geb. 1939 in Mönchengladbach, war Mitglied der maoistischen KPD-AO. Heute hat der Kulturwissenschaflter und Germanist eine Professur an der Kunstuniversität Linz inne. 2020 erschien seine Autobiografie Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug
Ist keine Alternative denkbar?
Nun, ich habe den satirischen Film Stalins Tod jetzt noch mal gesehen, wunderbar. Zum Schluss tritt der legendäre Generalstabschef der Roten Arme, Georgi Schukow, auf, verbreitet Furcht und Schrecken in der intriganten Bande um Chruschtschow und sorgt dafür, dass Berija, der Sadist des KGB, eliminiert wird. Der Auftritt von Marschall Schukow rührt mich. Er erinnert mich an ein Interview zum Ukraine-Krieg mit dem großen Violinisten Gidon Kremer. Er habe eine russische Schriftstellerin gefragt, wieso sie die Sowjetzeit hätte überleben können. Die Antwort war lakonisch: „Es gab eben eine Mafia anständiger Leute.“ Daran dachte ich, als ich die gepanzerte Brust des Marschall Schukow sah.
Am Anfang des Kriegs hatte ich diese Hoffnung auch. Allerdings stellte ich mir diese Generäle als von den Verhaltenslehren der Kälte durchdrungen vor. Verschwörer sind ja ebenso „kalte persona“ wie ihre Gegenspieler, mit allem, was dazugehört: Maskerade, Verstellung, Brechts „Verwisch die Spuren!“. Denken Sie an den Hitler-Attentäter Claus Schenk von Stauffenberg, die Demokratie und der Liberalismus waren nicht seins.
Über die Mentalität der Offizierskaste kann ich generell nichts sagen. Sie wandelt sich, ist im Drohnenkrieg anders als im Stellungskampf. Ich fand es erstaunlich, dass Ernst Jünger, vom Pariser Stab der Wehrmacht an die Ostfront geschickt, mit Entsetzen im Kaukasus beobachtet, dass ein neues, vom NS-Staat ausgelesenes Offizierskorps Regeln eines Vernichtungskriegs folgt, in denen er nicht mehr heimisch ist. Andererseits war die soldatische Psyche selbst in den besten Exemplaren eine Kippfigur, die von der Kälte regelkonformen Verhaltens unversehens in die Hitze des Gefechts übergehen konnte. Die Kälte ist der Hitze ja viel näher als der gemäßigten Temperatur, die immer als eine des Liberalismus galt.
Es taucht auch der „Verräter“ wieder auf. Bei Putin sowieso, aber auch Wolodymyr Selenskyj sprach von „Verrätern“ in seinem Apparat. Was löst das in Ihnen aus?
Schrecken. Denn jede geschlossene Formation umgibt sich mit dem Verdacht des Verrats, das heißt mit der Ahnung, dass alle starren Grenzen durchlässig sind.
Wenn wir schon bei Typologien sind: Wir beobachten auch eine Wiederkehr dessen, was Sie als „Kreatur“ beschrieben haben. Was in Butscha geschehen ist, ist grauenvoll, man findet kaum Worte. Schon die Vorstellung, dass Menschen in Kellern wochenlang ausharren müssen, ist kaum aushaltbar.
Grauen versieht den Kontaktstrom der Empathie mit Energie. Leicht fällt uns die moralische Kommunikation mit den Verfolgten und dem Kind im Luftschutzkeller. Komplizierter wird es, wenn sich Krieger mit Panzerfaust, deren Handeln wir kognitiv gutheißen, zur Identifikation anbieten. Wenn ich einen zerschossenen Panzer sehe – gleichviel ob ukrainischer oder russischer Provenienz –, denke ich an die verglühte Dreimannbesatzung, und meine Einfühlung fällt aus Lagern der Kriegsparteien heraus. Die Identifikation mit den Gepanzerten haben wir seit Jahrzehnten aus guten Gründen verlernt oder dem Kino überlassen. Über Nacht lässt sie sich nicht leicht wieder beleben. Ich war ein sehr schlechter Panzerfaustschütze, die Waffe lag schwer wie ein Ofenrohr auf meiner Schulter, und ein Jahr nach meinem Wehrdienst wurde ein Rekrut durch die Explosion des Rohres getötet.
Ist die Schwierigkeit, uns schlecht mit Gepanzerten zu identifizieren, nicht ein Glück?
Unsere Achtsamkeit der „Kreaturen“ enthält den Wohlfühlfaktor der Moral. Sie bekräftigt, dass wir uns nach wie vor in der Selbstentwaffnung heimisch fühlen dürfen. Ich fand es rührend, als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock – sie hat an diese Herausforderung doch im Traume nicht gedacht und macht ihre Sache gut – sagte, wir müssten ein Wort lernen, das wir jahrzehntelang nicht mehr ausgesprochen haben: Wehrhaftigkeit. Jetzt sprechen wir es aus. Aber welchen mentalen Rückhalt dieses Wort hat, weiß ich nicht.
Das Buch
Körperpanzer Nach der Blamage des Ersten Weltkriegs und mit den Herausforderungen der Modernisierung, so die These in den Verhaltenslehren der Kälte, versuchen überwiegend männliche Schriftsteller und Intellektuelle wie Bert Brecht oder Ernst Jünger den Zumutungen der Gewissens- und Schuldkultur sowie den „Wärmenischen des Authentischen“ zu entkommen, um sich der Kälte der Welt zu assimilieren. Den gepanzerten Trennungskünstlern und Dezisionisten stellt das Buch die Figuren der neuen Konsumsphäre („Radartyp“) und die „Kreatur“ gegenüber, Kriegskrüppel und Arbeitssubjekte, die in der „künstlichen Masse“ (Heer, Fabrik, Warenhaus) kreisen. Nun ist das Buch mit einem 70-seitigen erhellenden Nachwort bei Suhrkamp neu erschienen.
Ich schon. Man sieht eine erstaunliche Aufrüstung der Sprache und auch eine Identifizierung mit dem Krieger. Bei manchen Kommentatoren, etwa im Springer-Verlag, hat man das Gefühl, dass die Tastatur schon an die Panzerfaust angeschlossen ist. Mich erschreckt das. Das ist „soldatisch“ auch in dem Sinn, dass Grauzonen, dass die mittlere Temperatur, von der Sie vorhin sprachen, das „Liberale“, nicht besonders attraktiv ist.
Ja, das mag so sein. Die Rhetorik stellt die Trägheit der Wirklichkeit immer in ihren Windschatten, sie kann jedoch auch Handlungsoptionen anbahnen. Ist aber diese merkwürdige Remilitarisierung der Diskursform nicht ein Ritt über den Bodensee, bei dem man jederzeit einbrechen kann? Ich misstraue dem Diskurs der Remilitarisierung, obwohl er meinen Verhaltenslehren markige Sprüche entnehmen kann. Man vergisst mein Plädoyer für eine Kultur der bürgerlichen Schattierungen und gemischten Temperaturen. Thomas Mann ist für mich einer, der sich in der Weimarer Republik für eine graue republikfreundliche Partei entschieden hatte, für die Sozialdemokratie. Als Intellektueller mit der KPD zu sympathisieren, bedurfte keines besonderen Muts. Der NSDAP anzugehören, auch nicht. Aber für eine Partei des Ausgleichs zu sein, schon. Es muss eine Leidenschaft für den Ausgleich geben. Das war die finstere Seite auch der künstlerischen Avantgarden, die sich lieber auf die Sammelplätze des gefährlichen Lebens stürzten, um Selbstgewissheit mit Zerstörungslust und Todesahnung zu verknüpfen.
Wird dieser Ausgleich nicht durchkreuzt durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine und den enormen Ängsten, die daraus folgen? Putin hat mit Atomwaffen gedroht, das könnte er, in die Ecke getrieben, wiederholen. Das zerstört doch den ganzen politisch-vernünftigen Affekthaushalt. Es ist das Ende des Projekts der Freiheit von Angst, über das Sie mal geschrieben haben.
Mir schwebte mit der Erfindung der „kalten persona“ eigentlich eine Kunstfigur vor, die ich als ein symbolisches Zaubermittel empfand, mit dem sich ohnmächtige Schriftsteller und Theoretiker ohne Angst ins Räderwerk der Modernisierung einschalten wollten.
Funktioniert das denn für Sie, angstfrei zu bleiben?
Das hat wahrscheinlich nie funktioniert. Wenn ich in hier in Wien über den Krieg nachdenke, habe ich keine Angst. Ich habe sowieso kein Talent für apokalyptisches Denken. Die Angst ging eher von Tschernobyl aus, nicht aber von der Androhung eines Atomschlags. Das empfand ich als eine rhetorische Drohgebärde. Vielleicht völlig zu Unrecht. Wir haben so vieles als bloße Rhetorik deklassiert , bis wir eines Besseren belehrt wurden.
Zum Modernisierungsprojekt gehört nicht nur die Freiheit von Angst, sondern die Ablösung geschlechtsspezifischer Zuschreibungen von ihren Trägern. Nun erleben wir eine merkwürdige Gleichzeitigkeit, Frau Baerbock kann wie eine „kalte persona“ auftreten, während aber vor allem Frauen und Kinder als Opfer, also weiblich, konnotiert werden.
Nein, Annalena Baerbock ist ja nicht die Roboterfigur, dem Film Metropolis entsprungen. Das Umfeld der Kriegsarena bietet uns aber folgende Szene: auf der einen Seite ein rein weibliches Lager der Geflüchteten, auf der anderen Seite eines der gepanzerten Männer. Der Konservative in mir sagt: Das hat die Natur so eingerichtet. Leicht kann dieser Einwurf in Erinnerungen an Widerstand und Partisanenkämpfe oder die „Nachthexen“, Sturzkampffliegerinnen der Roten Armee, widerlegt werden. Überzeugende Verteidigungsministerinnen sind selten. Kramp-Karrenbauer überzeugte mich. Sie bewies auch Mut in der Frage des Afghanistan-Fiaskos. Vielleicht zeigt sich derzeit das Dilemma der Theorie des Geschlechts als einer kulturellen Konstruktion, die man unterschiedslos über alle Lebewesen stülpen kann. Als wenn der Mensch sich nicht als Naturwesen vorgegeben wäre. Plötzlich erleben wir die Reconquista einer konservativen Blickweise.
Es gibt noch eine Komponente in diesem neuen Bellizismus, die tabuisiert ist. Ich meine die Erotik, die von jungen, geschminkten Frauen in Kampfmontur ausgeht, es gibt sie in der israelischen Armee, und es gab sie zu Beginn des Kriegs in der Ukraine.
Unbestreitbar sind die Verhaltenslehren der Kälte ein durch und durch viriles Buch. Das hat mir schon früh eine Literaturwissenschaftlerin vorgeworfen, die gerade hier mitdiskutiert. Und der Sexappeal der uniformierten Kriegerin ist mir nicht fremd.
Ein Grundmotiv Ihres Buchs ist die „Suche nach dem Glück in der Entfremdung“. Da denkt man natürlich auch an die kaum fassbare Kriegsbegeisterung auch der Künstler und Intellektuellen von 1914. Aber ich möchte mir das Motiv nicht kaputtmachen lassen. Es gibt andere „künstliche Paradiese“. Drogen statt Krieg!
An die Kriegseuphorie von 1914 habe ich keine Sekunde gedacht. Ich stand eher unter dem Einfluss des Philosophischen Anthropologen Helmuth Plessner, dessen Schrift von der Grenze der Gemeinschaft von 1924 ich den Gedanken nahm, man müsse sich ins Reich der Entfremdungen verlieren, um sich selbst zu finden. Zerstreuung, Masken und Anonymität seien der Möglichkeitshorizont, den die Öffentlichkeit der Gesellschaft uns biete. Höflichkeit, Takt und Diplomatie seien die richtigen Navigationsinstrumente im Meer der Entfremdung. Künstliche Paradiese hatte die Weimarer Republik auch anzubieten.
Mit den großen ökologischen Fragen tritt dieses Denken aber zurück. Denn als ökologisch denkender Mensch suche ich das Glück natürlich nicht in der Entfremdung, sondern in der Aufhebung von Entfremdung. Der Generation Fridays for Future müssen Sie damit nicht kommen.
Auch meine Studentinnen an der Kunstuniversität Linz konnten mit meinen Kälte-Neigungen nichts anfangen. Sie haben das Recht auf die Wärme der Gemeinschaftsbildung eingeklagt. Daraufhin habe ich den Plessner noch mal intensiv gelesen, das hilft oft gegen Vorurteile. Und siehe da, Plessner plädiert herzzerreißend für „Primärzonen der Einbettung“, vertraute Sphären der Heimat, Familie, selbst der Rasse und des Volkes. Diese Seite hatte ich als Kälte-Freak 1990 weitgehend außer Acht gelassen. Für den Anthropologen war der Wärmepol jedoch unverzichtbar. Gleichzeitig fordert er aber vom Menschen, von sich als Gemeinschaftswesen zu abstrahieren, um sich als Rechtsperson in der Gesellschaft frei zu bewegen. Dabei sollte der Gemeinschaftspol nicht durchgestrichen werden. Fatal ist, dass die Pole von Gemeinschaft und Gesellschaft immer verschiedenen politischen Lager zugeteilt wurden, die Rechte regiert das Heimatlager, die Linke isoliert sich im Gesellschaftslager. Wir müssen lernen, in gleichwertig bipolaren Sphären zu leben. Im Nachwort zum Buch habe ich diese politische Revision des Buches näher erläutert.
Sie haben hier im Gespräch und auch am Ende Ihres Buches für eine Kultur der Vermischung plädiert. Der neue Dezisionismus, der nur Freund-Feind-Unterscheidungen kennt, scheint kein guter Nährboden dafür zu sein.
Der Nährboden für Kulturen des Ausgleichs ist uns im Angriffskrieg entzogen worden. Aber keine Bange, der „neue Dezisionismus“ ist eine Frühlingspflanze. Und die in unserer Geschichte bekannten Dezisionisten haben sich nie allein zum Sprung entschlossen. Sie sind einfach nur hinterhergesprungen, wenn es opportun erschien.
Der Romanist Werner Krauss, der 1943 im Kerker der Nationalsozialisten ein Buch über die Lebenslehre des spanischen Jesuiten Gracián schrieb, bemerkt einmal: „Ein schöner Rückzug ist auch was wert.“ Könnte das irgendwann doch noch ein Szenario für den gegenwärtigen Krieg sein?
Das Blöde ist, ich kenne keine schönen Rückzüge. Die historischen Rückzüge waren alles andere als schön.
Kommentare 23
Ein wahrer Text des "Ausgleichs". Gericht des Tages: Baerbock mit guter Sache.... und ich kann bestätigen, entgegnen ... unausgeglichen ... dass mich der Tod von Allende ... ja ... so ... bewegt hat ... wie die Kriegs-Taten und Musterlügen von heute.
"Es stimmt, diese Erschütterung hat es wirklich nicht gegeben, nicht bei anderen Brüchen des Menschen- oder Völkerrechts, nicht beim Sturz Allendes in Chile,"
Mit Verlaub, Euer Ehren, wenn ich mal für mich selbst sprechen darf: der Putsch in Chile hat mich ähnlich erschüttert wie die Massaker in der Ukraine. Mag daran liegen, dass beides von Pinochet oder einem seiner Bewunderer angerichtet wurde.
Es gab übrigens nicht nur" Chile" . Ich darf bei dieser Gelegenheit zum Beispiel an eine Komilitonin erinnern: Elisabeth Käsemann.
Liebe Frau Baureithel, lieber Herr Angele, lieber *Emeritus Lethen,
Die „Verhaltenslehren der Kälte“ gab es zuletzt jede Woche frischgedruckt, aus der der Freitag- Redaktion. Seit Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine, publizierte der dF reihenweise Autoren (Es waren, das sei zugegeben, wirklich vor allem Xy- Genträger), die sich, selbstverständlich immer um die schnelle Beendigung der Gewalt besorgt, vorausdenkend ausmalten, wie es sich denn in einer Ukraine auf dem „Unabhängigkeitsstatus“ Transnistriens weiterleben ließe: „Einigermaßen erträglich“, lautete die einprägsame Formel eines Schreibers.
Reihenweise wurden redaktionelle Texte und solche von Gastautoren veröffentlicht, die sich tief in die Motive des Aggressors einfühlten. Als hätte man jahrelang nichts anderes vernommen und aufgesogen, als im russischen Kriegsrat, immer auf fünf- acht Meter Abstand zum größten Führer der Russischen Föderation, seit Jahr und Tag verkündet wurde.
Irgendwo in den Texten, war dann immer auch noch verschwiemelt zu lesen, dass selbstverständlich ein solcher Angriffskrieg abgelehnt würde, der ja leider ubiquitär sei, von Russland nur kopiert oder gespiegelt.
Die Selbstverständlichkeit der Floskeln, bei Herrn Michal oder Herrn Herden, beim Herausgeber des Blattes, Jakob Augstein, sie stimmte micht traurig und ließen mich zweifeln, ob nicht gerade die Herren, die Männer, die unbedingten Pazifisten, die Ukraine und ihre Bevölkerung als eine Art Verhandlungsmasse ansehen, über die letztlich, zur Vermeidung allzu vieler Opfer, die Russische Föderation entscheiden solle.
Mit Nikita Geras(s)imov schreibt gar ein Insider der staatlichen russischen Diplomaten- und Elitenschule (MGIMO), für den der Freitag, über die militärischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten Russlands, der auf seinem persönlichen Blog die „Fehler“ der russischen Luftabwehr beklagte, die zur Beschädigung eines der Truppentransport- und Landschiffe führte. Solche Uncle Tobies lacht sich der der Freitag an und bietet ihnen redaktionell Platz. Allzu ersichtlich, nur um gegen den sogenannten Mainstream anzuschreiben.
Mit dem heutigen Datum steht fest, dass bei kontinuierlicher und ausschließlicher Lektüre des der Freitag hängen bleibt, wie wenig verantwortlich der Kreml und das eingeschüchterte russische Volk für die „militärische Spezialoperation“ sei. Die Hauptursachen und - Gründe lägen in der, von den USA, der NATO und der EU betriebenen Westorientierung der Ukraine; im Widerstand der Ukraine, die Souveränität über ihr Staatsgebiet aufgeben zu müssen und zuletzt nun in ihrer Weigerung, während des Einmarsches der Russen sofort zu kapitulieren, um die weitreichenden Forderungen des Aggressors zu erfüllen.
Einige dF-Autoren, es waren ebenfalls praktisch nur die Männer, deuteten an, dass die Ukraine letztlich nur ein Stellvertreter und Vasall der USA und/oder der NATO sei, also gar keine eigenständigen und echten Wünsche haben könne, vom Brudervolk nicht nach allen Regeln der brutalen Kriegskunst überfallen zu werden. Schließlich wolle der Aggressor ja nur Wohltaten: eine Umerziehung, die "Entnazifizierung" und Entwaffnung, für den "ewigen Frieden" unter "Kleinrussen" und Russen.
Nicht unerwähnt kann bleiben, dass diese Überzeugungen explizit auch von einem erheblichen Teil der, rund um die Uhr kommentierenden, Schreibenden der Rest- Community geteilt werden, die sowieso, handelte es sich um Assad und dessen Syrien, um Giftgas und Folter dort, um China, die Uiguren und die dortigen Lager oder eben um die Autokratie Putins, seit Jahren seltsamen politischen Männern und ihren Systemen die Stange halten.
Völlig unverständlich , reklamieren diese Herrschaften und ein paar wenige Damen auch den Pazifismus und den linken Humanismus für sich, während andere "Community"- Teilnehmer als Kriegstreiber und nützliche Idioten der NATO gemalt werden. Seltsamerweise betrachten sie sich als irgendwie Linke, obwohl die meisten ihrer Töne wie alternativ Rechts, wie Alt- Right, klingen.
Praktisch mit dem Kriegsgeschehen, wurde im dF die Frage länglich diskutiert, ob es in der Ukraine ausreichend viele radikale Rechte und „Nazis“ gäbe, die das Vorgehen des Aggressors irgendwie rechtfertigten, der selbstverständlich die eigenen Rechten und seine Terroristen aus Tschetschenien zu Angriffs- und Destabilisierungsmissionen zu nutzen weiß, weil diese die „unabhängigen Volksrepubliken“ und eigentlich alle Russen in der Ukraine, sowie russische Kulturgüter, die angeblich von Genozid, Unterdrückung und Auslöschung bedroht seien, befreien.- Kein Wort dazu, dass die sogenannten Volksrepubliken auf dem Repressionsniveau der Schutzmacht Russland dahinvegetieren. Russisches Befreien heißt derzeit übrigens töten und zerstören.
Fast konnte man den Eindruck gewinnen, es handele sich beim russischen Angriff um eine notfallmäßige Prävention. Andere dF- Autoren zogen es vor, die russische Aggression als Stellvertreterkrieg zu charakterisieren. Eine weitere Entwertung der Ukraine, ganz im Sinne Moskaus.
Es kann auch nicht geleugnet werden, dass politologisch interessierte und engagierte Linke, gestützt auf eine völlig überwertige Auslegung der Populismus- Theorien Laclaus, Mouffes und schon etwas älter, denen Gramscis, die im Grunde Machterlangungen und Akklamationen, ohne ethisch- moralische Grundpositionen die es noch zu verteidigen gälte, möglich machen, befürworten. Sie freuen sich über die simplizistischen und ebenfalls völlig amoralischen Theorien des politologischen Hyprrealisten John Mearsheimer, die im Grunde eine „eiskalte“ Rückkehr zum Krieg, als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, zur Abgrenzung der jeweiligen Großmachtinteressen, als TINA- Prinzip (alternativlos) vorstellt.
Dass die Rechten weltweit immer schon auf diesem Urgrund standen, verwundert nicht. Dass aber moderne Linke, angesichts ihrer Vorgeschichte und ihrer aktuellen politischen Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit, darauf einsteigen, wie sie einst auch länglich dieses seltsam schillernde Spiel mit den Ansichten Carl Schmitts betrieben, verwundert und enttäuscht doch sehr. Nein, es erschreckt und erfüllt mit Abscheu!
Was Linke und irgendwie Linke wieder lernen müssten, meinetwegen entlang aller multipel gescheiterter oder gar ermordeter Symbol- und Identifikationsfiguren, von Rosa Luxemburg bis zu Jean Jaures, von Sartre und Nizan, von allen Irrtümern und Fehlkalkulationen der politischen Linken in West- und Mitteleuropa, weil man sich immer für politisch realistisch hielt und angeblich eiskalt analysierte, während das westliche Weltgeschehen von Nutzenidioten und deren bürgerlichen Anhang dominiert blieb, ist, überhaupt eine humanistische Moral zu haben, diese anzuerkennen und nicht zu verraten.
Dann kann einer irgendwie linken Zeitungsredaktion keine gedankliche Entgleisung, in Richtung auf die Anerkennung der Motive eines inhumanen Aggressors, geschehen, der zudem mit linken, sozialen und ökologischen Anliegen nicht ein Fitzelchen anzufangen weiß, sondern diese, zugunsten einer autoritären Staatsidee, mit Expansionsanspruch, ablehnt.
Beste Grüße
Christoph Leusch
PS: Für diesen länglichen und umständlichen Kommentar, zu bemühten und geschätzten dF- RedakteurInnen, zu diesem Interview und einem eher verstiegenen, dafür intellektuell perlenden Buch, habe ich meinen Boykott des dF und der dFC, ein Scherz muss erlaubt sein, kurz aufgegeben. *Herr Lethen, bitte den "Emeritus" nicht übelnehmen.
PS II: zu Seriousguy47
In der Geschichte der Erinnerung und des Zeugnisablegens, warten immer Überraschungen, gerade für Linke, die sich betonierte Weltbilder zulegen und damit immer noch ihre kleinen, auf ein Nichts geschrumpften, Reiche verteidigen.
Chile ist dafür ein Präzedenzfall. Im wirtschaftlich kritischen Jahr vor dem brutalen und antidemokratischen Putsch Pinochets, reduzierte die Sowjetunion, die damals tatsächlich noch eine Art humanes Gegengewissen zum kriegführenden Westen vorspielte, ihre Finanzhilfen für Chile.
Während der ersten Wochen der Verfolgung der Anhänger Allendes und vieler willkürlicher Proskriptionen, öffneten einige Botschaften, z.B. Frankreich, Schweden, DDR, ihre Anwesen, für die mit dem Tode bedrohten Flüchtenden. Wer tat das nicht, neben den putschbeteiligten USA?: die Sowjetunion, die BRD.
(https://www.freitag.de/autoren/columbus/zeugnis-ablegen-eine-humanistische-pflicht)
Beste Grüße
Christoph Leusch
ach, "gedankliche entgleisung" ist das was h i e r nicht erscheint !
Ich schließe mich den Ausführungen von Columbus und denkzone8 an – letzterem ausdrücklich in Solidarität und mit der Bemerkung, dass auch mir die unsäglichen Ausfälle eines dF-Freien gegen die sachlich vorgetragenen Widersprüche zweier Foristen sowie die daran anschließenden »Maßnahmen« nicht entgangen sind.
Zur mittlerweile auf stalinistische Weise von oben nach unten durchorganisierten dF-Community-Kultur sowie dem Umgang des »Freitag« mit seinen Community-seitig (noch) tätigen Content-Lieferanten aka Bloggern ergeht – da derlei Dinge »oben« vermutlich als »Interna« eingestuft werden – diese Tage eine separate Stellungnahme an die Redaktion.
Aktiv bin ich hier nicht mehr, und will es in diesem Rahmen auch nicht mehr sein. Weil communityseitig jedoch immer ein Ruf mit an einem Abgang hängt, will ich meine Position an der Stelle auf eine etwas kompaktere Weise als der Kollege Columbus zu erklären versuchen:
1. Ein Unrecht macht das andere nicht »gut«.
2. Gleichwohl der Westen in Bezug auf Russland keine ausschließlich humanitäre (oder gar humanistische) Rolle einnimmt, sollte das nicht den Blick verschleiern vor anderen, im Endeffekt noch brutaler agierenden Imperien.
3. Demokratie, Bürgerrechte, soziale Rechte sind keine geostrategisch verschiebbaren Dominosteine, die man wahlweise, wie es passt, auf dem Feld aufbaut oder eben von diesem fortnimmt, sondern – gerade auch von links gedacht – Werte respektive Errungenschaften an sich. Dies zu negieren oder vermittels geostrategischer Whataboutismen beiseite zu wischen ist nicht »links«, sondern – bestenfalls – steinzeitlinks.
4. Aus alldem ergibt sich die politisch derzeit wichtigste Forderung. Pazifismus, Verhandlungen et all kann man sicher denken. Das politisch richtige Hauptziel seit dem 24. Februar dieses Jahres. lautet allerdings glasklar und primär:
Russische Armee raus aus der Ukraine!
++++
Ein letztes Wort zum »Freitag«: Von einem Medium mit linksliberalem Hauptkurs ist der »Freitag« in meinen Augen spätestens mit seinem Einschwenken auf die Linie der #AllesMußAufDenTisch-»Querdenker« deutlich abgewichen. Ich will nicht so weit gehen, dem »Freitag« nunmehr eine rechtsoffene oder rechtspopulistische Ausrichtung zu unterstellen. Obwohl es an den Ukrainekrieg-Artikeln spätestens seit den Massakern von Butscha & Co. wenig zu beanstanden gibt, bleibt der »Freitag« in meinen Augen weiterhin ein Medium, um dessen Meinungsausrichtung man sich – gerade im Großen und Gesamten, wo die wohltemperierte Reflexion und die Erkenntnis, dass man den Stein der Weisen eben nicht besitzt, spürbar abhanden gekommen ist zugunsten einer selbstauferlegten »Mission« – gegenwärtig weiterhin Sorgen machen muß.
P. p. s.: »Guardian« geht fast durch die Bank durch. Ansonsten gibt es »on the left side« ja noch das ND, die taz und die jungle word.
!
Hier sind offensichtlich lauter Leute, die eigentlich gar nicht hier sind. Das ist ja wie im Sex-Shop.
Zu dem Gespräch mit Lethen gäbe es viel kontrovers zu diskutieren. Ich werde das hier nicht tun, weil es offensichtlich kaum Widerhall ausgelöst hat, schade. Aber ein Wort zu den drei Abtrünnigen. Man sollte sich kein Diskussionsforum wünschen, in dem sich alle auf die Schulter klopfen und gegenseitig bestätigen. Das wäre ein sicheres Indiz für eine belanglose Meinungsblase. Und emotionslos sollte es auch nicht zugehen, da muß man akzeptieren, daß das Sachliche ins Persönliche kippt und jemand übergriffig wird und gegen die Etikette verstößt. Es ist gut, wenn eine Redaktion ganz unabhängig von der vertretenen Meinung in groben Fällen eingreift. Die drei ehemaligen Foristen waren in der FC sehr engagiert und sind auf unterschiedlich starken Widerspruch gestoßen. Im Fall von Zietz ist mir am wenigsten verständlich, warum das zur Trennung von der FC führte, denn seine Beiträge wurden überwiegend mit Wohlwollen/Zustimmung aufgenommen, er hatte einen großen Ressonanzraum, ich schreibe ihm kein Ego zu, das sich vorm Widerspruch beleidigt zurückzieht. Ich weiß nicht, auf welchen Skandal in der Maßregelung denkzones er anspricht, der ist meiner Aufmerksamkeit entgangen, ich selbst bin dazu übergegangen, denkzone zu ignorieren, weil keine Argumente mehr kamen, nur noch die Kommentarschleife „Der Oberschurke Putin“, selbst wenn sie berechtigt wäre, machte es keinen Sinn, darauf zu antworten. Sagen dürfen muß man das, die Redaktion könnte vielleicht anmahnen, Threads nicht mit einer Dauerfütterung dieser Schleife zu okkupieren, aber, wie gesagt, ich weiß nicht, was passiert ist. Dennoch, der Abgang von Zietz liegt lange zurück. Ich sehe nicht, daß man von einer grundsätzlich sehr einseitigen Abwürgung damals wie heute sprechen kann.
Zu den Punkten: 1 ist zwar absolut richtig, nur darf es nicht zum Ausblenden anderen mit ihm in Bezug stehenden Unrechts führen, es muß immer die volle Dimension eines Konflikts in den Blick kommen. 2 ist ebenfalls richtig, nur ist die größere Skrupellosigkeit der einen Seite gegen die größere Masse an Skrupellosigkeit der anderen aufzurechnen, wenn man denn aufrechnet. Und da kann man sehr leicht zu dem Schluß kommen, daß das Ausmaß an kriegerischer Zerstörung des westlichen Imperiums die asiatische Brutalität in Butcha sowie die köpfende des IS bei weitem in den Schatten stellt. 3 ist so richtig wie die vorgenannten Punkte, nur hätte ein Frieden in einer garantierten Neutralität höchstens den Bewohnern der teilautonomen Gebiete die Demokratie verweigert, obwohl selbst das nicht sicher ist, die Krim hat sich demokratisch für Russland entschieden. Die Schlußfolgerung 4 aus den vielen richtigen Argumenten ist nun allerdings haarsträubend. Auch hier wird wieder geleugnet, daß der Krieg schon ohne Russland im Land war und fleißig gestorben wurde. Es kann natürlich sein, daß bei Einhaltung von Minsk2 Putin an anderer Stelle weitergemacht hätte. Sicher hätte es weiterer flankierender Maßnahmen bedurft, den Frieden abzustützen, ich rechne durchaus die Drohung mit wirtschaftlichen Sanktionen dazu. Aber mit der Unterstellung einer nicht stillbaren Expansionslust Putins kann man keine Politik betreiben. Man hätte es darauf ankommen lassen müssen. Jetzt den Rückzug der Russen aus der Ukraine zu fordern, heißt einem Exodus der russischstämmigen Bevölkerung des Donbass das Wort reden, diese verfeindeten Bevölkerungsteile können auf lange Zeit nicht mehr in Frieden miteinander leben, dieser Vorschlag ist unmenschlich und unbegreiflich, wie man glaubt, das mit einem hohen Moralismus vertreten zu können. Eine neutrale Instanz, die die Bevölkerungen trennt, gibt es leider nicht und würde von keinem der Akteure akzeptiert.
Der Fall Columbus ist traurig, aber wohl richtig mit der Trennung gelöst, denn hier war ein Forist mit einer gnadenlosen Selbstüberheblichkeit zu Gange, der an alle Noten verteilt hat, aber bei Kritik sofort eingeschnappt ist. Traurig, weil er gegen zu schlichtes Denken argumentieren konnte und so ein wertvoller Teil der FC-Kommunikation hätte sein können. Aber zunehmend hat er kritische Gegenmeinungen überhaupt nicht mehr aufgenommen, sondern nur noch abgeblockt und die eigenen Argumente wiedergekäuert. Auch wenn man ein Argument zurückweisen will, muß man sich etwas auf es einlassen, so viel Respekt gegenüber diskussionswilligen Meinungsgegnern ist unverzichtbar. Sein Abschiedsgeschenk voller moralischer Selbstgerechtigkeit hat er uns jetzt überlassen. Sagen wir artig danke, und das war‘s dann.
Danke für dieses interessante Interview. Ich meine allerdings, dass die ´Wärmesphäre eines strukturellen Pazifismus der BRD´ bereits viel früher in Kriegsbefürwortung entglitten ist. Hätte es sich in dieser Gesellschaft tatsächlich der strukturelle Pazifismus verankert, wäre es weder Politikern noch Medien so leicht gelungen, die Mehrheit für ihre kriegerischen Interventionen zu überzeugen.
Eine serbische Freundin fragte neulich: ´Was sind WIR denn eigentlich für Menschen, werden WIR als solche gesehen? Als Jugoslawien bombardiert wurden, gab es weder diesen Aufschrei noch die Empathie mit der Bevölkerung & den Opfern.´
Sie hat Recht. Seinerzeit wurden die zivilen Opfer als ´Kollateralschaden´ bezeichnet. Mit diesem abstrakten Begriff aus dem Militärjargon wurden sie entmenschlicht. Die liberale Gesellschaft nahm keinen Anstoß daran, obwohl vielen das Land durch frühere Reisen bekannt war, Menschen mit dortigen Wurzeln seit Jahrzehnten zu Kollegen | Nachbarn | Freunden zählten. Die Bezüge waren damit intensiver als heute mit Ukraine & Ukrainern, die Erschütterung hingegen diametral verschieden. Mit Ausnahme einer türkischen Kollegin fragte mich seinerzeit niemand im Kollegenkreis, ob meine Verwandtschaft von den Bombardierungen direkt betroffen ist.
So wie aktuell von russischer Seite wurde seinerzeit der völkerrechtswidrige Krieg nicht als Krieg bezeichnet sondern als Operation _ offiziell als ´Operation Allied Force´, in USA auch als ´Operation Noble Anvil´. Im Gegensatz zu heute erhielt dieser Krieg in der Berichterstattung nicht das Adjektiv ´verbrecherisch´. Dieser Doppelstandard in der westlichen Wahrnehmung & Empathie gilt auch für alle nachfolgenden Kriege der sog. Westlichen Wertegemeinschaft. Die davon betroffenen Menschen dürften sich ebenfalls um den Wert ihres Lebens & ihrer Würde im westlichen Maßstab wundern.
Ich bin neulich auf ein sehr interessantes Gespräch zwischen Michael J. Brenner & Robert Scheer gestossen, in dem sie sich u.a. über die harschen Reaktionen sog. Intelligenter Kreise auf eine ausgewogene Betrachtung dieses Konfliktes | Krieges austauschten.
|| RS: So, Professor Brenner, tell us what buzzsaw you ran into when you dared question, as far as I can see, you dared do what you’ve done all your academic life: you raised some serious questions about a foreign policy matter. And then, I don’t know what, you got hit on the head a whole bunch of times. So could you describe it?
MB: Yes, it came only partially as a surprise. I’ve been writing these commentaries and distributing them to a personal list of roughly 5,000 for more than a decade. Some of those persons are abroad, most are in the U.S.; they’re all educated people who’ve been involved one way or another with international affairs, including quite a number who have had experience in and around government or journalism or the world of punditry.
What happened on this occasion was that I had expressed highly skeptical views about what I believe is the fictional storyline and account of what has been happening in Ukraine, back over the past year and most pointedly in regard to the acute crisis that has arisen with the Russian invasion and attack on Ukraine. I received not only an unusually large number of critical replies, but it was the nature of them that was deeply dismaying.
One, many—most of them came from people whom I did know, whom I knew as level-headed, sober minds, engaged and well informed on foreign policy issues and international matters generally. Second, they were highly personalized, and I had rarely been the object of that sort of criticism or attack—sort of ad hominem remarks questioning my patriotism; had I been paid by, you know, by Putin; my motivations, my sanity, et cetera, et cetera.
Third was the extremity of the content of these hostile messages. And the last characteristic, which really stunned me, was that these people bought into—hook, line and sinker—every aspect of the sort of fictional story that has been propagated by the administration, accepted and swallowed whole by the media and our political-intellectual class, which includes many academics and the entire galaxy of Washington think tanks….In effect, this was an intellectual and political nihilism. And one cannot make any contribution to endeavor to correct that simply by conventional means. So I felt for the first time that I was no part of this world, and of course this is also a reflection of trends and attitudes that have become rather pervasive in the country at large, sort of over time.
…I know, in fact, of no national leader that has laid out in the detail and the precision and the sophistication his view of the world, Russia’s place in it, the character of interstate relations, with the candor and acuity that he has. It’s not a question of whether you believe that that depiction he offers is entirely correct, or the conclusion that he draws from it, with regard to policy. But you are dealing with a person and a regime which in vital respects is the antithesis of the one that is caricatured and almost universally accepted, not only in the Biden administration but in the foreign policy community and the political class, and in general.
And that raises some really basic questions about us, rather than about Russia or about Putin. As you mentioned, the question was: what is it that we’re afraid of? Why do Americans feel so threatened, so anxious?... It’s what contemporary America is. And I think the intellectual tools to be used in trying to interpret it must come from anthropology and psychology at least as much, if not more, than political science or sociology or economics. I truly believe that we are talking about collective psychopathology. And of course, collective psychopathology is what you get in a nihilistic society in which all sort of standard, conventional sort of reference points cease to serve as markers and guideposts on how individuals behave.||
Es geht hier zwar um den Diskurs in USA, die Erfahrung lässt sich 1:1 auch auf D | EU übertragen. Wie festzustellen sogar auf die kleine Nische DFC.
Heute gilt eben, bist du für uns, oder gegen uns. Es gibt nur eine zulässige Meinung. Und diese ist kurz und einfach.
Bedeutet auch, der Krieg wird mehr Schaden verursachen, vielleicht auch länger dauern. Die Spätfolgen werden drastischer und lange anhaltend.
Pazifisten sollten vorsichtig und in Deckung bleiben, sie könnten ein Ziel werden. Man zählt sie immer mehr zum Kriegsgegner.
Keine neue Situation, sondern altbekannt. Die Mechanismen sind die gleichen, wie immer.
Interessant wird, wer später von allem nichts ahnte, nichts wußte. Und das wird auch wieder funktionieren. Man kann wohl sagen, der Zug ist abgefahren, die Bremse ausgebaut. Die Rechnung ist aufgegangen.
Viele Folgeprobleme wurden hier schon erwähnt, ich vermute stark, diese werden Jahrzehnte anhalten. Die werden evtl. den Schaden dieses Krieges übertreffen. Die ganze Arbeit um solches zu verhindern war umsonst, war fehlerhaft.
"I truly believe that we are talking about collective psychopathology. And of course, collective psychopathology is what you get in a nihilistic society in which all sort of standard, conventional sort of reference points cease to serve as markers and guideposts on how individuals behave.||
Es geht hier zwar um den Diskurs in USA, die Erfahrung lässt sich 1:1 auch auf D | EU übertragen. Wie festzustellen sogar auf die kleine Nische DFC."
Absolut richtig - danke mymind für den interessanten Beitrag
Da ich nicht alles verfolgt habe, aber seit Monaten feststelle: Die Freitag-Redaktion scheint sich entschlossen zu haben, die Artikel der Community vor aller Welt zu verstecken (sprich die Community-Blogbeiträge mit einem noindex zu versehen). Man kann die zum Teil richtig guten Artikel von Ihnen, von Columbus und anderen (natürlich auch meine) mit Suchmaschinen nicht mehr finden. Es mag eine Mission sein, vielleicht ist es auch keine. Eines ist es auf alle Fälle: Das Alleinstellungsmerkmal fällt weg. Der Leser findet weder auf der Freitag-Seite, noch sonst irgendwo die Blogartikel auf Freitag.
Von sog. ´alten weißen Männern´ sind durchaus treffende Beobachtungen & Beurteilungen zu erfahren, auch wenn diese in der Ära von Cancel Culture nicht gehört werden wollen & geächtet werden. An ´kollektive Psychopathologie´ dachte ich auch bevor ich dieses Interview las, die beiden bringen es sehr gut auf den Punkt.
Sie, aber auch Magda, mit der ich, angelegentlich ihrer unausgesetzten Verteidigung Angela Merkels, in deren endloser Regierungszeit mit wechslenden Partnern, praktisch nichts, weder außen- noch sozialpolitisch, noch identitätspolitisch, sicherheitspolitisch oder EU- bezogen zukunftsweisend geregelt wurde, durchaus hart und von meiner Seite für sie auch unfair, aneinandergeriet (Magda mag über ihre unfairen Urteile selbst einmal nachdenken), haben diese seltsame Neigung, diese Tendenz, des dF und auch die Veränderung des richtungsgebenden Herausgebers und zeitweiligen Chefredakteurs erkannt. Dz8 ebenso!
Meine Blogbeiträge (Also Artikel, nicht endlose und zahlreiche Kommentare) wurden, obwohl sie sich nicht von denen davor unterschieden, seit fast vier Jahren nicht mehr "empfohlen". In der Zeitleiste der Beiträge, sucht man nach "Columbus", tauchen die jüngeren substanziellen Beiträge gar nicht mehr auf. Die "stille Reaktion" auf meine seither eingestellten Beiträge, die sich um den internationalen und systemübergreifenden Waffenhandel drehten, sich kritisch mit den Werten und dem Wert der NATO beschäftigten, sich ums Impfen Gedanke machten, zur Situation der Uiguren und zum Zeugnis ablegen, in aussichtsloser Lage, Auskunft gaben; meine Beiträge zur Musik der Coltranes und ihrem gesellschaftlichen Hintergrund oder zur Raumfahrt, fanden keine Erwähnung mehr, während ähnliche Artikel davor fast regelmäßig redaktionell unterstützt wurden. - Das mögen persönliche Empfindlichkeiten sein, Eitelkeiten, wie einige Xy-Foristen meinen, die über ihre Verschrobenheiten nicht eine einzige Sekunde jemals nachdachten und in den seltensten Fällen selbst Artikel schreiben.
An Russland oder China ist schon länger überhaupt nichts links, linkssozialistisch, kommunistisch, linksliberal, linkssozialdemokratisch, linkspazifistisch, linksdemokratisch, irgendwie links....Trotzdem finden einige Altlinke und erkennbar älter gewordene Anhänger der DDR, Irgendwie-Pazifisten, aber auch Intellektuelle und Künstler, die nun in Sachen Waffenlieferungen einen offenen Brief an Kanzler Scholz schrieben, beständig Argumente, warum Russlands Angriff und dessen durchaus totaler Krieg gegen die Ukraine, der viele Zivilopfer und Massenvertreibungen bewusst einkalkuliert und die wirtschaftliche, wie die kulturelle Infrastruktur des Landes zerstört, um, im Stile vergangener politischer Zeiten, mit dem Recht des vermeintlich Stärkeren nationale Gebietsgewinne anzustreben, einige Berechtigung hätte. Die Briefschreibenden meinten gar, sie hätten nun den passenden Zeitpunkt erfasst, zu dem sie persönlich eine nationale militärische Gegenwehr der Ukraine, wegen der zahlreichen Opfer, moralisch für unvertretbar halten und daher keine Waffen, nicht einmal indirekt, durch Dritte, die anderer Meinung sind, geliefert werden sollten. Zumindest dieses Argument, ist moralisch äusserst bedenklich.
Selbst auf dem Spielfeld klassischer, daher auch amoralischer, Macht- und Realpolitik, die es eigentlich seit der Charta der UN zu überwinden gälte, tragen die Argumente nicht, die man für verständliche oder einfühlbare russische Motive hält. Russlands langjährige "Realpolitik" brachte fast alle kleinere mitteleuropäische und südosteuropäische Staaten dazu, sich nach Westen zu orientieren und Sicherheit, Freiheit und, Wohlstand von dort erwarten, nicht aber von der Russischen Föderation. Die selbstverschuldete Kränkung des russischen Anspruchs auf eine Einflusssphäre entlang seiner West- und Südgrenzen, die nicht einmal mehr kulturell durchgängig wirkt, nahm mit jedem aggressiven Akt des Regimes zu! Mittlerweile wollen zwei weitere europäische Staaten, die bisher von Russland selbst meist als neutrale und "gute" Nachbarn eingestuft wurden, zu ihrer Sicherheit in die NATO. Daher erhielten deren Öffentlichkeiten und Politiker*innen zuletzt massive Drohbotschaften, aus Moskau. Wie Präsident Selenskyj, per Video zugeschaltet, vor der UN treffend ausführte, ist die Weltorganisation nicht in der Lage, ein anerkanntes Mitglied, die Ukraine, gegen den Angriff einer überlegenen Vetomacht zu schützen. Verständlich, dass in einer solchen Situation andere Schutzschirme nicht nur gesucht, sondern auch gefunden werden müssen. Politisch und gesellschaftlich handelt es sich bei den Mächten China und Russland, um oligarchiekapitalistisch wirtschaftende, repessive, autoritäre und im Inneren täglich brutal agierende Regime, die eine schweigsame Opposition allenfalls noch im privaten Umfeld zulassen. China ist längst dazu übergegangen auch das Privatleben wirklicher und vermeintlicher Kritiker, ja, fast aller BürgerInnen, zu kontrollieren und staatlich zu "gestalten" (Uiguren, Tibeter und andere Minderheiten, sowie die wenigen politischen und kulturellen Kritiker, müssen staatliche "Gäste" in ihren Wohneinheiten akzeptieren, sich ständig melden, vollständige Überwachung im Alltag hinnehmen, sowie auf eigene Kultur, Religion und Alltagsgestaltung, bis hin zur Kleidung und zu den Haaren, verzichten. Über allem dräut das Damoklesschwert, in eines der zahlreichen Knastlager eingewiesen zu werden, wegen politischer Beschuldigungen im Strafvollzug zu landen oder aber einfach beseitig zu werden. Die gleiche Praxis hat sich, wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau, in Russland "eingebürgert".
Beide Staaten formulieren offen Expansionsinteressen, auf Kosten anderer Staaten. Bei China bezieht sich das z.B. auf Taiwan und das südchinesische Meer, bei Russland auf die Rückkehr zu einem Herrschaftsanspruch, der die Zarenzeit und die Sowjetunion prägte. Beide Staaten bekunden offen, dazu alle ihre entsprechenden inneren und äußeren Repressionsapparate einzusetzen. Darum steht, aus russischer Sicht, für alle ehemaligen Teile der Sowjetunion oder ehemalige Paktstaaten, deren Unabhängigkeit in Frage. Putin und Lawrow, sowie zahlreiche weitere Propagandisten des Regimes, erklärten mehrfach offen, sogar vor der UN, dass ihre Regierung sich in allen solchen Fällen auch nicht an die UN, die UN- Charta oder internationale Verträge und Erklärungen gebunden fühle. Diese Statements stehen neben jenen, die lügnerisch irgendwelche weiteren Kriegsgründe nennen.
Ich würde gerne zu einer Menge Themen, die auch Linke und irgendwie Linke umtreiben, schreiben oder zum Beispiel dem hahnebüchen polemisierenden Herrn Hanloser, Herrn Michal, Herrn Herden, Herrn Geras(s)imov, Jakob Augstein, Frau Baureithel oder Herrn Velten Schäfer,..., auf Augenhöhe, d. h. mit Artikeln, antworten. Aber es fehlt beim dF der Resonanzraum, nicht nur in der "Community", sondern auch in der Redaktion, die sich, das ist mein Eindruck, in einer Art Bunkermentalität dazu entschieden hat, unter den möglichen Autor*innen in Deutschland vor allem jene zu suchen und zu publizieren, die irgendwie dem Kurs der politischen Redaktion und des Herausgebers nahekommen. - Nun, auch das ist absolut legitim, in unserem Land, im demokratischen Europa.
Leider hat der der Freitag Maßstab und Kompass verloren, die verhinderten sich mit den Argumenten von Aggressoren und Verletzern der Menschen- und Bürgerrechte, die diese jeden Tag und jede Stunde mit Füßen treten, gemein zu machen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Tja, werter Columbus, diese Artikel "auf Augenhöhe", wie Sie es schreiben, können Sie doch dann wenigstens/sicher in den Medien platzieren, die analog dieses offenen Briefes hier in der Unterschriftenliste erkennbar sind; also ihre volle Solidarität mit der Ukraine bekunden mit der "kontinuierlichen Lieferung von schweren Waffen".
Diplomatie erfordert aber mehr als den 'Kompass einzunorden', sondern bedarf der nüchternen Abwägung, mit welchen Mitteln die größten Gefahren/Leiden reduziert werden können. Hier hilft eben kein Schwarz-Weiß-Denken, einfordern von "Menschen- und Bürgerrechten", wenn auf den Kriegsschauplätzen nach anderen Regelen operiert wird. Und die Mehrzahl ist hier keine Nebensächlichkeit, weil das aktuell kein Einzelfall ist!
Mit anderen Worten, die Medien in Deutschland dürften in größerem Umfang ja auf ihrer Linie schreiben/berichten, was doch recht beruhigend für Sie ausfallen kann. Wobei Sie für mich unkritisch Taiwan mit ins Boot nehmen, genau der Fall, der sogar völkerrechtlich als 'abgehakt' betrachtet werden kann, was sich als Ergebnis auf dieser Seite zeigt. Wobei mir das selbst gegen den Strich geht, also falls man Referenden anerkennen würde, die in solchen Fällen den Ausschlag geben sollten/könnten. Das aber wird dann völkerrechtlich gleich wieder komplizierter (...).
Eines noch, es sind die USA, die nicht nur die Bombe zuerst eingesetzt haben, sie haben auch wiederholt mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen gedroht. Kleine Fleißarbeit, wer das genauer wissen will.
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Ziehen Sie den Vorhang mal ganz beiseite, dann werden Sie feststellen, dass die Welt größere Probleme hat, als gerade dieser Konflikt in der Ukraine. Aber die Folgen aus einer Verschärfung dieses Konflikts (der immer noch ein regionaler ist!!!) betrifft dann ggf. weitaus größere Gebiete, im Extremfall die Erde insgesamt. Dieses Pokerspiel sollte möglichst schnell beendet werden!
"Es ist leider ratsam, die Lage mit klaren Augen zu sehen: die KGB-Truppe im Kreml ist bereit, alle Brücken abzubrechen. Für Restvernunft und einen Verhandlungsfrieden braucht es ein Gegenüber, und das gibt es im Moment nicht." Quelle
Wer den Vorhang mal ganz beiseite ziehen sollte, ist mir nicht so recht klar. Vielleicht schränken ja auch Sie, werter pleifel, Ihr Gesichtsfeld ein. Ich traue mich gerade nicht beurteilen, ob Putin mit pokert oder ob er seit 24.2. nicht Hazard spielt. Gerade helfen Exkurse in die Geschichte nur wenig. Es zählt das Hier und Jetzt. Die Invasionsarmeen müssen gestoppt werden, sie müssen wahrscheinlich sogar ein Stück zurückgedrängt werden. Dann wird es möglicherweise Verhandlungen geben können, die wieder eine fragile Sicherheit herstellen könnten für einige Zeit.
Dass weit größere Probleme zu lösen wären, die die ganze Erde betreffen, ist ja hinlänglich und seit Längerem bekannt. Die Probleme, die drängend sind und die die kommende Generartion in aller Härte wird ausbaden müssen, sind durch den Angriff am 24.2. von Putin aus dem Blickfeld genommen worden. Ist hart, sich das einzugestehen zu müssen, ist aber so.
Es geht ja dem vorzubeugen, worüber z.B. von der Leyen fabuliert und Misik dagegen realistisch wertet:
"Gegen einen nuklear bewaffneten Gegner kann es schwerlich einen „Sieg-Frieden“ geben. Sondern nur einen Verhandlungsfrieden."
und
"Zugleich will man sich in den Krieg nicht hineinziehen lassen. Das ist alles richtig und verlangt eine Art Balancepolitik aus Entschlossenheit, moralischer Klarheit und dennoch Besonnenheit".
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Daraus gilt es dann eben eine Balance zu finden, denn:
"Niemand will Krieg, aber ein überfallenes Land darf sich selbst verteidigen, und wir werden es unterstützen."
Allerdings ist es für mich dann unlogisch von Putin weiter abzuwarten:
"Er wird uns, beispielsweise, genau dann den Gashahn abdrehen, wenn er meint, dass das der richtige Augenblick für diese Eskalation ist."
denn was soll das Abwarten, bis Deutschland/Europa sich etwa Ersatz beschaffen kann, wenn es doch aktuell am Wirksamsten wäre? Da stellt sich eher nicht die Frage, ob Russland das Geld mehr braucht, als Europa Gas und Öl. Für mich zumindest ein Zeichen dafür, das Putin diese Eskalation zumindest nicht will. Interessant dabei auch, das die Ukraine selbst weiter beliefert wird und stillschweigend die Durchleitungsgebühren kassiert: alles wie vertraglich fixiert.
Das hat auch etwas mit dem "Gesichtsfeld" zu tun, wo natürlich jeder zu den gleichen Fakten seine/ihre eigenen Schlussfolgerungen zieht (falls überhaupt).
Wer kann schon in die Köpfe anderer hineinschauen. Die Misikbeiträge beinhalten allerdings auch ein 'sowohl als auch'. Solange man der Ukraine aber den Eindruck vermittelt, dass ein Sieg gegen Russland das Ziel sein soll (was auch die Krim beinhaltet), dann wird sowohl dort wie bei Putin eine Mauer hochgezogen, die für Diplomatie immer schwerer zu überwinden sein wird.
Grüße
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
"Gegen einen nuklear bewaffneten Gegner kann es schwerlich einen „Sieg-Frieden“ geben. Sondern nur einen Verhandlungsfrieden."
Dieser einfache wie zwingende Gedanke wird vom Westen und von der Ukraine nicht nur geleugnet oder verschwiegen, sondern ihm wird sogar widersprochen: „Wir müssen siegen“. Die Nachdenklicheren sagen „Putin darf nicht siegen“, das wäre eine Formel, unter der der Westen Putin vereinigt entgegentreten könnte. Aber das ist für den Westen keine Option, dazu müßte man klären, welche Forderungen Putins akzeptabel sind, welche nicht, und umgekehrt, wie es mit den ukrainischen Forderungen steht. Und man muß voraussetzen, daß beide, Putin und Selensky rational genug sind, sich an eine Vereinbarung auf dieser Grundlage zu halten. Auch dies wird von der westlichen Seite ausgeschlossen. Wenn Misik sagt „dass die Ukraine sich einigermaßen zu wehren vermag und damit auch unsere Interessen verteidigt, nämlich eine Ausdehnung eines neuen imperialen Putin-Russland zumindest so stark zu bremsen, dass die Despoten-Kamarilla im Kreml von weiteren Expansionsgelüsten geheilt ist.“, heißt das, daß Putin nicht mit Verhandlungen, sondern nur mit entschlossener Gewalt gebremst werden kann. Ich teile diese Sicht nicht, halte sie für das Ergebnis einer gezielten jahrzehntelangen Russland/Putin-Verteufelung. Aber es könnte was dran sein, man kann das mal als Arbeitshypothese setzen. Dann wäre die richtige Strategie eingeschlagen, nur zu wenig konsequent und zu spät. Tatsächlich läuft es jetzt darauf hinaus, daß das Kräftemessen soweit weiterläuft, bis es an einer stabilen Grenze endet, die von keiner Seite überschritten werden kann, und an der das Militär gegenseitig massiert ist. Das wird auf beiden Seiten enorme Ressourcen verschlingen, aber der Westen glaubt ja, daß er diesen Krieg so doch noch gewinnen kann. Wenn es ein Sieg wird, wird es ein Pyrrhussieg sein. Das nicht mehr zu verhindernde Drama ist, daß mit dieser Hypothese die Möglichkeit eines verhandelten Friedens ausgeschlossen ist, alles, was die Katastrophe noch begrenzen kann.
Ich möchte noch auf einen weiteren Kurzschluß hinweisen. "Niemand will Krieg, aber ein überfallenes Land darf sich selbst verteidigen, und wir werden es unterstützen." - das ist unstrittig. Man muß aber fragen, wie das gemeint ist. Hier wäre wieder angemessen, zu sagen, wir unterstützen das Land mit allen Mitteln, daß es nicht kapitulieren muß. Aber wir unterstützen es nicht (mit allen Mitteln), daß es siegt. Das ist die humanistische, pazifistische Haltung. Vom Westen wird trotz des Eingangszitats die bellizistische eingenommen und von der Ukraine eingefordert: Hilfe bis zum Sieg.
Daß in dem zweiten Aufruf Leute unterschrieben haben (wie Kehlmann), die man für Intellektuelle gehalten hat, ist ein bitteres Dokument für den Verlust des kritischen Denkens.
Jetzt habe ich eine lange Antwort geschrieben und sie geriet in die Mühle der Moderatrion. Wird also noch dauern. In guter Hoffnung, dass sie erscheint, muss ich Sie noch vertrösten.
die waffe der kritik stößt auf die kritik der waffen .
in der ukraine, wo die waffen des z-landes (darunter auch die mächtige lüge):
das "stammes-denken" gegen kritisches denken( und dessen strukturen) durchsetzen.
und in der fc ?