Im Sommer 1934, da waren in Österreich die Sozialdemokraten bereits geschlagen und das Parlament ausgeschaltet. Was nun tobte, war das Gefecht Faschisten gegen Faschisten, wobei jedoch die Nazis im Gegensatz zu den Vaterländischen keinen Kompromiss suchten. Zweifellos mochten die Austrofaschisten die Nationalsozialisten mehr als die Nationalsozialisten die Austrofaschisten. Die braune Flanke der christlich-sozialen Faschisten war stets offen, man wollte sich mit den Nazis arrangieren und machte ihnen nicht selten Avancen.
Immerhin unterhielten führende Exponenten der Vaterländischen Front (VF) intensive Kontakte zu den Nazis. So traf sich Kanzler Engelbert Dollfuß im Juli 1934 mit Arthur Seyß-Inquart, Hitlers späterem Reichsstatthalter in Wien, oder mit He
der mit Hermann Neubacher, dem nachmaligen NS-Bürgermeister der österreichischen Hauptstadt. Als Dollfuß vorab von den Putschplänen unterrichtet wurde, soll er „Lassen Sie mich in Ruh’, ich habe den Nazis nichts getan“ gesagt haben. Das war nicht falsch. Der braune Spuk wurde nicht offensiv bekämpft, sondern nur deshalb, weil dessen aggressive Politik der Terrorakte nicht einfach hingenommen werden konnte.Der Plan für den Putsch Ende Juli 1934 war denkbar einfach: das Bundeskanzleramt überfallen, die Regierung festsetzen und zum Rücktritt zwingen, den Rundfunk besetzen – nazitreue Truppenteile erledigen dann den Rest. Dollfuß und die seinen wollte man „in allen Ehren kaltstellen“. Österreich sollte dem Deutschen Reich auch nicht sofort angeschlossen, sondern gleichgeschaltet werden. Anton Rintelen, der ehemalige christlich-soziale Landeshauptmann der Steiermark und mehrmalige Minister, war als Kanzler von Hitlers Gnaden vorgesehen. Die zentrale Figur der Aktion war der ehrgeizige Rudolf Weydenhammer, ein führender Industrieller aus München, wohnhaft am Starnberger See und noch nach 1945 eine beachtliche Nummer.„Befehlsgemäß“ wollte er den Putsch leiten, fuhr am 23. Juli nach Wien, um die letzten Vorbereitungen der dafür vorgesehenen SS-Standarte 89 persönlich zu überwachen. Der Staatsstreich selbst stand aber unter keinem guten Stern. Zuerst wurde die Ministerratssitzung vom 24. auf den 25. Juli verschoben, und danach folgte eine Panne der nächsten.Noch am 24. Juli wurde der Plan von Johann Dobler, einem involvierten Polizisten und NSDAP-Mitglied, verraten, wohl weil er kalte Füße bekommen hatte. Anderntags passierte, wie der Historiker Kurt Bauer in seinem gerade im Wiener Residenz Verlag erschienenen Buch Hitlers zweiter Putsch geschrieben hat, gar Folgendes: „Der militärische Leiter Fridolin Glass, der vor Ort im Bundeskanzleramt die Befehle geben sollte, versäumte die Abfahrt der Kolonne. Die Putschisten waren, als sie das Kanzleramt besetzten, führerlos.“Außerdem sollte neben dem eigentlichen Putsch noch eine weitere Operation der Nazis laufen. Die ebenfalls in Wien ansässige SS-Standarte 11 wollte den Bundeskanzler mit einer Handgranate am Michaelerplatz ermorden, wusste allerdings zu diesem Zeitpunkt nichts von den Plänen der SS-Standarte 89. Wie umgekehrt. Indes waren beide Vorhaben der Regierung schon bekannt. Dies alles trug freilich mehr zu Verwechslungen und Verwirrungen bei als zu einem entschiedenen Einschreiten.Dass unter solchen Voraussetzungen überhaupt das Kanzleramt besetzt werden konnte – der Staatsstreich also nicht schon im Vorfeld verunglückte oder verhindert wurde – ist darauf zurückzuführen, dass sich die austrofaschistische Staatsmacht noch dümmer anstellte als die gegen sie vorgehenden Nazi-Terroristen. So waren die Versager letztlich den Stümpern unterlegen. Zumindest vorerst. Nicht einmal die massiven Eingangstore des Bundeskanzleramts wurden geschlossen. Das taten erst die Nazis, als sie sich drinnen eingenistet hatten. Hinein zu kommen war jedenfalls kinderleicht. Die regierungstreuen Polizisten und Wachleute in der Umgebung wurden entwaffnet und gefangen genommen. Von den anwesenden Sicherheitsleuten wurden die uniformierten Eindringlinge gar als Verstärkung wahrgenommen, waren doch gleichzeitig absurde Gerüchte über einen sozialdemokratischen Anschlag in die Welt gestreut worden. Alles hatte in diesen Stunden eine eher surreale Note bekommen. Da liefen mehrere Filme ab, und zwar als Realität diverser Kollisionen. Trotzdem sollte man sich mit Spott und Häme zurückhalten. Auch wenn es ein Putsch der Dilettanten gewesen sein mag, der schnell scheiterte – die Tragik im Allgemeinen war um vieles größer als die Komik im Besonderen. Der Zug Richtung Faschismus war auch in der Alpenrepublik längst abgefahren. Einige Jahre später, im März 1938, machte schließlich die dosierte Variante der rasenden Platz.Die Vaterländische Front war mitunter auch ein riesiger Intrigantenstadel, wo keiner dem anderen so recht über den Weg traute und persönliche Gelüste und Absichten oft höher standen als politische Motive. Man denke an die dubiose Rolle von Innenminister Emil Fey, der erst einige Tage zuvor sein Amt als Vizekanzler verloren hatte, sich dementsprechend düpiert und degradiert fühlte. Der Minister hatte noch eine Rechnung mit Kanzler Dollfuß offen. Informationen gab er nur unvollständig weiter. Ob Fey, den – so Kurt Bauer – „vom Nationalsozialismus ideologisch so gut wie nichts trennte“, auf einen Posten unter den Nazis spekulierte oder sich als Retter des Vaterlands inszenieren wollte oder gar beides, wer konnte das schon wissen? Wahrscheinlich wusste Fey das selbst nicht genau.Die Geschehnisse im Kanzleramt sind nicht mehr genau zu rekonstruieren. So ist nicht auszuschließen, dass Dollfuß sich tatsächlich wehrte oder die Angreifer sich ihrerseits von ihm angegriffen fühlten. Auf jeden Fall dürfte eine unglückliche Verkettung von Umständen zum Tod des Regierungschefs geführt haben. Engelbert Dollfuß sollte nicht umgebracht werden, aber irgendwie geschah es dann doch, dass ihn zwei unplatzierte Schüsse getroffen haben, wobei einer letztlich tödlich gewesen ist. Kurt Bauers Schluss ist nachvollziehbar: „Bei nüchterner Betrachtung des Tathergangs und der weiter damit zusammenhängenden Umstände spricht allerdings nichts dafür, dass Dollfuß vorsätzlich ermordet wurde.“Laut Bauer war Hitler „Inspirator und Befehlsgeber“ der Operation. Vor allem die Tagebücher von Joseph Goebbels, deren Veröffentlichung erst 2006 abgeschlossen wurde, legen das nahe. Dessen Notizen vermerken zum 24. Juli: „Sonntag: bei Führer General v. Hammersteins Nachfolger, Gen. v. Reichenau, dann Pfeffer, Habicht, Reschny. Österreichische Frage. Ob es gelingt? Ich bin sehr skeptisch.“ Kurt Bauer ist überzeugt: „Es ist ohne jeden Zweifel Hitlers Putsch! Seine Untergebenen haben ab Sommer 1933 laufend Putschpläne an ihn herangetragen. In der zweiten Junihälfte 1934 schien ihm der passende Zeitpunkt gekommen. Deshalb ordnete er die Durchführung des Putsches an. Anders gesagt: Hitler befahl ihn.“Zu diesem riskanten Manöver mit ungewissem Ausgang hatte sich der Diktator auch deswegen entschlossen, weil er meinte, Benito Mussolini habe ihm beim letzten Zusammentreffen in Venedig grünes Licht gegeben. Dabei handelte es sich um einen Irrtum. Die italienischen Faschisten missbilligten den Staatsstreich ausdrücklich und stellten sich damals noch dezidiert hinter die Wiener Regierung. Nach der gescheiterten Aktion versuchte Hitler, alle Spuren zu verwischen. Betont wurde nunmehr die Eigenmächtigkeit der Wiener SS-Standarten. In Berlin hatte die NS-Führung kein unmittelbares Interesse, in irgendeiner Weise mit dem blutigen Putschversuch im Nachbarland und dem Tod des Bundeskanzlers in Verbindung gebracht zu werden. Sogar die rasche Exekution einiger am Putsch beteiligter Verschwörer nahm man ohne großes Murren hin.
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