Himmelfahrt ist einer der wenigen Feiertage, der selbst in diesem arbeitnehmerunfreundlichen Kalenderjahr nicht auf ein Wochenende fällt. Geht ja auch gar nicht, der 40. Tag nach Ostersonntag ist immer ein Donnerstag und so soll es auch bleiben. Denn an diesem Tag fahren wir aus Tradition und auch zum Spaß per Rad durchs Umland, um Neues zu entdecken und im Freundeskreis zu picknicken. Wir sind ein eingespieltes Team. Jeder weiß, was er mitzubringen hat; jedes Mal ist von allem zu viel da und von Jahr zu Jahr werden die lukullischen Genüsse raffinierter, die Weinsorten erlesener und das Ambiente stilvoller. Eines Tages werden wohl die Fahrräder nicht mehr ins, aufs oder ans Auto passen, weil wir Tisch und Sessel im Gepäck haben und vielleicht noch eine bequeme
eme Liegestätte für ein kurzes Nickerchen danach. Nun ja, das ist Zukunftsmusik, zurzeit rasten wir noch im Gras und radeln alsbald danach wieder tapfer durch Wiesen und Wälder, über sandige Wege und leicht hüglige Chausseen.In diesem Jahr war die Bücherstadt Wünsdorf-Waldstadt unser Ausgangspunkt. Pünktlich um 11 Uhr waren alle zur Stelle, umkreisten kurz per Rad die irgendwie weltfern anmutende Wohnanlage der Waldstadt und verschwanden dann im Informationszentrum, das zugleich auch eines der hier im Ort konzentriert ansässigen Antiquariate beherbergt. Jetzt müsste man Zeit haben ... Wie sich später herausstellte, hatte das jedes Mitglied unserer kleinen Radfahrgemeinschaft gedacht. Aber das Individuum verzichtet zugunsten der Gruppe. Eigentlich komisch, wenn die Summe aller Einzelinteressen dem der Gruppe zu widersprechen scheint, obwohl alle insgeheim das Gleiche wollen. Aber das führt jetzt weg; bleiben wir in der Bücherstadt, die seit Jahrzehnten eigentlich eher eine Garnisonsstadt ist. Die Wünsdorfer Wälder waren schon zu Kaiser Wilhelms Zeiten militärisches Sperrgebiet, vor 1914 war hier die Infanterie- und Heeressportschule angesiedelt, später wurde das Gebiet Kommandozentrale der deutschen Wehrmacht und von 1945 bis 1991 hatte der Generalstab der Westgruppe der Sowjetarmee hier seinen Sitz. Noch bis 1994 lebten rund 50.000 Soldaten und russische Offiziere mit ihren Familien in Wünsdorf.Pünktlich um 12 Uhr sollte die erste Führung an diesem Feiertag durch die Bunkeranlagen Maybach I und Zeppelin beginnen. Die Männeraugen leuchteten, wir Frauen kramten unsere dicken Pullover hervor, denn unter der Erde würden es höchstens zehn kühle Grad Celsius sein. Inzwischen hatten sich rund 40 Bunkerbesichtiger eingefunden und Herr H., ausgerüstet mit zwei leuchtend gelben Taschenlampen und einem DIN A4 Hefter voller Schwarz-Weiß-Aufnahmen, begrüßte uns zur ersten "kleinen" - anderthalb Stunden - Führung durch die Bunkeranlagen. Seine Lieblingstouren dauern acht bis neun Stunden, dafür reisten sogar Enthusiasten aus Amerika an, erzählt er uns Anfängern. Natürlich könne man in der kurzen Zeit nur ein Bruchteil dessen vermitteln, was es hier alles zu sehen und worüber es zu berichten gäbe, aber man könne im Informationszentrum ja sein Buch erwerben. Es ist in der Tat beeindruckend, unter die Hüllen von scheinbar ganz normalen Stabsgebäuden zu blicken. Unmengen verbauter Stahlbeton, bombensichere Decken von einem Meter Stärke und Zimmerdurchgänge mit hermetisch abschließenden Panzertüren sollten das kriegerische Strippenziehen vor unliebsamen Störungen schützen. Ein Dixi-Klo steht mitten in dem eingezäunten Gelände. Wozu das? Einen der zahlreichen Bunkerräume kann man für einen üppigen Obolus als Partyraum mieten. Dafür darf dann ganz ungestört die Sau rausgelassen werden. "Geile Idee", kreischt einer der jüngeren Bunkerbesucher.Als wir später auf sonniger Wiese beim Picknick sitzen, zieht die nächste Gruppe Schaulustiger in Richtung Bunkeranlagen an uns vorbei. Wir genießen in Ruhe und steigen dann rund und zufrieden auf unsere Räder. Über Zossen geht es nach Kallinchen. Parallel zur Straße schlängelt sich ein stillgelegtes Gleis. Schon von weitem klingen Gesprächsfetzen zu uns herüber; zwei Draisinen rollen unausweichlich aufeinander zu. Auf beiden wird munter gestikuliert, aber ausweichen kann natürlich weder Mensch noch Gefährt. Manchmal ist es eben auch Pech, wenn zwei das Gleiche wollen. Wir treten in die Pedalen und fühlen uns frei. Dann lockt plötzlich ein Weizenbier. Es ist bierseliger "Vatertag" und dieser Volksbrauch soll schließlich seine Wurzeln auch in dem christlichen Feiertag haben. Wir steuern schnurstracks auf eine gastronomische Einrichtung zu. Auf der Terrasse sitzen lauter ältere Herren in beschaulicher Runde. Bei unserem Eintreffen werden sie munter und winken uns heran. Doch wir wollen die feiertägliche Anglervereinsrunde nicht stören. Zur gleichen Zeit fallen zwei Betrunkene vom Ausflugsdampfer MS Brandenburg in die Spree ... Die Wasserschutzpolizei hat sie herausgefischt.