Bestenfalls belanglos

Lesemarathon Der Bachmann-Preis genießt zu Unrecht einen schlechten Ruf - vor allem die Videoporträts sind sehenswert.
Der Autor Stefan Moster blickt nachdenklich in die Ferne. Und dann aus dem Off die sinnfreie Frage: „Was für ein Gefühl ist es, Mensch zu sein?“
Der Autor Stefan Moster blickt nachdenklich in die Ferne. Und dann aus dem Off die sinnfreie Frage: „Was für ein Gefühl ist es, Mensch zu sein?“

Screenshot: der Freitag

Verstärkte Kritik am Bachmann-Preis kommt sowohl aus dem Feuilleton als auch von den jungen Autoren selbst. Kürzlich erzählte mir eine Literaturagentin, es sei schwer geworden, Autoren zu finden, die am Wettlesen teilnehmen wollen. Die Autoren hätten Angst vor der Kritik nach dem Lesen. Das ist schade. Öffentliche Kritik auszuhalten, gehört schließlich zum Berufsbild des Schriftstellers. Außerdem ist sie ja milde geworden; das härteste Urteil lautete in diesem Jahr „Schlagerpoesie“, Paul Jandl sagte es zu Isabella Feimer. Im übrigen gilt doch, besser kritisiert als ignoriert.

Ich persönlich bin immer noch ein Fan dieses Wettlesen, aus mehreren Gründen: 1. Es gibt immer eine Handvoll hervorragender Texte und wenn der Text mal schlecht ist, kann man sich von der Artistik der Kameraführung beeindrucken lassen. 2. Manche Juroren sagen immer wieder ganz kluge Dinge, und über den Rest kann man sich wunderbar aufregen. 3. Nirgendwo sonst treffen alle Räder und Rädchen des Literaturbetriebs aufeinander: Autoren, Kritiker, Publikum, Verleger, Agenten. 4. Die Videoporträts.

Der letzte Punkt muss erklärt werden. Diese Videos tragen nämlich nicht gerade zur Verbesserung des Rufs des Bachmann-Preises teil. Bestenfalls gelten sie als belanglos. Aus den üblichen Zutaten öffentlich-rechtlicher Berichterstattung soll der Autor vorgestellt, sein künstlerischer Ansatz erläutert, seine Gedanken über Literatur und den Kosmos wiedergegeben werden – und das innerhalb von maximal 2-3 Minuten. Wer dabei immer verliert, so scheint es jedenfalls, ist der Autor. Einen Gewinn hat allein der Zuschauer, der sich ergötzen kann.

Spott der Betrachter

Um hier nur ein paar wenige Highlights von 2012 zu erwähnen: Schon die erste Einstellung legt die Latte hoch. Der Schwenk über eine trüb plätschernde Meeresbucht. Der Autor Stefan Moster blickt nachdenklich in die Ferne. Und dann aus dem Off die sinnfreie Frage: „Was für ein Gefühl ist es, Mensch zu sein?“ Au weja. Im nächsten Video sitzt Hugo Ramnek in der Zürcher Altstadt neben einem Manuskriptstapel, der ihm bis an die Stirn reicht. Die Stimme dazu: „Im Rücken noch die Kindheit, vor der Nase schon das Erwachsenwerden: In diesem Spannungsfeld findet Ramnek seine Figuren.“ Oder anschließend Mirjam Richner als Gitarre spielende Lehrerin: „Mirjam Richner – Dichterin mit allen Sinnen.“ Immer wird dabei ein Motiv aus den Texten oder der Biografie des Autors so konkret wie möglich inszeniert: Wenn es in dem Text ums Reisen geht, wird der Autor im Zug oder auf einer Fähre gezeigt, kommen Mumien vor, läuft die Autorin durch ein Museum mit Mumien, usw.

Seit zehn Jahren gibt es nun diese Praxis, sämtliche Videos bleiben auf der Webseite für die Nachwelt erhalten. Da kann man natürlich verstehen, dass gerade die jüngeren Autoren mehr und mehr dazu übergehen, ihre Videos „selbst zu gestalten“ – was aber auch nicht immer gut geht. Und doch sein Gutes hat: Wer keine Angst hat, sich dem leisen Spott der Betrachter der Videos (darunter beste Freunde, nahe Verwandte und last but not least: die hämische Konkurrenz) auszusetzen, der sollte sich doch auch vor keiner Jury der Welt fürchten müssen. Und notfalls den Vorwurf der Schlagerpoesie über sich ergehen lassen. Apropos: Verpassen sie nicht das Videoporträt von Isabella Feimer.

Jörn Dege ist Herausgeber der Literaturzeitschrift Edit

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