Hingehen, wo es weh tut

Ultras Sie sind die Hardcore-Fans des Kairoer Fußball­clubs Al Ahly. Während der Revolution kämpften sie an der Seite der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz

Zu Beginn der ägyptischen Revolution im vergangenen Januar war noch nicht absehbar, dass die Ultras eine tragende Rolle spielen würden. Anfangs beteiligten sich die Hardcore-Fußballfans an den Protesten gegen das Mubarak-Regime einfach genauso wie andere Bürger. Als jedoch klar wurde, dass der Aufstand von der Staatsmacht mit Gewalt bekämpft werden würde, versammelten sich die Ahlawy Ultras, die Anhänger von Ägyptens berühmtesten Verein Al Ahly, geschlossen auf dem Tahrir-Platz. Es gab dort kaum kampferprobte Oppositionelle – bis auf die radikalen Fußballfans.

Und die Ultras waren bei ihrem Kampf für mehr Freiheit nicht zimperlich. Mit Steinen, Macheten und Brandsätzen verteidigten sie andere Demonstranten auf dem Tahrir-Platz gegen Attacken der Polizei und bezahlter Schläger auf Kamelen. Die Ultras waren seit ihrer Gründung im Jahr 2007 häufig mit dem Sicherheitsapparat aneinandergeraten. Der konnte nicht akzeptieren, dass eine junge, gut organisierte Gruppe in Stadien gegen das Regime skandierte. Immer wieder reagierten Mubaraks Schergen, indem sie Mitglieder der Ahlawy Ultras willkürlich festnahmen oder sie gezielt mit gegnerischen Ultras in engen Straßen aufeinandertreffen ließen, um Schlägereien zu provozieren. So sammelten die Ahlawy Ultras aber auch viele Erfahrungen im Kampf mit dem Regime. Ohne ihren harten Einsatz während der Revolution hätten Mubaraks Helfer wohl leichteres Spiel gehabt. Doch die Fußballfans zahlten dafür einen hohen Preis.

Anfang Februar 2012 waren die Ahlawy Ultras zu Tausenden ins nordägyptische Port Said gereist, um ihren Verein gegen den Rivalen Al Masry anzufeuern. Das Spiel endete 3:1 für Al Masry, die Fans bereiteten sich bereits auf eine frustrierende Heimreise vor. Plötzlich stürmte ein bewaffneter Mob aus dem gegenüberliegenden Block den Rasen in Richtung der Ahlawy Ultras. 74 Menschen starben in den folgenden Ausschreitungen, die meisten davon waren Ahlawy Ultras. Viele wurden erstochen, erschlagen oder totgetrampelt, als eine Massenpanik ausbrach.

Schon die Anreise hatte die Fans verunsichert. „Die Linienbusse weigerten sich, uns von Kairo nach Port Said zu bringen. Dann stoppte der Zug 30 Kilometer vor Port Said, und die Armee brachte uns mit Bussen ins Stadion. Dort mangelte es an jeglichen Sicherheitsvorkehrungen”, erzählt ein Ultra, der nur überlebte, weil er mit einem Stuhl mehrere Angreifer auf Distanz halten konnte.

Eine Armee des Protests

Die fehlenden Sicherheitsvorkehrungen waren bloß einer von mehreren Hinweisen, der die Ultras und viele demokratisch orientierte Ägypter vermuten ließ, dass das Blutbad von langer Hand eingefädelt worden war. Dutzende Zeugen wollen gesehen haben, wie staatliche Sicherheitskräfte das Massaker geschehen ließen, die Anhänger von Al Masry angeblich sogar anheizten und die Stadiontore schlossen, um die fliehenden Fans einzukesseln.

Einiges spricht für eine Racheaktion der alten ägyptischen Eliten. Der militärische Übergangsrat gilt als durchsetzt mit Kadern des Mubarak-Regimes. Und schon vor der Revolution waren die Ahlawy Ultras diesen ein Dorn im Auge. Doch der Beitrag der Hardcore-Fußballfans zur Revolution gab dem Staat nun auch aus Sicht vieler regimefreundlicher Ägypter die Legitimation, hart gegen sie vorzugehen.

„Das Regime hat unsere Stärke unterschätzt“, sagt Karim Adel noch heute sichtlich stolz. Er ist Anführer von 8.000 bis 10.000 Ahlawy Ultras in ganz Ägypten. Sie sind eine schnelle Eingreiftruppe, eine junge und hochflexible Armee des Protests. Viele sind kaum älter als zwanzig und schwänzen die Schule oder die Uni, sobald Demos anstehen.

Derzeit sind sie wieder auf den Straßen zu finden. Im April veranstalteten sie ein zweiwöchiges Sit-in vor der Volksversammlung in Kairo. Und natürlich sind sie jetzt ständig vor der Polizeiakademie in New Cairo, wo der Prozess um das Massaker im Stadion von Port Said stattfindet. Jeder weiß, dass der Prozess erst in Monaten, wenn nicht gar Jahren zu Ende gehen wird. Sollte es in der Verhandlung aber zu intransparent zugehen, oder sollten die Herrschenden versuchen, das Massaker wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, werden die Ahlawy Ultras sicher wissen, wie sie auf ihr Anliegen aufmerksam machen können. Den Sport wollen sie darüber aber nicht vergessen. Und ihr Schlachtruf bleibt weiter kämpferisch. Er lautet: „Wir leben und wir sterben für Fußball.“

Ben Kilb lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als freier Reportage-Fotograf. Eine Auswahl seiner Arbeit ist auch auf seiner Website zu sehen: benkilb.com

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