Zum dritten Mal in diesem Jahr treibt es Autobauer auf die Straße. Nach dem Streit um das 500-Millionen-Sanierungspaket bei Daimler-Chrysler im Frühjahr, den drohenden Entlassungen bei Opel vor wenigen Wochen, sind nun die VW-Belegschaften dran. Von der Friedenspflicht befreit hätte die IG Metall seit Ende vergangener Woche ihre Stärke demonstrieren können. Aber sie tat es nicht und hielt sich zunächst eher zurück. "Ein Konflikt auf Messers Schneide nützt niemandem und schadet allen", so beruhigte Klaus Volkerts, der Chef des Gesamtbetriebsrats, die Belegschaften der westdeutschen VW-Werke.
Der VW-Konflikt ist eine weiteres Beispiel dafür, wie sich industrielle Strukturveränderungen durchsetzen und wie hilflos die Gewerkschaften darauf reag
arauf reagieren. In der Automobilindustrie gibt es keine Branchenkrise wie zu Beginn der neunziger Jahre, als der Autoabsatz weltweit rückläufig war. Schon im vergangenen Jahr wurden mehr Autos verkauft als im Vorjahr, und auch in diesem Jahr wird es Zuwachsraten geben. Der Markt wächst also, aber im Verhältnis zur europäischen Konkurrenz haben koreanische und japanische Autoproduzenten aufgeholt, und die gesamte Branche ist auf der Suche nach Ländern mit einem niedrigen Lohnniveau. Das wäre der globale Aspekt. Ein weiterer Gesichtspunkt ist das veränderte inländische Kaufverhalten. Für die Autos der Luxusklassen gab es bis vor einigen Jahren relativ wenige Interessenten, im Mittelklassesegment war die Käuferschicht breiter, und in der unteren Preisklasse wurde sie wieder schmaler. Dieses Schema "Schmal-Breit-Schmal" hat sich zum "Breit-Schmal-Breit" gedreht: In der Luxusklasse und im unteren Segment werden weit mehr Autos verkauft als früher und von den Mittelklassewagen weniger.Das sagt viel über gesellschaftliche Verhältnisse aus. Erstmals im Nachkriegsdeutschland sind die mittleren Einkommensschichten - zu denen durchaus gut bezahlte Automonteure und andere Facharbeiter gerechnet werden dürfen - von der ökonomischen Krise betroffen. Da wird gespart, wo es nur möglich ist - eben auch beim Autokauf. Durch verfehlte Modellpolitik, aber auch aufgrund fragwürdiger Zukäufe, haben die Massenhersteller VW und Opel nun ein Kostenproblem, das sie in ihrem Sinne mit betriebswirtschaftlicher Logik lösen möchten. Volkswirtschaftlich kann das verheerend sein. Die eingesparten Summen bei Daimler-Chrysler, Opel und VW lassen den Binnenmarkt weiter schrumpfen. Die Autoindustrie kann das vorläufig - durch Exporte und weil sie international agiert - wegstecken. So gesehen handeln die Manager im Sinne ihrer Unternehmen vernünftig. Nur die Frage bleibt, und mit jedem Kostensenkungsprogramm stellt sie sich um so schärfer: Wer nimmt die volkswirtschaftliche Verantwortung wahr? Wenn es schon die Regierung nicht tut, die von Konjunkturpolitik nichts wissen will, bleiben eigentlich nur noch die Gewerkschaften als letzte Instanz volkswirtschaftlicher Vernunft.In ihrer gegenwärtigen Verfassung sind die deutschen Gewerkschaften allerdings kaum in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen, vor allem dann nicht, wenn sie sich, wie die IG Metall, in die betriebswirtschaftliche Falle treiben lassen. Als vor einem halben Jahr Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp von der Belegschaft einen Beschäftigungspakt im Gegenwert von 500 Millionen Euro verlangte, hätte die IG Metall alarmiert sein müssen. "Geben wir Schrempps Forderung nach, weckt das in anderen Unternehmen Begehrlichkeiten und das wollen wir nicht" - nur mit einem solchen verhandlungskategorischen Imperativ hätte die IG Metall die zu erwartenden Folgen verhindern können. Denn in der Tarifpolitik der Nachkriegsgeschichte wurden alle Fortschritte von der IG Metall im Südwesten erzielt - nur die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall war eine Ausnahme. Mit dabei war immer die Daimler-Belegschaft. Schon deshalb hätte die IG Metall die Stuttgarter nicht allein lassen dürfen. Andere Automobilstandorte einzubeziehen und allmählich eine Kultur des sozialen Widerstands zu entwickeln, wäre schon im Frühjahr das Gebot der Stunde gewesen. In künftigen Auseinandersetzungen wird es nicht reichen, die Gewerkschaftsmitglieder mit Fahnen und Plastikwesten auszustatten und sie nur vor den jeweiligen Betriebstoren aufmarschieren zu lassen. Kreativität ist gefordert. Regelverletzungen und ziviler Ungehorsam gehören bisher eher zum Repertoire der Friedens-, Umwelt- und Anti-Atombewegung. An solchen Erfahrungen könnte man anknüpfen. Warum sollten nicht Gewerkschaftshäuser zu Werkstätten eines vernetzten und innovativen Widerstands werden?