Was hab ich damit zu schaffen?
Ich bin ein schmaler Raum
Wie soll ich das Blut der andern
Fassen? Das Freudige wußte ich:
Gras, der Wind am Don. Regen
Schlug durch die Bretter
In den Nacken, nachts
Redeten sie sich voraus
In die Gartenstadt -
Die andern, fünfundzwanzig
(Was hab ich mit ihnen zu schaffen?)
Im umdrahteten Schnee. Lächelnd
Fertig los
Ins Weglose stapfend. Am Ufer
Steilab des Flüßchens
Die Salve, und einzelne Schüsse
Fernhallend (sagt man).
Immer voran!
Was weiß ich? oder was wußten
Die, in der Steppe
Blühnd gegen die Glut
Des Sommers. Die Arme
Wie Beton verdorrt
An der Schaufel. Die Fundamente
Geschüttelt, das Fieber
Aus dem Schmutz fuhr in die brennenden
Knochen
Lähmend.
Die andern, die in Workuta
Ihr Säckchen sackten, vierzig Mann
Schwächliche Schwerstarbeiter, leer-
Geschlagen der Bauch
(Das ist kein Witz aus Odessa)
Auf den Wagen starr-
Sinnig singend. Und Schüsse im Schnee
Hier lagen sie
Schwarz auf weiß.
Und die Stadtbauer
Schwer atmend, krochen
Aus den Zelten, fern vom Schuß.
Taumelten
In die Schlacht gegen die rasenden
Stunden. Und schlugen die Wälder auf
Gesteinigt das Geviert.
So lebten sie her.
Und pflanzten erstes Grün.
Das wußte ich schon.Und täglich
Die Schüsse November
April, die Tundra färbte sich mild.
Einmal waren es hundert.
Aus Lautsprechern nachts
Kommuniqués. In den Baracken die
Geschloßnen Munds
Die Internationale.
Das erfuhr ich später
Da welkte, unter der Haut
Das Gras des Vergessens.
Die Bauleute sitzen
Am Tisch und löffeln die fette Suppe.
Ich weiß, ich weiß. Ich trinke
Mit denen, die leben.
Und das Blut
Staut sich und färbt meine Worte
Schwarz auf weiß.
Volker Braun
Odessa, 2. 9. 1969
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