Hilfsbremser sind wir nicht

Im Gespräch Thomas Händel von der "Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) über neue Parteien, alte Fehler, Attac und die PDS

Thomas Händel (51) ist gelernter Elektromechaniker, war Jugendvertreter, Betriebsrat und Mitarbeiter im Vorstand der IG Metall, deren Verwaltungsstelle in Fürth er seit 1991 als 1. Bevollmächtigter leitet. Im Sommer des vergangenen Jahres wurde er nach 32 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgeschlossen - wegen seiner Tätigkeit in der "Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit", die in den kommenden Monaten zur Partei werden soll.

FREITAG: Spötter sagen, bei der WASG tummeln sich unausgelastete Gewerkschafter, die ihre alte Tante SPD wieder haben wollen.
THOMAS HÄNDEL: Ein IG Metall-Bevollmächtigter kann in dieser Zeit über einen Mangel an Arbeit nicht gerade klagen. Was unsere Parteigründung angeht, ist im vergangenen Jahr überdeutlich geworden, dass die alte Arbeitsteilung - die Gewerkschaften kümmern sich um Tarif- und Betriebspolitik, und die SPD ist der politische Arm - obsolet geworden ist. Wir brauchen wieder eine Kraft in den Parlamenten, die arbeitende Menschen vertritt.

In fast allen westeuropäischen Ländern gibt es Parteien links von der Sozialdemokratie. Hierzulande ist die PDS ein Erbe der DDR. Alle anderen Versuche, im Nachkriegsdeutschland eine linke Partei zu etablieren, sind gescheitert. Was macht Sie so sicher, dass es diesmal klappt?
In kürzester Zeit konnten wir über 6.000 Mitglieder gewinnen, die in mehr als 200 Regionalgruppen tätig sind. Etwa die Hälfte der Menschen, die zu uns kommen, haben sich entweder noch nie politisch betätigt oder waren lange Zeit abstinent. Gemeinsam mit jenen, die aus anderen Parteien zu uns stoßen - von der CDU/CSU bis zur PDS - wollen sie den Sozialstaat menschenwürdig weiterentwickeln. Ich denke, dass wir auch bei vielen Menschen, die jetzt noch abseits stehen, viel Interesse auslösen. Ich merke das bei Lehrern, im Gesundheitsbereich, sogar bei Bankern und Mittelständlern.

Manche halten die Positionsbestimmung "links" für veraltet. Was heißt links für Sie?
Eine Gesellschaft zu schaffen, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, die seine freie Entfaltung fördert, die wirkliche Chancengleichheit herstellt, in der die Würde aller Menschen geachtet wird. Wenn heute derjenige, der für den Erhalt des Sozialstaates eintritt, schon als Betonkopf bezeichnet wird und der Sozialstaat etwas ganz Linkes und Verwerfliches ist, dann sind wir ein linkes Projekt.

Auch die SPD hat die These akzeptiert, dass sich diese Gesellschaft vieles nicht mehr leisten kann. Trotzdem klammern sich die Gewerkschaftsführungen immer noch an die Sozialdemokratie.
Manche Kollegen halten das Projekt einer neuen Partei für zu riskant, manche sogar für falsch. Sie setzen darauf, dass die SPD nach Wahlniederlagen wieder einen "Turnaround" schafft. Mit dem jetzigen Personal wird das aber nichts. So stellt sich die ganz pragmatische Frage, wer denn einen Politikwechsel einläuten soll. Diese SPD hat es verdient, den Monopolanspruch der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zu verlieren. Dazu bedarf es der Konkurrenz, und das wollen wir sein.

Wie wollen Sie diejenigen gewinnen, die nicht mehr zur Wahl gehen oder aus Protest rechts wählen?
In Bayern hat die SPD bei der letzten Landtagswahl durch Stimmenthaltung über eine Million Stimmen verloren. Wir haben versucht herauszufinden, woran das lag. Die Antworten waren sehr kategorisch: "Unsere" haben wir nicht mehr wählen können, und die "Anderen" haben wir nicht wählen wollen, deshalb sind wir zu Hause geblieben. Insofern gibt es einen Kausalzusammenhang zwischen politischer Abstinenz und einer nicht vorhandenen, glaubwürdigen Wahlalternative. Und es ist kein neues Phänomen, dass dann, wenn eine solche Alternative auf Dauer fehlt, viele Menschen nach rechts driften. Faschismusanalysen sagen uns, dass existenziell gefährdete Menschen irgendwann dazu neigen, Parolen hinterher zu laufen, die sie bei vernünftigem Nachdenken nicht akzeptieren würden. Solche Wähler sind nicht per se Faschisten oder Rechtsradikale. Trotzdem ist ein solches Verhalten eine latente Gefahr für die Demokratie. Umso mehr müssen wir dafür sorgen, dass es für diese parteiverdrossenen und politikfrustrierten Menschen eine wahlfähige, soziale Alternative gibt.

Sie sind mit Ihrer Initiative im Westen sehr viel stärker vertreten als im Osten. Kann daraus tatsächlich ein gesamtdeutsches Projekt werden?
Zwischen SPD und PDS ist im Osten offensichtlich wenig Platz. Das muss aber nicht auf Dauer so bleiben. Weil die Menschen im Osten von den Umbrüchen viel stärker betroffen sind, sagen sich viele, bevor wir gar nicht wählen, wählen wir halt PDS. Ich halte das nicht für so verfestigt, dass es nicht auch zu anderen Alternativen kommen könnte. Auf jeden Fall wollen wir aus eigener Kraft bei der Bundestagswahl 2006 die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. Was eine spätere parlamentarische Zusammenarbeit mit der PDS angeht, gibt es in unseren Reihen etliche, die sich das vorstellen können, und andere, die sagen, das kommt nicht in Frage.

Gegenüber Attac gibt es offensichtlich weniger Berührungsängste.
Eine Partei kommt nicht ohne Bewegung aus und ganz besonders wir nicht. Deshalb sind für uns Bewegung und Partei zwei Seiten derselben Medaille. Man kann aber nicht immer nur demonstrieren, irgendwann muss man auch antreten und um Mandate kämpfen. Wir wollen den außerparlamentarischen Bewegungen eine parlamentarische Plattform bieten.

Eine solche Haltung hat vor 25 Jahren ebenfalls zu einer Parteigründung geführt. Inzwischen sind die Grünen Regierungspartei, dabei ist ihnen die Bewegung abhanden gekommen.
Es gibt bei den Grünen viele feine Facetten, die wir uns sehr genau anschauen müssen. Wie einen Fetisch haben sie anfänglich die Trennung von Amt und Mandat vor sich hergetragen. Ich glaube, das war eher schädlich als nützlich. Bei uns wird dieses Thema derzeit auch sehr kontrovers diskutiert. Noch ist nichts entschieden. Auf jeden Fall wollen wir eine starke Mitgliederbeteiligung und möglichst breite Entscheidungsstrukturen beibehalten. Und unser Programm muss immer die Haltelinie für Kompromisse sein.

In die Verlegenheit, irgendwelche Kompromisse einzugehen, werden Sie nicht schnell kommen.
Aus der Sicht von Machtbeteiligung wohl nicht. Sollten wir in die Parlamente einziehen, sehe ich uns für lange Zeit in der Opposition. Es geht nicht um die Rolle des Hilfsbremsers auf einer neoliberalen Elektrolok - wir müssen unsere Alternativen mehrheitsfähig machen. Das wird ein langer Prozess werden. Wenn wir dafür Sorge tragen, dass sich Politik nie ohne Bewegung an der Basis entwickelt, dann haben wir gute Voraussetzungen, nicht so zu enden wie die Grünen.

Die Heldin in den Anfangsjahren der Grünen war Petra Kelly, nunmehr ist seit fast 20 Jahren Joschka Fischer die alles dominierende Figur. Man kann es beklagen - aber ohne Superstars geht in dieser Mediengesellschaft nichts. Wann kommt Oskar Lafontaine zu Ihnen?
Wenn er sich uns anschließen möchte, ist er herzlich willkommen. Er ist einer der besten Wirtschafts- und Finanzpolitiker, seine Unterstützung würde uns gut tun. Nur eines geht bei uns nicht: Wir wollen nicht von Oskar Lafontaine am Sonntagabend bei Christiansen hören, was die Partei am Montag diskutieren soll.

Das Gespräch führte Günter Frech

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