Helvetische Bingo-Liga

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Es mag durchaus sein, dass mit der Qualifikation des FC Basel für die Championsleague ein bisschen Normalität in die Schweizer Fußballkultur eingekehrt ist. Mit dem Einzug in die Königsliga ernten die Kicker vom Rheinknie die Früchte einer brillanten Saison, die sie mit dem Meistertitel und dem Gewinn des Pokals beenden durften. Trotzdem geht in der Schweizer Liga einiges drunter und drüber. In der Nationalliga A - der obersten Klasse in der Schweiz - spielen in der laufenden Saison drei Klubs, die aufgrund ihrer sportlichen Leistungen eigentlich in der nächst unteren Liga spielen müssten. Weil aber gleichzeitig drei Klubs der obersten Spielklasse dermaßen in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren, dass sie zwangsrelegiert wurden, war der Platz frei für die Unterklassigen. Ein richtiges Durcheinander. Doch damit nicht genug. Weil sich mindestens drei Klubs ihre Lizenz mit gefälschten Bilanzen erschlichen hatten, wurden sie in der laufenden Meisterschaft mit dem Abzug von vier bis acht Punkten bestraft. Die tatsächliche sportliche Leistung der helvetischen Fußballer herauszukristallisieren, ist derzeit eine ziemlich knifflige Aufgabe, der aktuelle Tabellenstand lässt sich am besten mit dem Taschenrechner und den Mitteilungen des Verbandes berechnen.

Auf den Spielbetrieb indes wirkt sich die Bürokratie keineswegs nur negativ aus. Aufgrund des relativ willkürlichen Mix von höher- und tieferklassigen Mannschaften in ein und derselben Liga, ist ein unberechenbarer Meisterschaftsverlauf so gut wie programmiert. So musste sich der Champions-League Teilnehmer FC Basel nur wenige Tage vor seinem glorreichen Einzug in die Königsliga vom Provinzverein aus Thun mit saftigen 2: 4 geschlagen geben. Dieser Überraschungssieg des Aufsteigers (doch, Mannschaften die kraft ihrer sportlichen Leistung aufsteigen, gibt es auch noch) gegen den amtierenden Meister ist durchaus symptomatisch. Wie bereits in der vergangenen Saison sorgen die Neulinge in der Liga mit ihrem frechen Aufspielen für die nötige Würze und Unberechenbarkeit, vor der sich auch Favoriten fürchten müssen.

Aufgrund der hohen Fluktuation zwischen den Ligen - ob auf sportliche Weise oder vom Verband befohlen - rutscht fast jährlich ein sogenannter "kleiner" Verein in die oberste Liga nach und im Gegenzug muss nicht selten ein Traditionsverein den Weg nach unten antreten. Von den aktuellen zwölf Klubs der Nationalliga A hat ein Großteil in den vergangenen 20 Jahren mindestens eine Saison in einer tieferen Spielklasse fristen müssen. So auch der Rekordmeister der fünfziger Jahre, die Young Boys aus Bern. Jahrelang haben sie in der zweiten Liga erfolglos auf dem Rasen ihres Wankdorf-Stadions gekickt - dort wo Deutschland 1954 überraschend Weltmeister wurde und damit als Nation definitiv in der Nachkriegsgeschichte angekommen war. Inzwischen ist das Wankdorf eine Baugrube, für die EM 2008 soll eine neue Arena entstehen. Deshalb spielen die Berner Young Boys - inzwischen von der Unterklassigkeit befreit - auf einem schnuckeligen Ersatzplatz mit brandgefährdeter Holztribüne. Diese Kombination von hart erkämpftem Aufstieg und Kleinstadion führt zu einer Dynamik, wie sie bei vielen Aufsteigern zu beobachten ist: Plötzlich ist Fußball wieder angesagt, die links-liberale Intelligenzia pilgert ins Stadion, als ob sie dies schon immer getan hätte. Die Jüngeren orientieren sich dabei gerne an Sitten aus dem Ausland, dort wo Fankultur Geschichte hat. So weht auch hierzulande die Totenkopfflagge als Zeichen der Dissidenz zu den dumpfbackigen Proll-Fans, ebenso wie der eine oder andere St. Pauli Kapuzenpulli anzeigt, wessen Underdog-Image man nacheifert.

Im Gegensatz zur Bundesliga, wo sich St. Pauli seinen festen Platz als Störenfried und Paradiesvogel irgendwo zwischen Auf- und Abstieg seit Jahren gesichert hat, kommt es in der Schweizerischen Liga regelmäßig vor, dass die kleinen Mannschaften ganz vorn mitmischen, die Tabellenführung übernehmen und sich über kurz oder lang in den höheren Gefilden etablieren - bis der Verband den Abstieg anordnet. Für die auf Underdog-Attitüde eingestellten Fans führt dies unweigerlich zu einer Identitätskrise. Allerdings, und dies ist das Schöne an der helvetischen Bingo-Liga, kann es jeden Klub zu jedem Zeitpunkt in alle Ecken und Enden der Tabelle verschlagen, von heute auf morgen. Das Zufallsprinzip als Demokratisierungsfaktor sozusagen. Die Identitätskrise der Fans mag man dafür gerne in Kauf nehmen.

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