André Schürrle bewohnt seit Sommer schon die Ewigkeit. Von ihm stammte die Flanke, die Mario Götze zum Siegestreffer der deutschen Mannschaft beim WM-Finale in Rio verwandelte. Seither lebt Schürrle zwei Leben. Eines im Pantheon, wo es aber langweilig ist. Und eines im Irdischen, wo derzeit nicht alles perfekt läuft. Er steht bei Chelsea in England unter Vertrag, spielt aber selten, und so ist er in seinem zweiten Leben zur Manövriermasse geworden. Er soll vielleicht verkauft werden, damit unter Umständen ein besserer Flügelspieler aus Italien nach London wechseln kann, während Schürrle eventuell bei Dortmund, möglicherweise aber auch bei Wolfsburg das Offensivspiel beleben könnte, sollte es sich konkret so ergeben, worüber man aber momentan nur spekulieren kann. Morgen, wenn diese Zeitung gedruckt vorliegt, weiß man vielleicht schon mehr, das wäre dann das typische Reporterpech: Druckerschwärze trocken, Tinte nass. Die berühmte Tinte, mit der Verträge unterzeichnet werden.
Der deutsche Spitzenfußball hat sich für diese Woche eine schöne Pointe ausgedacht, indem er die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ab Freitagabend mit der Schließung des Wintertransferfensters zusammengelegt hat. Eine Runde können sich die Verantwortlichen noch anschauen, dann müssen sie aber „Nägel mit Köpfen“ machen, also entweder Schürrle aus London „loseisen“ oder ihn dort „versauern“ lassen, weil eine zu astronomische Summe für ihn aufgerufen wurde. Man kann davon ausgehen, dass am Montag, wenn die letzten Stunden der Zugluft durch das Transferfenster zu genießen sind, die Ticker und Börsen heißlaufen und dass es in den Gerüchteküchen brodeln wird. Viele Manager werden sich das allerdings gelassen vom Sofa aus ansehen (der Guardian zum Beispiel hat extra einen Ticker eingerichtet), denn sie haben ihre „Hausaufgaben gemacht“, manche schon im Sommer. Für die professionellen Beobachter des Spiels (und dazu zählen alle Menschen, die passives von aktivem Abseits ohne Expertenkommission unterscheiden können) ist das Fenster sowieso ganzjährig sperrangelweit offen. Denn gerade in den Phasen, in denen Spieler von potenziellen Arbeitgebern nicht einmal angesprochen werden dürfen, ist es von besonderem Interesse, deren Absichten zu erkunden. Seit André Schürrle im Sommer die „Liga der Weltmeister“ mitgegründet hat (in der er gerüchteweise bald wieder spielen will), ist in Deutschland der Hype auf Dauer gestellt. Und das bedeutet, dass alle Spieler hier spielen wollen, während wiederum jeder in Deutschland angestellte Spieler in der ganzen Welt „auf dem Zettel“ steht, also vor der Abwerbung durch Geldsackvereine. Wie soll man sich da auf Fußball konzentrieren? Eigentlich unmöglich.
Es sei denn, man ergibt sich dem allgemeinen Trend und macht die Nebensache zur Hauptsache. Dann wird man bei transfermarkt.de eben weiter die neuesten Gerüchte abrufen und ab Freitag wieder mit einem Auge auf die Torszenen schauen, während man sich gesprächsweise, Mikro unter der Nase, Twitter-Feed vor sich, Ticker auf sekündliche Aktualisierung gestellt, auf die wesentlichen Fragen konzentriert: Wo spielt Schürrle? Bleibt Reus? Will jemand Gojko Kačar? Kennt jemand den neuen Lionel Messi? Wo spielt eigentlich Mario Gómez zur Zeit? Soll Bastian Schweinsteiger schon im Sommer bei New York Cosmos duschen? Die elementare Wahrheit des deutschen Fußballs muss neu gefasst werden. Wir sind nicht alle Trainer. Aber wir sind alle Spielerberater.
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