Nun hat er es also geschafft im juristischen Streit mit seinem ungetreuen Ghostwriter, allerdings erst vorläufig. Helmut Kohl hat im Eilverfahren über den Fernsehjournalisten Heribert Schwan obsiegt. Schwan durfte das, was Kohl ihm gesprächsweise über sein politisches Leben erzählte, nicht von den Tonbändern unautorisiert in einem Buch darbieten. Ob eigens vereinbart oder nicht: Vertraulichkeit, so befanden die Richter, sei mit der Tätigkeit eines Ghostwriters „konkludent“ mitvereinbart. „Konkludent“ heißt: Das eine schließt das andere mit ein. Für das noch ausstehende Hauptsacheverfahren ist kaum etwas anderes zu erwarten. Über die Aussichten Kohls in einem zivilrechtlichen Verfahren ist damit freilich noch nichts gesagt.
Die Frage ist: Was hat Kohl von alledem? Er hat das spitzbübische Verhalten seines Ghostwriters öffentlich und von zuständiger Seite feststellen lassen. Das mag ihm Genugtuung bedeuten. Aber die unfreundlichen Sprüche über politische Konkurrenten und einstige Weggefährten sind in der Welt und werden aus dieser auch nicht mehr verschwinden. Soeben sind im Suhrkamp-Verlag Briefe von Theodor W. Adorno erschienen, in denen Hannah Arendt und Karola Bloch auf das Übelste beleidigt werden. Hat das jemanden gestört? Bei Kohl gaben sich viele empört, Schwan hin oder her. Es ging eben um Kohl.
Indes, Kohl ist an seinem Missgeschick selber schuld, mehr noch, es ist in gewissem Grade sogar typisch für ihn. Fast jeder Politiker sucht sich, wenn er an seine Memoiren geht, einen Ghostwriter, zumindest aber einen dauerhaften Gesprächspartner von Rang. Kohl glaubte, einen solchen nicht nötig zu haben. Schließlich, so seine Gedanken, ist er selber promovierter Historiker, hat bei den besten Lehrern in Heidelberg studiert, hat sich als Leser zeitlebens auf deren Niveau bewegt. Kohl weiß, dass er intellektuell vielen Politikern seiner Generation, auch den Kanzlern unmittelbar vor und nach ihm,überlegen ist. In dieser Hinsicht hat er Respekt wohl nur vor Willy Brandt und Theodor Heuss. Was Kohl zu brauchen meinte, war ein Spezialist fürs Einfache, für die gekonnte Verflachung anspruchsvoller Themen. Darauf versteht sich einer wie Kohl zwar mündlich, aber eben nicht mediengerecht.
Da war Heribert Schwan genau der Richtige. Kohl nannte ihn bei ihren Treffen oft den „Volksschriftsteller“. Das mag er gelegentlich anerkennend intoniert haben. Aber ebenso oft wird dabei eine gehörige Portion Herablassung mitgeklungen haben. Ludwig Ganghofer als Ghostwriter Bismarcks ist schwer vorstellbar. Johannes Mario Simmel als Ghostwriter Helmut Schmidts passte schon eher, aber das hat des Altkanzlers jahrzehntelange Tätigkeit als Herausgeber der Zeit unmöglich gemacht. Dass Kohl auf Schwan verfiel, folgte einer fatalen Fehleinschätzung der Arbeitsbeziehung.
Kohl hatte in seiner Partei und seiner Regierung sich angewöhnt, den Satz zu ignorieren, nach dem auch der Wurm sich krümmt, wenn er getreten wird. Die Adressierung als „Volksschriftsteller“ ist vielleicht nur eine Variante gewesen, mit der Kohl seinem Bedürfnis nachgab, immer mal wieder boshaft zu sein. Das musste seine Umgebung ertragen und also auch Schwan. Der ertrug es, wie viele anderen auch, solange das Vorteile versprach. Als es damit aus war, weil die junge Frau Kohl die Arbeitsbeziehung beendete, gab Schwan zurück, was er empfangen hatte.
Soweit es den einst mächtigen Kanzler betrifft, ist das die alte Geschichte, die Bertolt Brecht in seinem Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti dargestellt hat. Wenn es Kohl gefiel, ging es zwischen Kohl und Schwan gewiss ganz lustig zu. Wenn aber nicht, dann armer Schwan.
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