"Es mangelt an Reife"

Musik und Politik US-Aktivist Jeffrey Johnson über die Präsidenten-Wahl und sein Projekt, die Hip-Hop-Bewegung an Schulen und Universitäten zu verankern

Der Freitag: Herr Johnson, 2008 hat die Hip-Hop-Bewegung im Obama-Wahlkampf die Leute zusammengeschweißt. Warum funktioniert das 2012 nicht?

Jeffrey Johnson: Wegen der Wirtschaft und der Realität. Hope and change waren sehr abstrakte Statements. Jeder für sich hatte doch eine eigene Definition davon im Kopf, was sie bedeuten. Das hatte in vielen Fällen nichts mit pragmatischer Politik und legislativen Realitäten zu tun. Menschen aller Altersgruppen fanden sich frustriert wieder – nicht, weil Präsident Obama nicht gehalten hätte, was er angekündigt hat. Sondern weil so viel Fantasie und Leidenschaft in ihn gelegt wurde. Es ist kaum möglich, das zu wiederholen.

Wenn Rap als Multiplikator des Change-Gedankens fungiert hat – wieso wurde dieses Instrument nun nicht genutzt, um zu sagen: Es geht weiter, aber es braucht Zeit?

Ich glaube, es mangelt der Hip-Hop-Community in den USA an institutioneller Reife. Es gibt lokale Projekte, die hervorragende Arbeit leisten. Aber das hat sich noch nicht auf Bundesebene etabliert.

Vor vier Jahren war die Bewegung sehr erfolgreich: Zwei Drittel der unter 30-Jährigen haben damals für Obama gestimmt, auch wegen der hohen Wahlbeteiligung in dieser Gruppe.

Wir müssen die Erwartungen mäßigen. 2008 war eine historische Wahl. Sie wiederholen zu wollen, ist albern. Selbst wenn die Wirtschaft blühen würde und die Arbeitslosigkeit auf einem Allzeittief wäre, hätten wir nicht die Wahlbeteiligung von 2008. In einem Moment, in dem die Menschen Geschichte schreiben, sind ihre Emotionen in anderen Sphären. Unser Ziel sollte sein, so viele junge Wähler wie möglich an die Urnen zu bringen, unabhängig von den Kandidaten.

Geht es um Obama und junge Wähler, ist oft von der Hip Hop Generation die Rede. Was macht sie aus?

Ich halte diesen Begriff für missverständlich. Es ist eine Hip-Hop-Community, die aus vielen Generationen besteht. Wer mit Hip-Hop der ersten Stunde aufgewachsen ist, ist heute 50 Jahre alt und in einer anderen Generation als die 20-Jährigen, die BET und MTV gucken. Der 50-Jährige macht sich Gedanken über seine Absicherung im Alter, über die Bildung seiner Kinder. Die Wähler zwischen 18 und 24 Jahren sorgen sich um ihre Zulassung fürs College und ihren Berufseinstieg. Wir müssen sehen, von welcher demografischen Gruppe wir sprechen.

Was bedeutet das für die Arbeit an der Basis?

Diese Unterscheidung ermöglicht uns, verschiedene Anliegen effektiver zu artikulieren, Menschen zu mobilisieren, die Interesse an den gleichen Themen haben. Wir müssen ihnen beibringen, nicht nur wütend und laut zu sein. Sie müssen zu Führungsstärke befähigt werden, damit Bewegungen nachhaltig wirken und nicht bald wieder verschwinden.

Ist der Begriff Hip Hop Generation auch missverständlich, weil er oft auf junge Schwarze reduziert wird?

Wenn ich in Berlin, London oder Tokio frage: „Wer ist hier Teil des Hip-Hop?“, werden sich dort sehr unterschiedliche Menschen melden. Je jünger die Leute sind, desto unwichtiger ist die Hautfarbe für sie. Aber es gibt natürlich die auf ökonomischen Realitäten basierenden Bilder, die konserviert wurden, je größer Hip-Hop weltweit wurde: Hip-Hop wird in den USA vor allem von Kids aus den Vororten gekauft, die urbane Fantasien ausleben wollen – zum Nachteil der wirklichen urban black kids, von denen ein falsches Bild gezeichnet wird.

Wegen der Reduzierung auf Klischees?

Du hast diese Bilder des Übersexualisierten, Oberflächlichen und Materialistischen. Das verkauft sich, ist kommerziell erfolgreich, bildet aber ausgerechnet das Schlimmste ab, womit die urbanen Gemeinden umzugehen haben. Das ist etwas, worüber wir viel zu wenig sprechen. Wenn es eine Trennlinie im Hip-Hop gibt, dann ist es die wirtschaftliche.

In den USA versuchen Think Tanks wie Rap Sessions oder das Hip Hop Summit Network, Hip-Hop als Bildungsfaktor zu etablieren. Wie kann die Jugend durch solche Projekte stärker werden?

Zuerst durch Bildung: Hip-Hop hat so eine starke Stimme, etwa durch bekannte Künstler, die über ihre Musik soziale und politische Bewegungen ansprechen. Auch lokale Künstler sind in ihrem Umfeld sehr effektiv darin, Menschen für Diskussionen zu interessieren, an denen sie normalerweise nicht teilnehmen würden, weil sie politisch zu wenig Antrieb haben. Dann gibt es die Vermittlung: Ob im Präsidentschaftswahlkampf oder sonst wo, wir alle wollen in einer Sprache und Terminologie angesprochen werden, die wir verstehen. Also ist Hip-Hop auch ein Werkzeug. Wir brauchen eine engere Verbindung von Hochschulen und Hip-Hop, dessen traditioneller Umgangssprache, dem Unreifen auf der einen und intellektuellen, akademischen Diskussionen auf der anderen Seite.

Inwiefern schaden frauen- und schwulenfeindliche Stereotype diesem Vorhaben?

Nun, es gibt diese Rapper. Stereotype und Negativität, die wir aus dem Mainstream-Hip-Hop kennen. Viele Leute wenden sich ab, weil sie Hip-Hop nicht verstehen. Aber das ist normal, ein Generationenkonflikt. Vor 50 Jahren war es beim Rock’n’Roll, B-Bop oder Jazz das gleiche: Eltern haben die Subkulturen ihrer Kinder nicht verstanden. Sie haben nur das Negative gesehen.

Auch Leute in unserem Alter winken wegen der negativen Rollenbilder ab.

Das ist eine Frage der Aufklärung. Leute, die aus der Hip-Hop-Kultur kommen, müssen sie mit anderen teilen und ihnen die Komplexität aufzeigen. Sonst wird Hip-Hop immer missverstanden bleiben.

Torsten Landsberg hat sich vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen in einer losen Reihe mit dem Verhältnis von US-Hip-Hop-Szene und Politik befasst.

Jeffrey Johnson, 39, ist Journalist und Politikaktivist aus Washington. Auch nach seiner Zeit als Vizepräsident des Hip Hop Summit Action Networks setzt er sich, eine Schlüsselfigur der Szene, für die kulturelle Relevanz von Hip-Hop und Jugendbildung ein

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