Life, like a dome of many coloured glass, stains the white radiance of eternity“ (Das Leben hinterlässt, wie eine Kuppel aus vielen bunten Fenstern, Farbspuren im weißen Leuchten der Ewigkeit.)
Percy Bysshe Shelley, britischer Schriftsteller und Atheist, 1792-1822
In einer hohen, steinernen Kirche findet man den kühlen, offenen Ort und die Ruhe, um sitzen und nachdenken zu können. Die gigantischen Säulen und das sanfte Spiel des Lichts, das durch die farbigen Scheiben fällt, lassen einen schattigen Garten aus Stein und buntem Licht entstehen.
Buntglasscheiben sind niemals statisch. Im Lauf des Tages werden sie von wechselndem Licht belebt, das ihre Muster über den Boden wandern lässt. Für die Struktur der alten Kirchen war dieses Glas essenziell, sie erleuchteten sowohl die Gebäude als auch die Menschen in ihrem Inneren, sowohl buchstäblich als auch spirituell. Bilder und Szenen, die mit Blei zu Fenstern zusammengefügt sind, ließen das Licht Gottes in die Kirche hinein.
Die Geschichte des Buntglases reicht bis ins Mittelalter zurück. Oft wird unterschätzt, welch technische und künstlerische Leistung dahinter stand. Doch zunächst das Glas selbst: Es entspringt der Kunst des Feuers, der Fusion irdischer Gesteine: Eine Mischung aus Sand (Silziumdioxid), Soda (Natriumoxid) und Kalk (Calziumoxid), das bei hohen Temperaturen verschmilzt. Das Glas, das so entsteht, ist ein sehr vielseitiges Material, das nicht nur für Trinkgefäße und Fenster verwendet werden kann. Glas ermöglicht Wissenschaftlern, viele Lichtjahre entfernte Sterne und kleinste biologische Strukturen zu beobachten – die vielen farbigen chemischen Reaktionen in Reagenzgläsern nicht zu vergessen.
Wie kamen wir auf dieses Material? Die frühesten Anhaltspunkte für die Beziehung zwischen Mensch und Glas war die Entdeckung zersplitterter Werkzeuge und Pfeilspitzen aus Obsidian, die mehr als 200.000 Jahre alt sind. Obsidian ist ein vulkanisches Gesteinsglas, das sich bildet, wenn heiße Lawa schnell abkühlt. Zum ersten Mal von Menschen selbst hergestellt wurde Glas vermutlich vor fünftausend Jahren im Mesopotamien. Frühe Glasfunde bestehen aus relativ groben Perlen, die für gewöhnlich um einen Metalldraht geformt wurden. Sie sind blau und grün, was nahe legt, dass Glas anfangs verwendet wurde, um Halbedelsteine wie Lapis Lazuli und Türkise zu ersetzen, oder zumindest, um an diese zu erinnern. Darin spiegelt sich eigentlich fast die gesamte Geschichte der Glasherstellung: Immer wieder war Glas ein Ersatz für Luxus – ein künstlicher Stein, der billiger, weicher und leichter zu bearbeiten war als echter Edelstein
In der Architektur kommt Glas – sowohl geblasen als auch gegossen – seit dem römischen Reich zum Einsatz. Bereits im fünften Jahrhundert erwähnen Schriftsteller farbiges Glas in Fenstern. Als Europa um 1000 nach Christus weniger kriegerisch wurde, begannen der Kirchenbau und die Buntglasproduktion zu florieren. Kirchen im romanischen Stil hatten jedoch massive Wände, die mit Säulen gestützt werden mussten, und deshalb nur relativ kleine Fenster. Schon zweihundert Jahre später aber erlaubten die Spitz- und Strebebögen des gotischen Stils, dass die Baumeister „Wände aus Licht“ einfügten; gigantische Fenster, die den Innenraum der Kirche mit vollkommenem Licht füllten.
Der anatomische Kern
Ein verbreiteter Irrglaube ist übrigens, dass das Glas in diesen alten Kathedralen mit der Zeit zerfloss und die Scheiben deshalb unten dicker als oben sind. Die Wahrheit dagegen berührt den anatomischen Kern des Glases.
Was also ist Glas? Weshalb können wir hindurchsehen? Glas existiert in einem kaum verstandenen physikalischen Zustand zwischen Feststoff und Flüssigkeit. Im Allgemeinen gibt es eine bestimmte Temperatur, bei der eine abgekühlte Flüssigkeit erstarrt und zum kristallinen Festkörper wird (wie Wasser zu Eis bei null Grad Celsius). Die meisten anorganischen Materialien verhalten sich so. Sind sie fest, formen sie viele Millionen Kristalle, von denen jedes eine in hohem Maße geordnete atomare Struktur besitzt, die aus mosaikartigen Einheiten besteht. Die Form dieser Einheiten spiegelt sich in der Form der einzelnen Kristalle selbst wieder (zum Beispiel hexagonale Quarzkristalle).
Glas ist anders: es besteht anstelle von vielen Einheiten aus einem einzigen, durchgehenden Netzwerk von Atomen, die nicht geordnet sind, sondern unregelmäßig und darin Flüssigkeiten ähneln. Diese Besonderheit in der atomaren Struktur rührt daher, dass flüssiges Glas so schnell abgekühlt und die Atome keine Zeit haben, sich zu einem gleichmäßigen Kristallschema anzuordnen.
Alles kann zu Glas werden
Das hat auch umgekehrt eine Bedeutung: Schnell genug abgekühlt, kann nämlich fast jede Flüssigkeit Glas bilden, sogar Wasser. Die Abkühl-Geschwindigkeit muss in den allermeisten Fällen jedoch extrem hoch sein. Flüssigkeiten, die primär aus Siliziumoxid bestehen, können dagegen langsam abkühlen und bilden trotzdem Glas. Sie härten dabei stufenweise aus, bis sie die „Glasübergangstemperatur“ erreichen, ab der sie effektiv fest sind.
Dieses feste, transparente Silikatmaterial ist das, was wir Glas nennen. Und obgleich seine Atomstruktur der einer Flüssigkeit ähnelt, ist es in jeder Hinsicht hart und zerfließt erst im Verlauf mehrerer Milliarden Jahre. Viel zu langsam also, als dass man in den paar hundert Jahren, die die Kirchenfenster alt sind, etwas bemerken könnte. Kirchenfenster sind an einigen Stellen manchmal dicker als an anderen, weil es äußerst schwierig ist, um aus Glas vollkommen flache Schichten zu formen. Tatsächlich ist eine entsprechende Methode erst seit 60 Jahren bekannt.
Dass die Struktur des Glases derjenigen von Flüssigkeiten ähnelt, ist einer der wichtigsten Gründe für seine Transparenz. Das bedeutet jedoch nicht, dass sämtliches Licht durch das Glas hindurchdringt. Manches Obsidian zum Beispiel ist so dunkel, dass es tatsächlich schwarz und undurchsichtig ist. Der Grund dafür ist, dass die Elektronen einiger Elemente des Obsidians so angeordnet sind, dass ihre Energie der des sichtbaren Lichts entspricht. Das bedeutet, dass sie entweder einen Teil des sichtbaren Lichtes absorbieren – wodurch Farbe erzeugt wird – oder es insgesamt auffangen, dann wird das Material undurchsichtig. Klares Glas enthält keine Elemente, die sichtbares Licht absorbieren, deshalb ist es farblos und transparent. Es absorbiert dafür aber Ultraviolettstrahlung, weshalb man hinter einem Autofenster keinen Sonnenbrand bekommt.
Dass bestimmte Elemente die Fähigkeit besitzen, Licht zu absorbieren und Farben zu erzeugen, wird mit großer Wirkung in der Herstellung von Buntglas eingesetzt. Wenn man während des Schmelzvorgangs zum Beispiel Kobaltoxid zum Glas gibt, dann wird es blau, weil das Kobalt Wellenlängen am roten Ende des Spektrums absorbiert, aber nicht im blauen Bereich.
Chemie? Unbekannt
Welche Stoffe welche Farben ergeben, wurde in der Antike durch schlichtes Rumprobieren entdeckt. Man gab verschiedene Mineralien in den Schmelztiegel und experimentierte mit unterschiedlichen Schmelzzeiten. Mineralien, die Kupfer enthalten, können rotes oder himmelblaues Glas erzeugen. Mangan ergibt rosa oder violett, Eisen verschiedene Grüntöne oder leuchtend gelbes Glas. So entstand ein großartiges Farbspektrum, und die alten Glaser setzten dieses Glas mit außerordentlicher Wirkung ein, obgleich ihnen die Chemie dahinter vollkommen unbekannt war. Mineralien gelangten oft auch als Verunreinigungen im Sand ins Glas und erzeugten dann blasse Farben wie grün (Eisen) und rosa (Mangan), die oft in „klarem“ Fensterglas in Kirchen gefunden werden können.
Die Kunstglaser, die die Fenster fertigten, stellten das Glas nicht selbst her – das war die Aufgabe der Glasmacher. Es war eine heiße und gefährliche Arbeit, die große Geschicklichkeit und Wissen voraussetzte. Die Glassmacher wachten eifersüchtig über ihre Glasrezepte und darüber, welche Bedingungen im Schmelzofen benötigt wurden, um unzählige Farben herzustellen. Sie mischten das Rohmaterial in Tontöpfen, die sie über Holzfeuern erhitzten, dann bearbeiteten sie die zähe Flüssigkeit mit Werkzeugen aus Metall und Holz.
Die Glasherstellung war ein schwieriger und unberechenbarer Prozess: Sie erforderte exakte Mengen der einzelnen Zutaten und ganz bestimmte Schmelz-Bedingungen. Jede kleinste Abweichung konnte zu Fehlern führen, etwa zu ungleichmäßigen Färbungen, seltsamen Farbnuancen, Blasen oder Verunreinigungen.
Die Glasmacher lieferten den Kunstglasern Glasplatten, aus denen sie ihre Fenster fertigen konnten. Dieser Prozess beginnt mit dem Entwurf des Künstlers, der im Mittelalter vidimus hieß (Lateinisch für „wir haben gesehen“). Das Vidimus wurde dann auf einer weißen Tischplatte in Echtgröße aufgezeichnet, so entstand der Karton. Dann wurden die bunten Scheiben zugeschnitten, auf den Karton gelegt, mit Blei eingefasst und verbunden.
Blei wird vermutlich seit dem Mittelalter verwendet. Es erwies sich als ideal, um die Glasstücke zu verbinden, da es gleichermaßen biegsam wie stark und strapazierfähig genug war, um ein kunstvolles Glasmosaik vor extremen Witterungen und Temperaturen zu schützen. Die Platten wurden zusätzlich wetterfest gemacht, indem eine Kitt-ähnliche Masse aus Kalk, Blei und Leinöl in die Fugen gestrichen wurde. Dann konnten die Platten in die Festerrahmen einmontiert werden.
Kleiderfalten aus Emaille
Komplexe Muster aus verschiedenfarbigem Glas konnten mit sensationellem Effekt produziert werden. Wollte man Geschichten erzählen, waren jedoch menschliche Bilder notwendig, mit Details wie Händen, Gesichtern oder Falten von Gewändern. Man trug sie auf die Oberfläche des Buntglases mit schwarzen Emaille-Pigmente auf, die Kupfer oder Eisenoxyd enthielten. Das Gemisch ließ sich in unterschiedlicher Dicke und Konsistenz auf das Glas bringen, um Schatteneffekte zu erzielen, den Lichteinfall zu kontrollieren und künstlerische Details auszuarbeiten. Nach dem Bemalen wurden diese Glasstücke gebrannt, um die Farbe mit der Oberfläche des Glases zu verschmelzen.
Ab dem 13. Jahrhundert verwendete man ein zweites Pigment aus Silberchlorid oder Sulfit. Nach dem Auftragen wurde das Glas in einem Schmelzofen wärmebehandelt. Dabei wanderten die Silberionen in das Glas und vermischten sich mit dessen Struktur, anstatt einfach nur auf der Oberfläche zu sitzen. Mit der Silberfärbung kann man Farben von hellgelb bis tiefrot erzielen, je nach Beschaffenheit des Glases, der Rezeptur des Färbemittels, wie oft es aufgetragen wird, der Temperatur im Schmelzofen und der Farbe des Hintergrundglases. Sie war ideal um blonde Haare, Heiligenscheine und Kronen auf einem Stück Glas zusammen mit Gesichtern abzubilden und die Menge an lichtundurchlässigem Blei zu verringern. Und man konnte sie auch auf blauem Glas verwenden, wenn man grün erzeugen wollte, was die Darstellung von blauem Himmel und grünen Feldern ermöglichte.
Die Farbenvielfalt und die Effekte, die von den alten Kunstglasern mit diesen bescheidenen Möglichkeiten erzielt wurden, waren unglaublich, doch Mitte des 16. Jahrhunderts begann die Verwendung anderer bunter Glasuren. Wie Glasuren für Töpferwaren, so bestanden auch diese entweder aus gemahlenem Buntglas oder aus klarem Glas, Metalloxid und einem Bindemittel. Sie wurden auf das Glas aufgetragen und dann gebrannt. Methoden wie diese wurden bis ins frühe 19. Jahrhundert verwendet, da sich Fenster damit wie auf einer Staffelei bemalen ließen. Fortan wurde weniger Blei verwendet, oft wurde es nur noch benutzt, um die großen Scheiben zusammenzuhalten. Das Ziel war nun, die Bleifugen zu verstecken, statt sie zu integrieren.
Allerdings wird gesagt, das Emaillieren sei der Tod der großen Buntglaskünstler gewesen. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt, aber ich weiß, dass es eine magische Erfahrung ist, vor einem großartigen Bleiglasfenster zu stehen.
Andy Connelly schreibt für den Guardian und forschte am Institut für Glaswissenschaften an der Universität Sheffield.
Übersetzung: Christine Käppeler
Die Glaskunst des Gerhard Richter
Der Kölner Dom ist vielen ein schmutziges Monstrum von einer Kirche, und ähnlich wirken seine Fenster, wenn man von außen draufschaut. Wer es aber schafft, zwischen den Messen in Kölns Wahrzeichen zu gelangen, kann eine ganze Reihe sagenhafter Buntglasfenster bestaunen.
Der Popstar unter ihnen ist drei Jahre jung und wirkt so unkonventionell, dass Kölns Kardinal Meisner massive Kritik am Auftrag des Domkapitels übte. Stellt das von Gerhard Richter entworfene Mosaik doch nicht in üblicher Grazie den Leidensweg Christi dar, sondern eine zufällige, in den Bahnen gespiegelte Anordnung von mehr als 11.000 Glasquadraten in 72 Farben.
Einige sind so knallig, dass man sie für Industrieglas halten könnte. Sind sie aber nicht. Das Glas für Richters Werk ist mundgeblasenes Antikglas, das allerdings nicht in Blei gefasst wurde, sondern mit Silikon verbunden, um den Lichteinfall nicht zu stören. Seine volle Pracht entfaltet das Richterfenster in der Mittagssonne, wenn es die von Weihrauch neblige Luft in Bahnen farbig aufleuchten lässt.
(Text: Kathrin Zinkant, Foto: Michael Pickardt)
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