Der französische Rap gilt schon lange als Sprachrohr der Banlieue-Jugend. Zum Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich haben sich die Rapper zu Wort gemeldet: etwa mit der CD Explicit Politik, an der sich namhafte Künstler wie Stomy Bugzy, Monsieur R. oder 2 Bal von der Saian Super Crew beteiligt haben. Unter dem Motto "Wählen ist ein Grundrecht - und besser als ein Molotow-Cocktail" riefen sie zur Stimmabgabe an den Urnen auf. Bereits 2006 erschien die Kompilation Mort pour rien (Umsonst gestorben). Damit wurde gegen die Politik des damaligen Innenminister Sarkozy protestiert, der Vorstadtjugendliche als "Abschaum" bezeichnet hatte. Die Songs sind dem Gedenken an Ziad und Bouna gewidmet - jenen beiden Jugendlichen aus Clichy-sous-Bois, die im Herbst 2005 auf der Flucht vor einer Polizeikontrolle in einem Trafohäuschen ums Leben kamen. Ihr Tod war seinerzeit der Auslöser für die heftigen Unruhen in den Banlieues. An den 15 Titeln der CD haben sich insgesamt 164 Rapkünstler beteiligt, der Erlös aus dem Verkauf kam den Hinterbliebenen zugute.
Prof. Eva Kimminich lehrt am Romanischen Seminar der Universität Freiburg und setzt sich dort mit französischem Hiphop auseinander. Im Reclam-Verlag veröffentlichte sie 2002 in der Reihe Fremdsprachentexte den Band Legal ou illegal?, eine Sammlung von HipHop-Texten, die zeigt, dass viele der französischen Rapper als gewitzte Wortartisten mit politischem Anspruch auftreten.
FREITAG: Frau Kimminich, die CD "Explicit Politik" ruft die Banlieue-Jugend dazu auf, wählen zu gehen. Haben sich die Rapper plötzlich in brave, treue Staatsbürger verwandelt?
EVA KIMMINICH: Nein. Die Rapper sehen sich zwar als Citoyens und identifizieren sich mit der Republik, sie mussten aber feststellen, dass die universalistischen Werte für sie selber nicht gelten. Frankreich ist von Chancengleichheit noch weit entfernt.
Trotzdem gib es Wahlaufrufe - vertrauen die Rapper neuerdings der Politik?
Es geht mehr darum zu zeigen, dass der einzelne Verantwortung trägt und Möglichkeiten hat, auf sein Leben Einfluss zu nehmen. Das Neue ist: Die Rapper mischen sich in die Politik ein, anstatt sich von ihr zu distanzieren. Sie sagen: "Wir haben unsere eigene Stimme". Der Rap-Pionier Joey Starr hat zum Beispiel zusammen mit Olivier Besancenot, dem Präsidentschaftskandidaten der linksradikal-trotzkistischen Ligue communiste révolutionnaire (LCR), das Kollektiv "Devoirs de mémoires" gegründet. Sie fordern die jungen Leute auf zur Wahl zu gehen, sprechen sich aber nicht für eine bestimmte Partei aus. Die Rapper wollen niemanden manipulieren, das ist ja immer ihr Vorwurf an die Politik.
Wie äußert sich das Verhältnis zu Frankreich in den Texten?
Der französische Rap setzte sich von Anfang an stark mit den republikanischen Werten auseinander. Man spricht sogar von der RAPublik. Die Texte spielen mit den Staatssymbolen, etwa der Trikolore. Es gibt auch Texte, bei denen die Rapper mit Marianne, dem Nationalsymbol, einen fiktiven Dialog führen. Ecoute la rue, Marianne - so nennt sich ein Projekt von 50 bekannten Rappern, bei dem im Internet, durch Videos und ein Doppelalbum Frankreich dazu aufgefordert, der Banlieue-Jugend endlich Gehör zu schenken.
Glauben die Rapper immer noch an die Republik?
Der Tenor der Songs hat sich verändert. Früher pochte man darauf, dass die Parole "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" auch für Migranten Geltung hat. Jetzt ist man von der Republik enttäuscht und es heißt schon mal provokativ Frankreich ist eine Hure. Für diesen Rap-Song wurde Monsieur R. vor Gericht gestellt, später aber freigesprochen.
Abgeordnete der Regierungspartei UMP haben Hiphop-Gruppen des "antifranzösischen Rassismus" beschuldigt und gefordert, diese zu verbieten. Den Rappern wurde vorgeworfen, sie hätten die Jugendlichen aus den Banlieues aufgestachelt. Wie reagieren die Rapper auf diese Vorwürfe?
Sie protestieren dagegen, andauernd als Gewalttäter und Kriminelle stigmatisiert zu werden. Die Medien bezeichnen die Vorstadtbewohner oft als Barbaren und Wilde. Bereits vor den Unruhen antworteten die Rapper darauf: "Wenn ihr uns weiter so nennt, dann werden wir mal wirklich wild.
Aber gibt es im französischen Hiphop nicht auch Aufrufe zur Gewalt?
Man wird immer einige Rapper finden, die Gewaltverherrlichung betreiben - das ist aber eine kleine Minderheit. Man spielt eher mit dem Begriff der Gewalt und reagiert so auf die Zuschreibungen der Medien. Dort wurde das stereotype Bild des Banlieusard als Bedrohungsszenario konstruiert: Die Begriffe Einwanderer, Muslim, Kriminalität und Banlieue werden laufend in einem Atemzug genannt.
Manche haben dem Islam eine Mitschuld an den Unruhen zugesprochen. Gibt es so etwas wie fundamentalistischen Hiphop?
Islamistischer Rap ist ein Randphänomen - so wie es auch Nazi-Rap in Deutschland gibt. Es gibt aber einige Rapper, die eine sufistische Auslegung des Koran verbreiten. So wie Abdel al Malik oder Kery James, der richtiggehend zu einer Vorbildfigur geworden ist. Er propagiert eine Art individuelle Religiosität, die den Einzelnen zu Verantwortungsbewusstsein anhält. Eine Kombination von religiösen mit ethisch-weltlichen Werten. Er versteht sich als Gläubiger und Citoyen. Auf der CD Savoir vivre ensemble (2004) plädiert er für ein friedvolles Zusammenleben in einer heterogenen Nation. Mit den Gewinnen aus seinem letzten Album hat er ein Kulturzentrum in der Pariser Vorstadt Gennevillier finanziert.
Gewinnt der Islam bei der Vorstadtjugend an Bedeutung?
Der Soziologe Olivier Masclet hat in einer Studie gezeigt, dass es den Linksparteien in den Banlieues nicht gelungen ist, die Kinder der Einwanderer ins politische Leben einzubinden. Bei ihren Eltern war das noch anders. Die fehlende Teilhabe am politische Leben schafft eine Lücke, die nun durch Religion gefüllt wird.
Was macht den HipHop für Jugendliche aus den Banlieues so attraktiv?
Er gibt ihnen die Möglichkeit, sich zu artikulieren und Kritik zu üben. Der Hiphop zeigt den Jugendlichen eine Perspektive und schafft Selbstvertrauen, weil er ihnen das Gefühl vermittelt, etwas zu können. All das sorgt für Halt. Zur Musik kommen noch andere Dimensionen, etwa der Breakdance, ein Tanz, der eine eigene, expressive Körpersprache entwickelt hat und ebenfalls Botschaften transportiert.
Wird diese kulturelle Arbeit in den Banlieues wertgeschätzt und unterstützt?
Unter der Kulturpolitik von Jack Lang begann man Ende der 80er Jahre den Hiphop zu fördern. Damals zeigte sich, dass Pädagogen und Polizei in den Banlieues nicht viel auszurichten vermochten. Man begriff, dass Rapper als Vorbildfiguren Einfluss auf die Jugendlichen nehmen könnten. Es handelte sich nicht um große Summen, aber immerhin wurden Kulturzentren aufgebaut, Aufnahmestudios und Schreibateliers gefördert.
Und heute?
Viele Fördergelder wurden gestrichen. Aber die Rapper haben einiges in Eigeninitiative aufgebaut. Die Band Assassin und das HipHop-Kollektiv Son de la rue aus Straßburg haben zum Beispiel auf eigene Kosten Schreibateliers in Gefängnissen organisiert. Für den Staat war das kostenlose Sozialarbeit. Ohne diese Art von Engagement der Rapper, wären die Unruhen vielleicht bereits viel früher ausgebrochen. Trotzdem wurden etwa Son de la Rue nach den Wahlerfolgen des Front National im Elsass die Zuschüsse gekürzt.
Das Gespräch führte David Siebert
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