Hinterhaus, jetzt

Am Abend stehen sie vor der Tür, klingeln. Ich bin Mike, sagt der eine, als sie öffnet. Hochgegelter Igel. Wir sind die neuen Mieter. Ja, das, äh, ...

Am Abend stehen sie vor der Tür, klingeln. Ich bin Mike, sagt der eine, als sie öffnet. Hochgegelter Igel. Wir sind die neuen Mieter. Ja, das, äh, freut mich aber, sagt sie, streicht sich das Haar aus der Stirn. Gut, dass ihr da seid! Ich möchte ja gern wissen, wie´s da unten weitergeht. Gemeint ist das Erdgeschoss, das in den vier Jahrzehnten, in denen Berlin die Hauptstadt der DDR gewesen war, leer gestanden hatte und das weiterhin leer stand, als Berlin die Hauptstadt der BRD wurde, so dass die Hausverwaltung vor zwei Jahren, der Bitte einiger Künstler nachgab und die Räume als Ausstellungs- und Veranstaltungsort mietfrei zur Verfügung stellte; verbunden mit der Auflage, sie zu entrümpeln und anzustreichen. Und das war eine WAHNSINNSARBEIT! Sie sieht sich noch mit den anderen die hartnäckigen DDR-Tapeten von den Wänden kratzen und Kreide-Leim-Farbe aus der Gründerzeit von den Decken abwaschen. Danach sahen sie aus, als hätten sie ein Schlammbad genommen. Die neue Farbe platzte sofort wieder ab, so dass sie die beschädigten Stellen lackieren und ein zweites, drittes, viertes Mal streichen mussten. Das schaffen wir nie!, dachte sie jede Nacht, wenn sie sich in ihre Wohnung schleppte. Aber am nächsten Tag stand sie wieder unten oder fuhr von einem Baumarkt zum nächsten, um Materialspenden zu erbitten für die GUTE SACHE.

Was habt ihr da unten vor? Kulturmanagement und Marketing, antwortet Frank, Vertreter des Traumberufs jener Studentengeneration, die nach ihr geboren worden ist. Nun vermarkten diese Leute ihre eigene Studentengeneration. Wer hat euch erzählt, dass die Räume frei sind? Jens, sagt Mike. Natürlich, Jens! Jens, der beste Freund der Hausbesitzer! Sie bauen Heizungen ein, neue Fenster, neue Toiletten, sagt Mike und zupft irgendetwas von seinem Jackenärmel, wir übernehmen die kleineren Arbeiten. Sie versucht, im Kopf auszurechnen, wie viel sie und die anderen aufgebracht hatten, um drei Ausstellungen auszurichten, ein paar Lesungen, Performances, Konzerte, Vorträge, Filmvorführungen. Nun finden zwei der vier Erdgeschosswohnungen neue Mieter, die mit abweisendem Blick ihrem Bericht über die Schlammbäder lauschen. Und uns bleibt eine Wohnung, weil freundliche Spender für die Miete aufkommen, die man nun auch von uns fordert! Immerhin weitaus weniger als von den Neuen, die immer noch vor ihrer Tür stehen. Der Fußboden im großen Raum links ist durchgefault, sagt sie, und es gibt keinen Strom. Ja, äh, das, äh, muss dann wohl als erstes ..., sagt Frank, während Mike nervös fragt, ob der Fußboden irgendwann einbrechen könnte. Ich weiß es nicht, sagt sie, vielleicht nicht, wenn man vorsichtig auftritt. Vielleicht bleiben wir nur ein Jahr, sagt Frank, mal sehen, wie´s läuft. Sie gibt ihnen die Schlüssel. Bis bald, sagt Mike, lächelt. Cool. Sie verabschieden sich auf der Straße.

Die Abendsonne poliert die glänzenden Dachpfannen des sanierten Wohnungsbaus. Nur wenige der mehrflügeligen Fünfstöcker sehen noch so aus wie 1945. Aufbau Ost, denkt sie, mitmachen oder untergehen. Sie hat alles SO GUT beschrieben, sagt ein junger Mann zu seinem Begleiter. Die beiden gehen dicht an ihr vorbei. Ein Bestseller! Natürlich undenkbar ohne erstklassiges Marketing!

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