Stromleitungen Ohne Netzausbau keine Energiewende. Doch neue Trassen mit ihren riesigen Masten stoßen auf wachsenden Widerstand. Anwohner sehen die Alternative unter der Erde
Die Mittelgebirgslandschaft im Landkreis Northeim ist Anfang Januar noch schneebedeckt. Am Rande des kleinen Dorfes Heckenbeck steht Norbert Braun. Der Mann mit den lockigen Haaren und den kleinen, runden Brillengläsern zeigt auf einen bewaldeten Hügel hinter der Feldmark. „Sie können davon ausgehen, dass dort etwa 100 Meter Wald gerodet werden müssen“, sagt der Mittfünfziger. „Das sind Schneisen, die hier im großen Maßstab durch den Wald gezogen werden.“ Braun meint eine gigantische Höchstspannungsleitung vom niedersächsischen Wahle ins hessische Mecklar, die hier entlang führen soll. In Sichtweite der Anwohner, die sich in Heckenbeck eingerichtet haben, könnten bald 80 Meter hohe Strommasten stehen. „Als
Als wären Sie direkt daneben“, sagt Norbert Braun. „Und das mögen natürlich die Leute hier nicht.“ Wenn er den geplanten Verlauf der Leitung beschreibt, kann man das Brummen des Stroms förmlich hören.Auch Braun mag die Pläne der Betreiberfirma Tennet, die 380.000-Volt-Leitung quer durch Niedersachsen oberirdisch zu verlegen, nicht. Seit drei Jahren engagiert er sich bei den Freileitungsgegnern Bad Gandersheim, einer Bürgerinitiative. Überall entlang der möglichen Trasse sind Initiativen entstanden, aber das beschauliche Bad Gandersheim am westlichen Harzrand hat sich zur Protesthochburg entwickelt. Über 100 Bürger sind allein hier aktiv, sie organisieren Demonstrationen, treffen sich mit Politikern, schreiben offene Briefe. Im Oktober haben die Initiativen 300 Mahn- und Protestfeuer entlang der geplanten Trasse entzündet – da, wo später die riesigen Masten stehen sollen. Sogar das Fernsehen kam nach Bad Gandersheim.Die geplante Stromtrasse von Wahle nach Mecklar ist nur eines von vielen Großprojekten dieser Art, die gerade geplant werden. Allein in Niedersachsen laufen die Vorbereitungen für vier weitere Trassen. Der Grund: Der viele Strom, der in Norddeutschland produziert wird, muss nach Süden transportiert werden, wo er gebraucht wird. Windkraft, Biogas und Kohlekraft sorgen in Küstennähe für Kapazitäten, die das bisherige Stromnetz nicht abdecken kann. Bereits heute stößt es manchmal an seine Grenzen – und die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien soll massiv ausgeweitet werden. Auch Ostdeutschland will seinen Strom los werden: Nur ein Bruchteil der dort produzierten Elektrizität aus Windkraftanlagen wird auch in den neuen Ländern verbraucht. 35.000 Kilometer Höchstspannungsleitungen gibt es bereits in der Bundesrepublik, 3.500 sollen in den nächsten Jahren hinzukommen. Das Vorhaben hat auch eine internationale Dimension. Ganz Europa könnte mit einem Höchstspannungsnetz überzogen werden, um den Strom in alle Himmelsrichtungen schicken zu können, immer dort hin, wo er gerade gebraucht wird.„Wir sind keine Verhinderer“Die Bürgerinitiativen fürchten mögliche Nebenwirkungen für die Gesundheit und sind ebenso besorgt um das Landschaftsbild, sollte die Leitung über der Erde verlegt werden. Immerhin würden die Strommasten dreimal so hoch werden wie der Bad Gandersheimer Dom. Deswegen könnten die Grundstückspreise in der Nähe der Leitung um bis zu 30 Prozent sinken, befürchtet Norbert Braun. „Und die Landwirte haben Angst, dass ihre Geräte dann nicht mehr funktionieren würden“, erzählt er. Das Argument, Erdverkabelung sei zu teuer, lässt er nicht gelten. 15 Cent würde die günstigste Erdkabelvariante jeden Haushalt im Jahr mehr kosten, rechnet er vor.Dass die Leitung von Wahle nach Mecklar gebaut werden muss, zieht auch Freileitungsgegner Norbert Braun nicht in Zweifel. „Wir sind keine Verhinderer“, sagt er. Aber: „Wenn ihr diese Leitungen macht, dann seid innovativ und lasst Natur und Menschen nicht in die Röhre gucken.“ Stromleitungen überirdisch zu verlegen, das ist für die Freileitungsgegner „Steinzeittechnik“. Eine Erdverkabelung ist ihnen da schon lieber. Es gibt auch ganz konkrete Vorstellungen, wie das aussehen könnte. Entlang der Autobahn soll die Leitung mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) unterirdisch verlaufen, schlagen sie vor. Eine „echte Pilotstrecke“ könnte das werden, sagt Norbert Braun. Denn einen solchen Kabelgraben im Boden einer Mittelgebirgslandschaft gibt es noch nicht.Der Vorteil einer Gleichstrom-Leitung wäre, dass diese keine Hitze abstrahlt. Das tun unterirdisch verlegte Wechselstromleitungen nämlich – und erwärmen dadurch Boden und Grundwasser. Aber: „Diese Technologie könnte man noch nicht eins zu eins nehmen“, sagt Peter Ahmels von der Deutschen Umwelthilfe. Sie sei noch nicht ausgereift, mehrere Stunden im Jahr könnte sie einfach ausfallen. „Das ist dem Verbraucher so nicht zuzumuten“, findet er. Deshalb plädiert er dafür, diese Technologie auszuprobieren und dadurch zu verbessern. „Das sind Schritte, die jetzt gemacht werden müssen.“Damit ist er sich einig mit dem Netzbetreiber Tennet, der die Leitung von Wahle nach Mecklar bauen will. Zwar sei eine komplette Verlegung unter der Erde mit den vierfachen Kosten einer oberirdischen Verkabelung verbunden, berichtet Tennet-Sprecherin Joëlle Bouillon. „Aber das ist nicht unser Argument!“ Die Technologie für eine unterirdische Verkabelung sei noch nicht ausgereift, solle in Teilabschnitten aber ausprobiert werden. „Im Sinne der Versorgungssicherheit“ sei an eine komplette Erdverkabelung derzeit nicht zu denken, sagt Bouillon.Verhältnisse wie im WendlandDie Umsetzung der geplanten Stromtrassen dauert mehrere Jahre. In verschiedenen Planungsverfahren vermitteln die Behörden zwischen den Interessen der Anwohner und denen der Netzbetreiber. Betroffene Kommunen und Bürger haben je nach Bundesland die Möglichkeit, Einspruch zu erheben oder zu klagen. Für die Trasse von Wahle nach Mecklar sind 22.000 Einsprüche eingegangen, die gerade von den Behörden sortiert werden – und das kann dauern. Die Bundesregierung hat angekündigt, diese Verfahren für die Zukunft beschleunigen und für die Bürger transparenter gestalten zu wollen. In anderen Ländern werden die Bürger weit weniger in die Planungen einbezogen, denn gesetzlich vorgeschrieben ist das nicht. „Niedersachsen ist da der Zeit ein Stück voraus“, findet Peter Ahmels.Wären diese Debatten einfacher zu führen, wenn die Stromnetze in öffentlicher Hand wären und Kapitalinteressen der Netzbetreiber nicht ins Gewicht fallen würden? „Nö, nicht wirklich“, glaubt Umwelthelfer Ahmels. „Auch der Bund müsste über Rentabilität nachdenken“, sagt er. Ahmels leitet das Projekt „Forum Netzintegration“, das zwischen betroffenen Interessengruppen vermittelt. Am Ende einer knapp zweijährigen Diskussion im Forum stehen nun „Handlungsempfehlungen zur Integration erneuerbarer Energien“, die den Ausbau der Stromnetze konfliktärmer und schneller möglich machen sollen. Insbesondere die öffentliche Debatte wird seiner Ansicht nach viel zu spät geführt. „Wenn die Beteiligung der Bürger los geht, gibt es eigentlich schon keine Alternative mehr“, sagt Ahmels. „Das muss anders gemacht werden!“Darauf haben sich im Januar auch die Grünen verständigt. Auf der Neujahrsklausur der Bundestagsfraktion in Weimar verabschiedeten sie ein Positionspapier, in dem sie Bürgerbeteiligung, Transparenz und neue Technologien für den Ausbau der Stromnetze fordern. Bislang würden die Netzentwicklungspläne „de facto allein von den Netzbetreibern erstellt “, stellen die Grünen fest. Das wollen sie ändern, durch Offenlegung der zu Grunde liegenden Daten zum Beispiel. „Wir wollen die Netzbetreiber stärker in die Pflicht nehmen und durch neue Akteure mehr Wettbewerb beim Netzausbau schaffen“, heißt es in dem Papier. Wenn die Betreiber den Netzausbau verschleppen, verlangt die Bundestagsfraktion Sanktionen.Eine Gesetzesinitiative aus Berlin sieht nun vor, dass die Leitungen überall dort unterirdisch verlegt werden müssen, wo sie näher als 400 Meter an bebautes Gebiet heranreichen. Peter Ahmels findet das ausreichend, eine generelle Erdverkabelung lehnt er ab. „Das hängt immer von der Strecke ab“, sagt er. Erdverkabelung solle es nur dort geben, wo es sich rentiert. Nicht so Norbert Braun: „Seien wir doch mal ehrlich“, kommentiert er. „Bei der momentan diskutierten Vorzugstrasse sind das gerade mal drei Bereiche. Nur dort wären diese 400 Meter unterschritten, so dass es eigentlich nur eine kleine Korrektur dessen ist, was der Leitungsbau insgesamt bedeutet.“ Also wird er weiter für den „Königsweg“ kämpfen, wie er die unterirdische HGÜ-Verkabelung nennt. Die Bürgerinitiativen und auch die Lokalpolitik sind an seiner Seite. Selbst „Verhältnisse wie im Wendland“ hält Norbert Braun für möglich, wenn die Freileitung erst einmal gebaut werden sollte.
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