Staaten sind wie Quallen, mein Junge, stets in Grenzen, aber allzeit in Bewegung. Mal geben sie was ab, mal kriegen sie was dazu. Wenn ich nur die Grenzverschiebungen der letzten zweihundert Jahre betrachte, ergibt sich im Durchschnitt alle 25 Jahre eine deutsche Teilung beziehungsweise Wiedervereinigung.
Nu'is'es n'türlich so: Der Archipel Deutschtum war schon immer etwas qualliger als der französische zum Beispiel, und hatte es deshalb schwerer, allen seinen Bewohnern und Nachbarn zu gefallen. Denk an dein Freund Grass, der ständig jammert, dass sie ihn bei der Annektion der DDR nicht konsultiert hätten.
Das zeigt aber nur die urdeutsche Naivität und Selbstüberschätzung des Dichters in politischen Fragen, weshalb er jetzt auch den Nobelpreis für den besten literarischen Magenfüller und Darmentleerer in Empfang nehmen durfte. Stell dir vor, du musst dem König von Schweden die Hand geben. Diese Blamage. Vor hundert Jahren hätte man dem ein Bömbchen in'e Chaise geworfen und das Preisgeld hätte man den rechtmäßigen Eigentümern zurückerstattet. Der Arbeiterklasse.
Ne, nee, mein Lieber, um einen Staat zu vergrößern oder zu beseitigen, brauchen wir keine Volksabstimmung. In was für einer Welt leben die Leute denn, die so was verlangen? Ob wir einen Staat brauchen, bestimmt die jeweils herrschende Klasse und wo seine Grenzen verlaufen, hängt davon ab, was die deutsche Bank für brauchbar hält und wieviel die Nachbarn sich abzwacken lassen.
Deshalb war die DDR auch kein richtiger Staat. Also erstens: 'ne herrschende Klasse, die arbeiten muss und nichts zu sagen hat, wo gibt's denn so was? Und zweitens, die sich für den Staat nicht stärker interessiert, als ihre Kumpels im Westen. Weil, ganz klar: Wer arbeitet, braucht keinen.
Trotzdem: Eine Zeit lang war die DDR relativ praktisch. Die deutsche Teilung war die gerechte Strafe für die Untaten der Hitlerzeit, egal ob das jetzt die Wehrmacht war, die die begangen hatte, oder der rote Zar im Kreml, und irgendwie musste man die bekannten Folgen des Zweiten Weltkriegs auch erst mal absitzen.
Gleich nach'm Potsdamer Abkommen 1945 die Wiedervereinigung feiern - das wäre wohl 'n bisschen überstürzt gewesen. Außerdem: hatte ja auch immer was Rührendes - die deutsche Teilung. Richtig anrührend: Ein Volk weint. Ein Volk schreit vor Trennungsschmerz: "Dreigeteilt? Niemals!" Das war so, als wollten sie sagen: "Eingeteilt, das lassen wir uns gefallen. Zweigeteilt, das mag noch hingehn. Auch der deutsche Arsch ist zweigeteilt. Aber dreigeteilt, das geht wirklich zu weit."
Also ich fand, es war eine schöne Zeit, wie Deutschland geteilt war. Die im Westen konnten in der Weihnachtszeit Kerzen ins Fenster stellen, und man hatte vor allem immer eine Adresse im Osten, wo man seine abgetragenen Klamotten hinschicken konnte.
Dazu kam die Weltlage. Es war'n die Jahre, in den' es einfach nicht opportun war, die Grenzen zu verschieben, und so dringend war die Sache ja auch nicht. Ich war selber öfter drüben. Also so schlecht, wie sie immer behauptet haben, ging's denen keinesfalls. Wozu braucht der Mensch eine Meinungsfreiheit, wenn er sowieso keine eigene Meinung hat? Denn wie's drauf ankam, haben sie doch nur nachgebetet, was das Westfernsehen ihnen vorgeplappert hat.
Aber auf Dauer war das natürlich kein Zustand, und zum Schluß wussten die Regierungen im Westen nicht mehr wohin mit der DDR. Die NATO reicht bis zur polnischen Ostgrenze und mittendrin ein sozialistischer Staat - das wär' ja wohl nicht gegangen.
Also ich will mal so sagen: So wie die internationale Interessenlage war Ende der achtziger Jahre, war die vernünftigste Lösung, die DDR an Deutschland zu verscherbeln, auch wenn's schwerfiel. Das hat man gemerkt: Leicht gefallen ist die Entscheidung niemand. Selbst der damalige Bundeskanzler soll anfangs gezögert haben, ob er sich das antun sollte, diesen abgehalfterten Staat, der ja nun praktisch herrenlos war, nachdem die Kremlherrscher kein Interesse mehr daran hatten - naja, du weißt, wie das damals war, vor zehn Jahren.
Viel verändert hat sich übrigens nicht in Deutschland seither. Gut, bei deiner Cousine in Greifswald, wo ich letztes Jahr noch mal war, blüht jetzt ein Hibiskus im Vorgarten, wo zu DDR-Zeiten der Schneeball unter der mongolischen Blattlaus litt, und bei meiner Schwester in Freiberg hat der Mozzarella in Carozza den Hawai-Toast abgelöst.
Aber sonst kannste sagen, muss schon mehr passieren als so'ne Wiedervereinigung, bis der Deutsche endlich Vernunft annimmt.
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