Hinter Heumännchen

Serbien Im Städtchen Grocka betreibt ein Elektriker ein Webportal gegen Korruption – und kassiert dafür Prügel
Ausgabe 13/2019
Eine Demonstrantin vor dem serbischen Präsidentengebäude in Belgrad
Eine Demonstrantin vor dem serbischen Präsidentengebäude in Belgrad

Foto: Andrej Isakovic/AFP/Getty Images

Von den vielen Protestbewegungen dieses Winters sind die serbische und die albanische am schwersten zu begreifen. Beide richten sich gegen Machthaber, die erst vor Kurzem absolute Mehrheiten errangen. Schon das Motto der serbischen Demonstrationen ist erklärungsbedürftig: „Einer von fünf Millionen“. Es bezieht sich auf den Satz von Präsident Aleksandar Vučić: „Und wenn fünf Millionen demonstrieren, werde ich meine Politik nicht ändern.“ Detail: Serbien hat nur noch sieben Millionen Einwohner.

Die Opposition wirft dem proeuropäisch gewendeten Nationalisten Vučić die Errichtung einer medialen Diktatur vor. Als ich diesem Vorwurf 2017 nachging, war noch eine von fünf Boulevardzeitungen gegen Vučić, der Kurir. Seit einem Besitzerwechsel schätzt auch der Kurir Vučić und verdammt Oppositionelle, die stundenweise den Staatssender RTS besetzen. Es gibt allerdings weiterhin Oppositionsmedien: Danas, Vreme, NIN, TV N1.

An einem Sonntag, bei brennender Frühlingssonne, machte ich mir in den Hügeln südlich von Belgrad ein Bild. Das lokale Webportal Zig info schreibt über Korruption in der Vorstadt Grocka, verübt von Bürgermeister Dragoljub Simonović. Der Chefredakteur wurde an einem nebligen Morgen zusammengeschlagen, einem Redakteur wurde bei Nacht das Haus abgefackelt. Nach dem Brandanschlag griff Präsident Vučić durch, sein Parteifunktionär Dragoljub Simonović kam zwei Monate in Haft, soeben musste er zurücktreten.

Ich fragte im Städtchen Vrčin: „Wo ist das abgebrannte Haus des Journalisten Jovanović?“ Was in diesen von Gleichgültigkeit gezeichneten Gesellschaften selten ist – ob jung oder alt, alle kannten den Weg: „In der Friedhofstraße!“ Die Garage hatte es schlimm erwischt, das Mauerwerk des Hauses war aber intakt, zwei Fenster waren vor Kurzem zugemauert worden. Der Redakteur, eigentlich Rentner, seit Dragoljub Simonovićs Freilassung unter Polizeischutz stehend, war nicht da. „Unter der Woche“, erzählten die Nachbarn, „kommen sie täglich zum Renovieren.“

Ich ging in Grocka essen. „Vinogradi“ war ein Restaurant im Stil eines toskanischen Weinguts, gelegen auf einem Wunder von Anhöhe. Toute la Belgrade genoss auf vier Ebenen eine Aussicht in drei Richtungen. Selbst ich sah vom inwendigen Platz ein Stück Donau, zwei Donauauen und die Schornsteine von Panćevo. Das „Huhn Sophia Loren“, mit Rucola und Mozzarella gefüllt und in Prosciutto gewickelt, entführte mich in eine höhere Italianità. Wie musste sich der Bürgermeister gefühlt haben, als für ihn beim Mahl auf diesem Feldherrenhügel die Handschellen klickten?

Ich suchte im Dorf Pudarci die Redaktion von Zig info. Man führte mich zu drei hohen Heumännchen. Der Kleinbauer rief seinen Sohn, einen Mittdreißiger in Bermudas, Chefredakteur Željko Matorčević. Die Heumännchen gehörten einem Nachbarn, durch den darunterliegenden Garten liefen Hühner und eine schwarze Gans. Uneinsehbar, in einem winzigen Rohbau unterhalb des Elternhauses, lebte Matorčević mit seiner Frau.

Die Redaktion war ein Kämmerchen mit schäbigen Ohrensesseln, einem Computer und einem Fernseher, in dem N1 lief. Zig info wurde von sieben Hobbyjournalisten gemacht, „die einzige Einnahme sind 100 Euro pro Jahr von Google Ads“. Matorčević war eigentlich Elektriker, seit zwei Monaten in der örtlichen Backfabrik angestellt. Er sympathisierte mit den Demonstrationen, ging aber nicht hin. Er war „zu 85 Prozent“ sicher, dass ihn der Bruder des Bodyguards von Simonović zusammengeschlagen hatte.

Seine Mutter sagte, er solle mit diesen Artikeln aufhören, und seine Frau sagte: „Wir leben in Angst.“ Sie überlegten auszuwandern, er „in ein europäisches Land, alles außer Ex-Jugoslawien und Ungarn“, sie „nach Kanada“. 2008 ließen sie ihre Green Card für die USA verfallen, „da gab’s auch Korruption, aber uns ging’s gut. Dann kam Vučić, mit ihm ein jäher Absturz.“ Der Chefredakteur fragte mich eindringlich: „Warum lassen die Europäer Vučić, anders als damals Milošević, gewähren?“ Ich antwortete ihm: „Sie glauben wohl, er ist unser Mann.“

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