Während in Berlin noch über eine "Kiezpolizei" zur Überwachung des sommerlichen Grill-Terrors diskutiert wird, ist die im Land Hessen schon Realität. Was Innensenator Ehrhart Körting den Berliner Bezirksbürgermeistern jüngst für Anfang 2005 versprochen hat, können Hessens Bürger seit Mitte 2000 in Gestalt von vier Modellprojekten zur Kenntnis nehmen: einen "freiwilligen Polizeidienst". Nach 50 Stunden Ausbildung erhalten die dafür Rekrutierten eine Urkunde und blaue Uniformen, um fortan auf der Straße, im Park und an anderen Orten für Sicherheit zu sorgen. In dieses "besondere öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis" eintreten kann jeder zwischen 21 und 62, sofern er dazu körperlich fähig ist und eine abges
geschlossene Schulausbildung vorweisen kann. Als Ehrenamtliche bekommen die Polizeihelfer, die in Zweierstreifen zu Fuß unterwegs sind, eine "Aufwandsentschädigung" von sieben Euro pro Stunde - sie sollen laut einer Ausschreibung der Gemeinde Griesheim: "Präsenz zeigen, Vorbeugen, Beobachten, Melden."Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU), der die Freizeitpolizei in der vorangegangenen Legislaturperiode eingeführt hat, will nun aufs Ganze gehen. Sein Gesetzentwurf, der im Februar in erster Lesung im Landtag diskutiert worden ist, sieht die Ausweitung der ehrenamtlichen Streifen auf das gesamte Bundesland vor. Doch regt sich Widerstand gegen derartige Pläne, einige Gemeinden haben den Gesetzesvorstoß kritisiert, weil sie irreparable Folgen für das Ehrenamt an sich befürchten. "Warum soll ich für nichts zur Freiwilligen Feuerwehr gehen, wenn ich die Stunden im Polizeidienst bezahlt bekomme?", dürfte sich mancher der etwa 60.000 ehrenamtlichen Brandhelfer in Hessen fragen. Auch viele Bürgermeister in den kleineren Orten, die Forderungen nach Aufwandsentschädigungen befürchten, stehen dem Ordnungsdienst skeptisch gegenüber. Die Stundensätze für die Hilfspolizei könnten die Gemeinden bald selbst tragen müssen. Waren die Pilotprojekte bisher vom Land finanziert, will die Koch-Regierung mit der Gesetzesreform ihren Haushalt entlasten und die Aufwandsentschädigungen den Kommunen aufbürden. Die Stadt Hanau hat schon reagiert und ihre Hobbypolizisten im März nach Hause geschickt. Oberbürgermeister Claus Kaminsky warnte in der Lokalpresse vor dem Irrweg einer "schleichenden Kommunalisierung der Sicherheitspolitik".Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt Bouffiers "integriertes Sicherheitsmodell". "Auf kommunaler Ebene alles zu tun, was man tun kann", beschrieb der Minister in einem Fernsehinterview das oberste Gebot von lokaler Sicherheitsarchitektur. Alle Institutionen vor Ort müssten einbezogen sein: "die Vollzugspolizei, ganz wichtig die Ordnungsbehörde, der Bürgermeister mit all seinen Bediensteten, das Jugendamt, das Sozialamt, die Schulen, die Vereine, insbesondere auch die Jugendbetreuer". Es müsse gefragt werden, wo sich Leute extremistisch entwickeln, was aus vermeintlichem Zeitvertreib heraus geschehe, was man tun könne, um "entsprechend anzutreten". Der Wunsch des Ministers: "Wir müssen alle Informationen zusammentragen." Lokale Präventionsräte sind schon jetzt Pflicht in Kochs Revier, und die Erlaubnis zur öffentlichen Videoüberwachung wird hier schnell erteilt.In Bouffiers Heimatwahlkreis Gießen haben politische Aktivisten gemeinsam mit der Humanistischen Union in einer Dokumentation zusammengestellt, welche Formen ein "reger Informationsaustausch" auf lokaler Ebene annehmen kann. Mitglieder der linken Projektwerkstatt Saasen berichten, selbst die Kunst bleibe nicht verschont. Als eine Bewohnerin des alternativen Hausprojekts begrenzt eine Veranstaltungsreihe mit Künstlern aus dem ganzen Bundesgebiet vorbereitete, bat sie den Vermieter um die Erlaubnis, einen leer stehenden Raum nutzen zu dürfen. Der verweigerte die Zustimmung mit der Begründung, dass die Veranstalterin "ja auch im Knast gewesen" sei. Damit war offenbar die "Ingewahrsamnahme" wegen einer öffentlichen Gedichtlesung gegen Repression vor dem Rathaus gemeint. Die entsprechenden Informationen konnte der Vermieter nur von der Polizei oder anderen öffentlichen Stellen erhalten haben. In Polizeiprotokollen tauchte der Hinweis auf, dass "zuverlässige Pressevertreter" die Polizei auf eine nicht angemeldete politische Aktion in der Innenstadt hingewiesen hätten. Auch der neu eingeführte "Unterbindungsgewahrsam", der ohne Verdacht bis zu sechs Tage dauern kann, kam Ende 2002 erstmals in Gießen zum Einsatz. Damals wollten Mitglieder der Saasener Projektwerkstatt gegen das Gießener Sicherheits- und Ordnungsgesetz demonstrieren, das seinerzeit im Rathaus debattiert wurde. Seit dem Beschluss dieses Gesetzes ist in Gießens Öffentlichkeit zum Beispiel das Ausklopfen von Teppichen, das Schlafen unter Brücken und der Alkoholkonsum in Gruppen ab drei Personen untersagt.Wenn sich kein nennenswerter Widerstand gegen den freiwilligen Polizeidienst formiert, dürften bald Lokal-Politiker ihre "eigene" Hilfspolizei auf Streife schicken. Zur Beobachtung von Umweltverschmutzern, Obdachlosen oder auch der lokalen Jugendszene. Dass die Hilfspolizisten aus rechtsextremen Kreisen kommen könnten, ist nach Angaben des Fraktionsvorsitzenden und innenpolitischen Sprechers der Grünen im Hessischen Landtag, Tarek Al-Wazir, nicht auszuschließen: "In den Pilotprojekten hat die Landesregierung sehr genau darauf geachtet, dass das Personal nicht extremistisch gesinnt ist. Bei einer Ausweitung im großen Stil sehe ich aber viele Fragezeichen, ob das möglich ist." Am 9. Juni soll Bouffiers Gesetzentwurf in die zweite Lesung gehen. Mit einem Beschluss ist dank der Mehrheitsverhältnisse in diesem Jahr zu rechnen. Ob damit jedoch die viel beschworene "Sicherheit" entsteht, darf bezweifelt werden. Im vergangenen Jahr hatte das Innenministerium trotz aller Beschneidungen der Bürgerrechte einen Anstieg der Straßenkriminalität feststellen müssen - erstmals seit 1993.