Zwischen 1993 und 1998 muss Dirk Niebel eine Reihe schlechter Erlebnisse gehabt haben. Der damals 30-jährige Hamburger war nach acht Jahren Bundeswehr als Vermittler im Sinsheimer Arbeitsamt gelandet. Die politischen Konsequenzen, die der heutige Entwicklungsminister aus dieser Zeit gezogen hat, lassen sich nachlesen. Als FDP-Arbeitsmarktexperte fuhr er derbe Kampagnen gegen den vermeintlich Sozialmissbrauch – und seinen früheren Arbeitgeber hätte er am liebsten abgeschafft. Die vom Experten Niebel zuletzt propagierte „Reform“ der Bundesagentur für Arbeit hätte nur einen Rumpf für die Leistungsverwaltung übriggelassen, Qualifizierung und Vermittlung hätten weitgehend eingestellt werden müssen.
Abschaffen wollte Niebel bekanntlich auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem er jetzt vorsteht: der Lacher des Jahres – jedoch zu Unrecht. Sollte Niebel nämlich durchsetzen können, was er angekündigt hat, wäre dies tatsächlich das Ende der Entwicklungspolitik, wie wir sie kennen. Niebel stellt sich deren Zukunft als bloßes Instrument der deutschen Außenpolitik vor, ob mit oder ohne Ministerium. Die „wirtschaftliche Zusammenarbeit“, die Niebel stets als Funktion seines Hauses herausstellt, dürfte keine „altruistische“ Veranstaltung sein, hat er mehrfach betont: Wem heute geholfen wird, der soll morgen deutsche Ware kaufen. Und vor allem dürfe das Ministerium nicht länger als „Weltsozialamt“ verstanden werden.
Was man als weiteren Ausfall des Ex-Fallschirmjägerkommandeurs und jetzigen Reservehauptmanns abtun könnte, ist tatsächlich eine radikale Proklamation. Der bisher in der Entwicklungspolitik (mit)gepflegte Anspruch, in – und sogar gegenüber – der eigenen Regierung ein wenig der Anwalt des globalen Südens zu sein, wird komplett aufgegeben.
Besonders die Rede vom „Weltsozialamt“ ist verräterisch: Niebel sieht die armen Staaten schon in der Theorie als bloße Bittsteller an, die es bisher einfach zu nichts gebracht haben – nicht ohne eigene Schuld, wie man ja wohl noch sagen dürfen wird. Ein Bewusstsein darüber, dass die einen immer auch deshalb arm sind, weil die anderen im Überfluss leben, fundierte historische Kenntnisse der globalen Wohlstandsverschiebungen der letzten dreihundert Jahre, gar eine bewegungsnahe Vergangenheit: Was man im rot-grünen Ministerium der Heidemarie Wieczorek-Zeul als Teil der Grundhaltung voraussetzen durfte, ist Niebel so fremd wie die entwicklungstheoretischen Debatten seit den Siebzigern – von der Dependenztheorie bis zum „positiven“ Friedensbegriff, der sozialen Ausgleich einschließt. Gerade diese Ansätze waren es ja, die Niebel im Wahlkampf immer wieder als störende „Nebenaußenpolitik“ gebrandmarkt hat.
Konflikt mit der Welthungerhilfe
Der heute 46-Jährige, der schon in der Jungen Union aktiv und nach einer Pause Mitbegründer der Jungen Liberalen in Hamburg war, kommt aus einer anderen Ecke. Er ist gewissermaßen die Westerwelle-FDP in Reinform: Er hat die Nix-gibt’s-umsonst-Mentalität seines Parteivorsitzenden perfekt verinnerlicht, und so sind die Konflikte programmiert.
Wie zerrüttet die Beziehung zwischen Ministerium und anderen Akteuren bereits ist, zeigt eine Episode vom Jahresbeginn, als die „Brot für die Welt“-Direktorin Cornelia Füllkrug-Weitzel Niebel anging: Er habe nicht nur keine Ahnung, sondern zeige sich als willfähriger Lobbyist der deutschen Wirtschaft, sagte sie sinngemäß – starker Tobak, selbst für eine SPD-nahe Frau, die mal mit einer Bundestagskandidatur geliebäugelt hatte. Füllkrug-Weitzel hatte gedacht, dass Niebel aus dem Entwicklungsetat für 14 Millionen Euro in Deutschland überflüssige Schweinegrippe-Impfdosen nach Afrika schicken wollte. Tatsächlich ist das Geld aber als Beitrag zum WHO-Impfprogramm in Afrika gedacht. Dass die Kirchenfrau einem solchen Missverständis aufgesessen ist und widerrufen musste, spricht Bände. Sie hatte wohl sehr genau zugehört bei Niebels Ausführungen über den „Altruismus“.
Stellenvergabe ohne Konzept
Und der Ärger geht weiter: Nun wurde dem Spiegel ein Brief des Ministeriums-Personalrats vom Januar zugespielt, demzufolge sich Niebel daran gemacht hat, im Ressort aufzuräumen. Spitzenpositionen würden „zunehmend handverlesen extern“ besetzt, die Karrierewege für qualifizierte Mitarbeiter des Hauses würden verstellt. Es gebe kein Personalkonzept, sondern ein freihändiges Anstellen von Parteigängern – allein in den letzten Wochen soll es zehn solche Personalien gegeben haben.
Vielleicht wird jetzt selbst der Dickhäuter Niebel ein wenig nervös. Die FDP hat ihren Klienten das Blaue vom Himmel versprochen. Nun muss sie zeigen, dass sie sich durchsetzen kann – und dass ihre Politik überhaupt praktikabel ist. In Umfragen liegen die Liberalen nach 14 Prozent im September bei neun Prozent – und in Nordrhein-Westfalen stellt sich nach einer Sechs-Prozent-Prognose gar die Frage nach der Fünf-Prozent-Hürde. Die große „Gesundheitsreform“ wird sehr gebremst, die Steuergeschenke sind mindestens verschoben, selbst die Mehrwertsteuersenkung für Hotels scheint zu wanken.
Dirk Niebel mag nicht der Promi unter den FDP-Ministern sein, aber auch seine Performance zählt – nirgendwo weiß man das so gut wie bei den Liberalen, wo man was von Marketing versteht. Die Frage ist nur, was die rätselhaften fünf bis sieben Prozent Zusatzwähler, die die FDP im Herbst verzeichnen konnte, eigentlich sehen wollen: Neoliberale Ideologie oder eine solide Politik, die bemüht ist, bestehende Ansätze weiterzuentwickeln. Bisher scheint auch Dirk Niebel keine Antwort darauf zu kennen.
Kommentare 5
Obwohl Dirk Niebel vom Cicero in 2005 noch auf so menschliche und persönliche Weise positiv betrachtet wurde,
www.cicero-magazin.de/97.php?ress_id=4=646
bleibt von seinem 'Nimbus' nach der Wahl nicht viel. Nicht nur, daß er die wohl peinlichste Personalie in der FDP darstellt, indem man ihn zum Leiter eines Ministeriums bestellte, das er kurz zuvor noch abschaffen wollte,
www.sueddeutsche.de/politik/162/492518/text/
auch die offenbar nun angestrebte Unterordnung unter das Auswärtige Amt und das Wirtschafts- und Verteidigungsministeriums wirft allerhand Fragen auf.
tinyurl.com/yg5votv
tinyurl.com/ydhmakm
Nicht nur das im Artikel bereits erwähnte Mißverständnis der Aufgaben seines Amts als 'Weltsozialamt'-leiter, vor allem katastrophal und als tatsächlich gefährlich zu bewerten ist sein Ansatz der blanken Erpressung ziviler Hilfsorganisationen, ihnen keinerlei Gelder mehr zukommen zu lassen, wenn sie nicht enger mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Dirk Niebel erkennt hierbei womöglich nicht, daß er die seriösen ZIVILEN Helfer in Lebensgefahr bringt, wenn er sie auf diese Weise vom bewaffneten Personal der Bundeswehr ununterscheidbar macht. Ganz offenbar gebricht es ihm auch an einem Plan für den langen schlimmen Frieden in Afghanistan.
Aber - Dirk Niebel hat offensichtlich noch nicht erkannt, welche Bedeutung langfristige internationale Verpflichtungen und Verträge für sein Ministerium haben, wie an seiner populistischen Aussage, China alle Hilfen zu streichen, schon deutlich erkennbar war (hier nur als Beispiel - der Rechtsstaatsdialog) und er hat auch ganz offensichtlich noch nicht begriffen, wie ein Ministerium arbeitet. Auch wenn er nun die Führungsebene mit weiteren nichtsnutzigen Parteifreunden ausstattet. Bis er aber mit deren Hilfe die Entwicklungspolitik irgendwie prägen wird, geht noch Zeit ins Land - bislang profitiert er ausschließlich von der sehr guten Arbeit von Heidemarie Wiezcorek-Zeul.
Oh weh, Herr Niebel!
Ich war ja von Anfang an entsetzt ob dieser Fehlbesetzung, aber das ist schlimmer als in meinen Alpträumen.
Das läßt sich, fürchte ich, über weit mehr Personalien in der FDP so sagen:
www.zeit.de/politik/deutschland/2010-02/fdp-streit-koalition?page=all
Der Hessen-Berlusconi
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ist immun gegen Skandale geworden. Doch wie korrupt ist der 51-Jährige wirklich? Vier Fälle aus einem CDU-Staat.
In demokratischen Ländern würde man von einem Herbst der Skandale sprechen. In demokratischen Ländern hätten die Verantwortlichen zurücktreten müssen. In Hessen gilt: Was uns nicht umbringt … In zehn Jahren Amtszeit hat Ministerpräsident Roland Koch Hessen zu einem CDU-Staat umgebaut. "Ich bin Sprecher der schweigenden Mehrheit", hat er mal gesagt. Da muss was dran sein, sonst hätten sie ihn längst in die Wüste geschickt. Der hessliche Herbst in vier Folgen.
1. Gegen massiven öffentlichen Druck setzt der Verwaltungsrat des ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender ab. Dem Kandidaten des Intendanten hilft auch nicht der offene Brief von 35 Staatsrechtlern, die den Fall als "Prüfstein für die Rundfunkfreiheit" bezeichnen. Die CDU-Mehrheit setzt sich durch, angeführt von Roland Koch. Fast so lang wie Koch war Peter Voß, 68, in der CDU. Jetzt ist der ehemalige ARD-Vorsitzende ausgetreten. "Herr Koch hat mit seinem Vorgehen der CDU, dem ZDF und den Medien schwer geschadet." Der Durchmarsch der Union sei "ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Senders".
2. Im November wird der Psychiater Thomas H. zu 12.000 Euro Geldbuße verurteilt. Das Verwaltungsgericht Gießen stellt fest, dass H. vier psychiatrische Gutachten "nicht entsprechend den fachlichen Anforderungen erstellt" habe. Der Verdacht: Gefälligkeitsgutachten, missliebige Steuerfahnder sollten aus dem Verkehr gezogen werden, um (einfluss)reiche Steuerbetrüger zu decken. Opfer sind vier hochrangige hessische Steuerfahnder, die im CDU-Schwarzgeldskandal ermittelt hatten. Die Fahnder werden zwangspensioniert und beklagen systematisches Mobbing. Die Süddeutsche Zeitung kam sich vor wie in "Panama, wo es aus Überlebensgründen für Fahnder ratsam ist, nicht immer alles herausfinden zu wollen". Ins Visier gerät Hessens Finanzminister Karl-Heinz Weimar. Der mauert. Sein Chef ist Roland Koch.
3. Der Frankfurter Anwalt Michael Wolski, 66, steht wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Verfahren wegen Untreue und Betrugs laufen. Trotz dubioser Geschäfte verlangen die Finanzämter in Frankfurt und Offenbach von Wolski jahrelang keine Steuererklärung. Wolskis Ehefrau Karin ist Richterin am Hessischen Staatsgerichtshof und Vizepräsidentin am Verwaltungsgericht Frankfurt. Und Mitglied der CDU. Kritiker sehen ein Versagen der Finanzverwaltung von Minister Weimar und fordern den Rücktritt der Richterin Wolski. Im Prozess kommen bizarre Details über die Geldbeschaffungsmethoden der Wolskis zu Tage.
Michael Wolski habe sich als "Witwentröster" das Vertrauen der "reichen Witwe Margit C." erschlichen. Für seine Liebesdienste wird Wolski von der bald Neunzigjährigen belohnt. Geld, Wohnungen, Autos, auch für Richterin Wolski fällt ein Mercedes ab. Wolski-Sohn Nico, heute CDU-Stadtverordneter in Neu-Isenburg, bekommt über Jahre 1.000 Euro Taschengeld pro Monat von Frau C. Bei der betagten Dame ist in absehbarer Zeit mit einem jüdischen Vermächtnis zu rechnen. Die in den Medien nur "reiche Witwe" genannte Margit C. war mit Ignaz C. verheiratet. Den schildert die Lokalpresse als Holocaustüberlebenden, der zum millionenschweren Immobilientycoon aufstieg. Selten fehlt vor dem Tycoon das Adjektiv "jüdisch". Da war doch was. Der "reiche Jude" aus Fassbinders Frankfurt-Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod". Die "jüdischen Vermächtnisse" hatte die hessische CDU 1999 erfunden, um sich aus dem Schwarzgelderklärungsnotstand zu winden. Über den Skandal stürzte Franz Josef Jung. Der Chef der Hessischen Staatskanzlei musste gehen, um seinen Chef zu schützen. Dafür macht ihn Roland Koch später zum Berliner Minister.
4. Die SPD-Landtagsabgeordnete Carmen Everts, die 2008 mit drei Parteikollegen die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin verhindert hatte, wird Referatsleiterin bei der Landeszentrale für politische Bildung. Thomas Klein von der Linkspartei: "Das passt ins System Koch, Unliebsame an den Rand zu drängen und andere zu belohnen."
Mal wieder werden Rücktrittsforderungen gegen Koch laut. Das sei unumgänglich, "wenn Verantwortung in Hessen noch irgendeinen Sinn haben soll", sagt nicht etwa die Linkspartei, sondern Wilhelm Schlötterer, ehemals hoher Ministerialbeamter und CSU-Mitglied.
www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/der-hessen-berlusconi/
Popper und Parvenü. Westerwelle - Ribbentrop.
20. Juli, man kauft ein Regal. Sommer.