Mit ihren wie Vulkane spitz zulaufenden Salzbergen wirkt sie wie eine sagenumwobene Landschaft: die Halbinsel Guérande in der Bretagne, zwischen den Mündungen von Loire und Vilaine am Ufer des Atlantik gelegen. Zahllose große und kleine für die Salzgewinnung exakt angelegte, rechteckige Speicherbecken mit einem weit verzweigten System aus Kanälen zergliedern die Landschaft. In dieser atemberaubenden Manufaktur unter freiem Himmel hat sich seit über 1.000 Jahren nichts verändert. Bis ins neunte Jahrhundert reicht die Produktionsweise der Paludiers, der Salzbauern. Salz, das weiße Gold, hat die Bretagne einst reich gemacht. Heute sichert die Pflege des alten Handwerks das Überleben der Salzgärten und die Gewinnung von qualitativ hochwertigem
em Salz. Salzbauer zu sein, bedeutet, über magische Kräfte zu verfügen. Im Sommer, erzählen sie sich, erfülle ein besonderer Duft die Salzgärten. Das bringe den einen oder anderen sogar um den Verstand.Sich verbeißen, ausharrenSolche Geschichten inspirieren Jean-Luc Bannalec. Diesmal erhält sein Kommissar Dupin einen Anruf von Lilou Breval mit der Bitte, sich einmal eine bestimmte „Saline und einen Schuppen“ auf der Guérande-Halbinsel anzusehen. Nach verdächtigen Fässern soll Dupin schauen, „blauen Fässern“. Daran sei etwas faul. Lilou wird ihn im Kommissariat aufsuchen und über alles informieren, was sie bereits herausgefunden hat. Dupin, der passionierte Zeitungsleser, schätzt und mag die Journalistin vom Quest France. Breval ist auf große investigative, „sehr bretonische Geschichten“ aus. Mehrmals hatte sie ihn mit gewissen Informationen versorgt. Er schuldet ihr etwas. Doch bevor Dupin Lilous Hinweisen auf die Spur kommt, fallen Schüsse.Worum also geht es in Bretonisches Gold, dem dritten Dupin-Krimi von Jean-Luc Bannalec? Alles hat mit diesen „verfluchten Fässern“ angefangen, da ist sich Dupin ganz sicher. Erst wenn sie herausfinden, was sie enthalten haben, lässt sich vielleicht vieles klären: die zwei Morde, eine mögliche Umweltsabotage, falsche Alibis. Teamgeist ist angesagt, der Fall ist vertrackt. Nicht nur, weil Dupon sich wieder einmal auf fremdem Terrain bewegt. Die Arbeitsweisen von Sylvaine Rose, der für die Guérande zuständigen Kommissarin, und dem knorrigen Dupin könnten nicht unterschiedlicher sein. Am Ende ist es Dupin, der den point magique trifft, diesen Dreh- und Angelpunkt, von dem aus sich alles aufklärt und die Welt wieder in Ordnung kommt. Möglich in drei Tagen. Das hat Charme. Es ist eine Hommage an eine raue Landschaft und das Savoir-vivre ihrer Menschen, an alte Zünfte und ihre Werkzeuge.„Handwerk ohne Zusätze“, darum geht es bei den Paludiers. „Bloß keine Maschinen, keine Computer, keine Technik!“ Und Dupin, wie versteht der sein Handwerk, wie löst er den Fall? Das Kombinieren der Details ist ihm wichtig, möglichst nach einem simplen Prinzip und mit einfachem Werkzeug – viel Papier, Kladden. Systematisch wird darin festhalten, was wichtig erscheint: Personen, Orte. Schließlich geht es darum, sich den Notizen pedantisch zu widmen, sich zu versenken, sich zu verbeißen. Ausharren.Bleibt noch der Autor. Man könnte sagen, Krimis schreiben, ist wie Fälle lösen. Hundertausendfach haben sich seine ersten beiden Bretagne-Bücher verkauft, das erste wurde neulich im Chabrol-Stil für die ARD verfilmt. „Nur wer den Krimi als Ware ernst nimmt, nicht als mindere Kunst, sondern als Handwerk, das nach seinen Kriterien beurteilt werden will; eben nicht als triviale Literatur, sondern als spannende Unterhaltung“, schafft es in diesem Genre zu reüssieren und am Markt zu bleiben. Das resümierte schon der Krimiautor Horst Bieber 1982 in einem bemerkenswerten Zeit-Artikel.Süffig, aber einfachWer immer hinter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec steckt, er ist ein Profi. Und in der Tat, die Welt landete 2012 einen Literaturscoop, entdeckte den S.-Fischer-Verleger Jörg Bong hinter dem Namen. Der sich wohl dachte, warum den Serienhelden dem Lokalkolorit deutscher Provinz oder Großstädte aussetzen, wenn es da schon eng wird (weshalb kürzlich das deutsche Feuilleton den bejubelten Regionalkrimi für tot erklärte). Außerdem, schrieb Horst Bieber, sei der kriminalistische Alltag längst undramatisch geworden. Deshalb zieht es Dupin von Polizeiroutine und Büro weg aufs Land, dieses Mal in die Salzgärten.Auch lange nach dem Abschied von Miss Marple bleibt „der Spalt zwischen Fantasie und Realität verflixt eng“. Psychologische Durchleuchtung von Charakteren, die Entwicklung des Krimipersonals, Gesellschaftskritik? Fehlanzeige. Die Sprache ist süffig, aber einfach. „Das Böse“, analysierte Bieler, „ist anonymer geworden, darum wird der Held normaler, menschlicher, alltäglicher“. Und die neuen Frauen? Fragen nach Gerechtigkeit? Bloß keine Belehrung! Wenn es für Dupin eng wird, unterdrückt er den Wutanfall, dann geht’s nach draußen, dann heißt es: Ortswechsel. Bewegung ist in den Krimi gekommen.„Uns“ gefällt das. Her mit dem Reisekrimi! Seit Erscheinen von Bannalecs Debüt Bretonische Verhältnisse übrigens erlebt die Bretagne einen Zustrom vor allem deutscher Touristen. Im Sommer platzt die Altstadt von Concarneau aus allen Nähten. Heuer wird es eng in den Salzgärten.Eine Hymne auf eine raue Landschaft und das Savoir-vivre ihrer Menschen
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